Rolf Sternberg (Hg.): Deutsche Gründungsregionen. Berlin 2006 (Wirtschaftsgeographie, Band 38). 346 S.
Vor etwa zehn Jahren "entdeckte" die Wirtschaftspolitik Existenzgründungen als Instrument zur Verwirklichung einer Vielzahl von Zielen. Sie sollten die Wirtschaft durch innovative Geschäftsideen beleben, den Wettbewerb erhöhen und dadurch den strukturellen Wandel fördern. Nicht zuletzt erhoffte man sich auch neue Arbeitsplätze. Vielfältige Programme zur Gründung und Unterstützung junger Unternehmen wurden aufgelegt und Selbstständigkeit war auch als geförderte Alternative zur Arbeitslosigkeit vorgesehen. Allerdings war gegen Ende des letzten Jahrzehnts noch wenig über die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen erfolgreicher Gründungsaktivitäten bekannt. Der 1999-2004 von der DFG geförderte Forschungsschwerpunkt "Interdisziplinäre Gründungsforschung" sollte mehr Licht in die komplexen Zusammenhänge bringen. Die in dem vorliegenden Sammelband zusammengestellten 12 regionalwirtschaftlichen Beiträge von 21 Autorinnen und Autoren aus der Wirtschaftsgeographie und den Wirtschaftswissenschaften basieren fast alle auf Forschungen innerhalb dieses DFG-Schwerpunktes. Hinter den 15 betrachteten Gründungsregionen verbergen sich zumeist Raumordnungsregionen und einige größere Städte. Als Datenquelle diente die Betriebsdatei des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die auf der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit fußt. Dieser methodische Hinweis ist wichtig, denn im Unterschied zu anderen Quellen erfasst diese Datei nur Neugründungen mit mindestens einem versicherungspflichtig Beschäftigten. Da es große regionale Unterschiede in der Art und Intensität der Gründungsaktivitäten einschließlich der Stilllegungen gibt, arbeiten die Autoren oft vergleichend, um die steuernden regionsspezifischen Merkmale besser fassen zu können.Obwohl der Band keine thematische Untergliederung vorgibt, lassen sich aus den Beiträgen sechs Themenkomplexe identifizieren. Im ersten Themenbereich, der von zwei ähnlichen und erfolgreichen Agglomerationsräumen - München und Stuttgart - handelt, geht es vor allem um regionale Einstellungen und Wissensregime. Die überdurchschnittliche Gründungstätigkeit in München führt C. Tamásy auf individuelle positive Einstellungen und Fähigkeiten einer Vielzahl potenzieller Gründer zurück, denen ein als vorteilhaft wahrgenommenes regionales Umfeld Unterstützung verspricht. Trotz ebenfalls massiver öffentlicher Förderangebote bleiben die Gründungsaktivitäten in der Region Stuttgart unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. T. Stahlecker und A. Koch untersuchten dieses Phänomen im Hinblick auf den regionalen "Wissensmarkt". Dieser wird von den altetablierten Unternehmen so sehr dominiert, dass offenbar hohe Barrieren für neue Markteintritte bestehen.
Die beiden Analysen von A. Otto über Mittelthüringen sowie von D. Fornahl und T. Brenner über Jena befassen sich mit den speziellen Bedingungen in Ostdeutschland. Die Ergebnisse zeigen, dass neue Betriebe der unmittelbaren Nachwendezeit gute Start- und Überlebensbedingungen hatten. Neugründungen in den letzten zehn Jahren stießen dagegen auf einen weithin gesättigten Markt mit verschärftem Wettbewerb und sie waren folglich einem höheren Scheiternsrisiko ausgesetzt. Im Falle Jenas kam es zu einer Verstärkung des vorhandenen industriellen Komplexes. Die Hinwendung zu neuen technologischen Bereichen war und ist in Ostdeutschland allerdings auch weiterhin auf Förderung von außen angewiesen. Vergleichsweise hohe Gründungsraten, wie sie im stark ländlich geprägten Raum Lüneburg vorkommen, sind nicht immer positiv zu bewerten. A. Japsen und D. Oberschachtsiek zeigen, dass dahinter viele Gründer aus Mangel an Beschäftigungsalternativen stehen können. Der Erfolg solcher push-motivierter Existenzgründungen mit geringen Opportunitätskosten bleibt bei den schlechten Rahmenbedingungen erwartungsgemäß sehr bescheiden.
Der vierte Themenschwerpunkt ist der Bedeutung von Netzwerken und von Hochschulen für den Gründungserfolg gewidmet. T. Henning, P. Mueller und M. Niese vergleichen die beiden ostdeutschen Regionen Dresden und Rostock mit der Region Karlsruhe. Sie beschreiben die allgemein abnehmende Gründungsaktivität und das steigende Scheiterrisiko in Ostdeutschland. In der Summe sind positive Beschäftigungseffekte aus Gründungen dort kaum mehr zu erwarten. Allerdings trauen die Autoren innovationsorientierten Gründungen sowie Gründungen mit intensiver Forschungs- und Entwicklungskomponente zu, diesen generellen Trend zu durchbrechen. Hier sind Karlsruhe und Dresden wegen ihrer Forschungseinrichtungen und bestehender Netzwerke deutlich im Vorteil gegenüber Rostock. Auch im Raum Kiel sind das Fehlen von Netzwerken und eine geringe Gründungsbereitschaft von Hochschulangehörigen nach den Ergebnissen von J. Revilla Diez und B. Mildahn wichtige Gründe für die bisher erst schwachen Impulse aus der Wissenschaft für die Wirtschaft.
Der fünfte Themenkomplex untersucht mit drei Beiträgen, welche unterschiedlichen Gründungsaktivitäten von sektoralen Clustern ausgehen können. B. Sautter und R. Binder zeigen für den seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Medizintechnikcluster im Raum Tuttlingen auf, wie für junge produzierende Unternehmen die Eintrittsbarrieren immer höher wurden und sich der Schwerpunkt der Gründungen daher auf den Dienstleistungssektor verlagerte. Dabei profitieren die Gründer stark von lokalen Netzwerken, während dem institutionellen Umfeld nur eine geringe Bedeutung zukommt. - Der Cluster der Informations- und Kommunikationswirtschaft in der Region Hannover ist - unterstützt durch eine clusterbasierte Förderpolitik - erst im Aufbau begriffen. Nach den Ergebnissen von B. Leineweber und E. Schricke ist es allerdings noch nicht gelungen, funktionierende Netzwerke im Sinne von Kooperationen anzustoßen. Verbindungen zu den regionalen Hochschulen erweisen sich als hilfreich.
Im dritten Beitrag zu Clustern vergleichen A. Dorenkamp und I. Mossig die Medienstandorte Köln und Mainz miteinander. Obwohl beide Standorte vom Fernsehen geprägt sind, entstand nur in Köln durch Neu- und Ausgründungen sowie unterstützt durch eine gezielte staatliche Förderpolitik ein vernetzter Cluster der TV-Produktion. Dieser Entwicklungspfad war in Mainz durch die Dominanz öffentlichrechtlicher Sender mit ihren anderen Produktions- und Vernetzungsstrukturen blockiert.
Der letzte Aufsatz im Sammelband von I. Beckmann geht dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftspolitik und Gründungsgeschehen nach. Anhand der Beispiele München, Leipzig und dem bergischen Städtedreieck Wuppertal-Remscheid-Solingen kommt die Autorin zu dem Schluss, dass Gründungsförderung allein kaum einen Gründungsboom auslösen kann, wohl aber die regionale Gründungsdynamik verstärkt. Maßnahmen, die in frühen Phasen des Gründungsprozesses ansetzen, können vorhandene Gründungspotenziale besser mobilisieren als eine Mittelstandspolitik, die erst bei bereits bestehenden jungen Unternehmen ansetzt. Wo - wie in München - beide Wege beschritten werden, ist die Gründungsdynamik besonders hoch. Allerdings ist für den Überlebenserfolg der jungen Firmen die Nachhaltigkeit der Maßnahmen entscheidend. Förderprogramme für "Gründungen aus Not" sind langfristig wenig erfolgreich und daher volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.
Der Sammelband beginnt mit einem Kapitel, das eigentlich eine Zusammenfassung beinhaltet. Darin erläutert der Herausgeber zuerst das Konzept und die Intention des Buches und stellt danach die wichtigsten Erkenntnisse im Hinblick auf eine regionale Förderpolitik vor. Er rät dringend von pauschalen Rezepten zur Gründungsförderung ab und plädiert dagegen für eine genaue regionale Analyse des Bestandes und Potenzials an Gründern. Die Ergebnisse müssen mit den oftmals wenig bekannten, vorwiegend regionalspezifischen Determinanten für den Erfolg oder Misserfolg des Gründungsgeschehens in Verbindung gebracht werden. Für die Notwendigkeit einer solchen regional differenzierenden Vorgehensweise liefern die sehr vielseitigen und anregenden Beiträge des Sammelbandes überzeugende Belege. Es wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern auch ressourcenschonend, wenn sich die Akteure auf den verschiedenen Feldern und Ebenen der Gründungsförderung die Erkenntnisse aus diesen Studien zueigen machten.
Autor: Reinhold Grotz