Stadtfotografie und Partizipation
Interview mit Martin Kohler, HafenCity Universität Hamburg
raumnachrichten.de: Herr Kohler, Sie arbeiten seit Jahren im Bereich Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg und sind dort Dozent für Stadtfotografie. Können Sie uns beschreiben was das ist: Stadtfotografie? Womit beschäftigt sie sich, welchen Stellenwert nimmt sie in Städtebau und Quartiersplanung ein?
Die Stadtfotografie ist viel weniger eindeutig definiert als bspw. Architekturfotografie. Tatsächlich ist es stilistisch ein hybrides Feld, welches Mittel und Arbeitsweisen aus unterschiedlichen fotografischen Genres nutzt, hauptsächlich aus Architekturfotografie, Streetphotographie und dem Bildjournalismus. Im Mittelpunkt steht die Darstellung einer Stadt oder eines Teils von Stadt als sozial-räumliches System. Also als holistische Einheit aus Menschen und Räumen. Dies beinhaltet das Straßenleben, Rituale und Bedeutungszuschreibungen genauso wie Gebäude, Parks und Straßenräume dazugehören um eine Stadt im Sinne eines Portraits darzustellen.
Historisch finden sich Vorläufer wie die fotografischen Gebäudeaufnahmen im Auftrag des Denkmalamtes Anfang des 20. Jahrhunderts oder Fotografen als Stadtschreiber, die das Stadtleben visuell festhalten. Dann war die Stadt als Lebensort immer schon im Fokus künstlerischer Fotografie, wobei hier besonders mit dem Aufkommen von New York als Sinnbild der modernen globalen Metropole eine Beschäftigung aus dem Feld der künstlerischen Fotografie begann in der nicht mehr das Einzelgebäude, sondern die Stadt im Vordergrund stand.
Für die Stadtplanung und Quartiersentwicklung ist Stadtfotografie zum Einen erstmal ein Arbeitsmittel. In der Bestandsaufnahme, aber auch im Entwurfsprozess von Architekten und Planern spielen Fotografien eine zentrale Rolle als Verbildlichung der Stadterfahrungen und werden darüber in den Entwurfsprozess im Studio integriert. Häufig geschieht dies aber unbewußt und durch Gebrauchsfotografie durch den Architekten (oder dessen Praktikanten) selber. Dies ändert sich jedoch langsam und professionelle Fotografen werden bei sozialräumlichen Analysen von Freiräumen (ein Beispiel ist meine Untersuchung der Freiräume der Hamburger HafenCity durch sechs professionelle Fotografen) beauftragt oder private Fotografie und partizipative Fotografie als Bestandteil von Partizipationsprozessen eingesetzt.
Es ist aber immer noch ein Nischenfeld in der Planung und wird viel stärker als künstlerisches Feld wahrgenommen.
Sie benutzen in einem Aufsatz diese schönen Bilder: der Fotograf als einsamer Cowboy und der Fotograf als Kollaborateur. Wie unterscheiden sich diese beiden Rollen in der Stadtfotografie?
In dem Aufsatz wollte ich auf den Unterschied der Autorenfotografie und einer stärker kollaborierenden partizipatorischen Fotografie hinweisen. Gerade im letzten Jahrhundert mit Figuren wie Lee Friedlander, Thomas Struth, Andreas Feiniger, aber auch Berenice Abbott oder Extremen wie der New Yorker Polizei- und Reportagefotografen Weegee sind viele subjektive Sichtweisen entstanden, die unser Verständnis von dem was Stadt ist und was eine bestimmte Stadt ausmacht, stark beeinflußt haben. Beispielsweise scheint beim Typus der westlichen Weltstadt ganz stark das New York der 50er bis 70er durch und wird symbolisiert durch die Bildwelten der humanistischen und Street-Fotografen, die in dieser Zeit in New York fotografiert haben. Bei aller Unterschiedlichkeit in der Sensibilität hinsichtlich des Subjekts ist die Entscheidung, was (und wie) im Bild dargestellt wird eine autonome des Fotografen. Wie ein einsamer Cowboy drückt er ab, sobald es ihm richtig erscheint. Das ist insofern für die Stadtfotografie interessant, weil hier eine systematische Verschiebung der Erzählweise einer Stadt beobachtet werden kann. Besonders deutlich ist dies natürlich bei der fotografischen Darstellung Paris im Übergang in das 20. Jahrhundert. Außer bei einigen wenigen Fotografen wie Eugene Atget tauchten die Orte der unteren Mittelschicht und der Arbeiter, vor allem aber das Straßenleben dieser Quartiere fotografisch gar nicht auf. Gerade aber in den ärmeren Quartieren war das (Stadt)Leben die Straße. Mit der Aufgabe der ungeteilten Autorenschaft entsteht nun die Möglichkeit einer partizipatorischen Fotografie, die das Subjekt aka die Menschen, die da leben, als mitbestimmenden Partner in den Bildgebungsprozess mit integrieren kann. Die Fotografin Olivia da Silva ist ein gutes Beispiel. Sie macht eigentlich ganz klassisch Ganzkörperportraits von Arbeitern. Allerdings unterscheidet sich ihre Herangehensweise deutlich. Mit ethnografischem Gespür erkundet sie die Lebenswelt ihrer Partner, versucht Vertrauen herzustellen indem sie sich als Person, aber auch ihre Fotografie öffnet und zur Diskussion stellt und akzeptiert ihr Subjekt als Partner mit dem sie gemeinsam die Bildidee entwickelt. Das beinhaltet den Ort der Aufnahme, aber auch die Kleidung oder die Integration von Objekten in die Bildkomposition. Wenn das gelingt verbindet sich das Wissen darum, wie ein Bild entsteht des Fotografen mit dem tiefen Wissen des lokalen Experten was diese Stadt oder diesen Menschen ausmacht und wodurch es sich ausdrückt.
Mit Bezug auf den Fotografen Kyle Knight schreiben Sie, dass partizipatorische Fotografie das Verständnis für Lebensumstände erweitert und über das hinausgeht, was in Büchern steht. Was genau ist das? Was kann eine Fotografie, was ein Buch nicht kann?
Nun, es geht nicht nur um den Unterschied zwischen einer Fotografie und einem Text, sondern erst mal darum wie dieses Verständnis der Welt durch die Fotografie oder das Fotografieren entsteht.
Grundsätzlich hat Fotografie schon immer als billiges Dokumentationsmedium anthropologische oder soziologische Forschungen unterstützt. Die Eindrücke im Feld wurden auf Fotografien festgehalten als Unterstützung der Notizen des Forschers. In der späteren Auswertung erwies sich das Vermögen der Fotografie auch Einzelheiten festzuhalten, denen sich der Forscher im Moment der Aufnahme gar nicht bewußt war oder deren Bedeutung er in diesem Moment noch nicht kannte als sehr hilfreich. Die Möglichkeit alle – auch die unbewußt gebliebenen – Bildelemente in ihrer augenblicklichen Gesamtheit und Zuordnung zu einander im Nachhinein zu erfassen prägte das Verständnis um das Forschungssubjekt. Ein ganz gehöriger Zugang zur Lebenswelt sozusagen.
In der partizipatorischen Fotografie ist nun viel wichtiger, dass meine Foto-Partner mitmachen und wie weit sie mitmachen wollen. Ich bin auf sie angewiesen um die Bilder zu erzeugen, die dann unser Verständnis der Lebenswelt abbildet und deutet. Das heißt hier entsteht schon in der Zusammenarbeit ein Verständnis für diese Person und ihre Lebensumstände. Das hat damit zu tun, dass diese Zusammenarbeit den Forscher/Fotografen lenkt auf das, was Bedeutung für den Partner hat. Also nicht Straßen als Name, sondern was die Straße bedeutet beispielsweise. Als persönliche oder geschichtliche Erinnerung. Oder welche Handbewegung nicht zufällig, sondern eine Geste ist, wie und wann sie gebraucht wird und was sie bedeutet. In dieser Kooperation kommen zwei Experten zusammen. Einer für Fotografie und Darstellung und einer für die Welt und ihre Bedeutung. Hier kann der subjektive Raum wie er von einer Ortsgemeinschaft erlebt wird in der Fotografie zum Vorschein kommen. Und dadurch repräsentiert eine solche Fotografie oft die Eigenerzählung der Menschen viel besser und lässt die Fotografie viel weiter in den Alltag hineinreichen und wirksam werden.
Ohne dieses Verständnis fotografiere ich nur die Physik oder meine Imagination.
Martin Kohler
Die partizipatorische oder kollaborative Stadtfotografie hat ihre Wurzeln in der Visual Anthropology. Daher werden ihre Methoden auch mit englischen Begriffen gekennzeichnet: photo-voice, co-director photography, collaborative filmmaking, re-takes. Was verbirgt sich hinter diesen Begriffen, wie sehen die konkreten Methoden einer kollaborativen Stadtfotografie aus?
Die kollaborative Fotografie gibt grundsätzlich einen Teil der Autorenschaft am Bild ab. In welcher Weise und wieviel hängt von den einzelnen Formaten ab. Dabei verwendet die künstlerische kollaborative Fotografie keine Methoden, sondern entwickelt sich ihren Zugang selbst. Die Zugängen lassen sich aber oft auf Methoden der Visuellen Anthropologie oder Soziologie zurückführen. Zwei der bekanntesten Methoden, die für Interviews eingesetzt werden, sind Photo-Voice und Photo-Elicitation. Photo-Voice bedeutet im Wesentlichen, dass die Interviewpartner Fotografien erstellen zu einer bestimmten Fragestellung anstatt sich mündlich dazu zu äußern. Der Ansatz wird auch oft als „hand-over-the-camera“ beschrieben, da hier die Kamera zusammen mit der Frage an die Interviewten übergeben wird. Dies ist zum Beispiel unglaublich aufschlußreich bei der Arbeit mit Jugendlichen oder marginalisierten Gruppen. Teilweise habe ich als Fotograf gar keinen Zugang zu deren Räumen oder die Räume und das Verhalten ändert sich, wenn ich es betrete.
Photo-Elicitation kann sich entweder daran anschließen oder auch eigens verwendet werden. Es ist ganz einfach die Idee eine Fotografie im Laufe eines Interviewgesprächs zu benutzten. Durch das Zeigen einer Fotografie kann der Interviewte selbst bestimmen, welchen Teil des Bildes er kommentiert, was für ihn wichtig ist und verrät damit dem Forscher wichtige Details, nach denen er nicht hätte fragen können.
„Co-directed photography“ teilt das Ausarbeiten der Bildidee zwischen Fotograf und einer anderen Person. Das kann der/die Abgebildete sein, aber auch ein unabhängiger Partner. Gemeinsam wird die Bildidee entwickelt und umgesetzt „directed“, die der Fotograf dann ablichtet. Auch hier geht es um den Lebensraum und die intensive Zusammenarbeit ist notwendig um Vertrauen zu schaffen, ein Verständnis für den Anderen zu formen und dann auch eine für beide Seiten wirkungsvolle Umsetzung zu erzielen.
Das Re-take ist eine ganz simple Idee: Eine historische Fotografie wird so exakt wie möglich in der heutigen Zeit aufgenommen. Das beinhaltet Recherche um den verwendeten Kameratyp, aber auch den Standort, die Jahreszeit, die Intention des Fotografen und die historischen Umstände um dem originalen „Take“ so nahe wie möglich zu kommen. Die Fotografie, die dabei entsteht, ist nicht nur ein Früher/Heute Vergleich – dies schon ein suggestiv kraftvolles Element für die Rezeption – aber auch ein Prozess in dem man viel über den Ort und seine Veränderungen erfährt durch Interview und Einbindung von Menschen, die man dort trifft.
Sie führen an der HafenCity Universität Hamburg Seminare mit dem Titel „Stadtfotografie“ durch. Was genau unterrichten Sie da, was vermitteln Sie Ihren Studenten und wie gehen Sie dabei vor?
Stadtfotografie kann man definieren als ein Portrait einer Stadt oder eines Stadtteils als sozial-räumliches System. Das Fach „Stadtfotografie“ – bundesweit soweit ich weiß einmalig – lehre ich seit 2004. Für das Seminar war der erste Anlass einen Raum für Planer und Architekten, Designer und Kulturwissenschaftler für das bewusste Fotografieren zu öffnen. Fotografische Bilder sind zwar überall in Massen vorhanden, das Wissen wie sie wirken und entstehen leider aber nicht. Es ist ein Wahlfach, für das man leider furchtbar viel arbeiten muss, in dem man dafür in Bildern über die Themen des Studiums (also der gebauten Umwelt) reflektieren kann. Daher spielt das Kennenlernen von Fotografen und Fotografinnen der Streetphotography, aus Architektur- und Landschaftsfotografie und der Dokumentarfotografie / Bildjournalismus eine große Rolle. Wie man ihre Bilder beschreiben kann, wie sie entstanden sind und warum sie gemacht wurden. Also Beschreibung, Produktion und Intention. Während der gesamten Zeit wird kontinuierlich fotografiert – aus diesen Übungen entwickeln wir für jeden Teilnehmer oder jede Teilnehmerin dann eine konzeptuelle Idee, die sie/er dann als Abschlussarbeit in einen Fotoessay ausarbeitet.
Grundsätzlich geht es in dem Seminar um Bewusstwerdung und Weiterentwicklung fotografischer Fähigkeiten und ein visuelles Denken über Stadt zu initiieren.
Darf ich hier einmal nachhaken und ein wenig konkreter werden? Was sind die genauen Lernziele? Was und wie sollen Ihre Studenten lernen? Was wird von den Abschlussarbeiten erwartet? Welche Kriterien haben Sie oder geben Sie vor um diese Arbeiten zu bewerten?
Ich suche jedes Semester ein neues Thema aus. Das sind oft allgemeine Begriffe wie „Ort“, „Treffpunkt“ oder „Bahnhof“. Eigentlich ganz normale Begriffe, gerade für jemanden der Architektur oder Stadtplanung studiert. Neben den Übungen und der Teilnahme an den Diskussionen innerhalb des Seminars sollen die Teilnehmer dann aus diesem Begriff ein Konzept entwickeln wie sie diesen Begriff verstehen und darstellen wollen und daraus bis zum Ende des Semesters einen ungefähr 10-seitigen Fotoessay anfertigen.
Es ist dann sehr interessant zu sehen, wie sich diese Überlegungen entwickeln an einem Begriff, der eigentlich schon zu Ende erklärt scheint – aber eben nur als Text. In der visuellen Auseinandersetzung, unterstützt mit Übungen zu Kameratechnik und den Gruppendiskussionen über Fotografen und Bilder, entsteht dann mit der Zeit eine Idee, wie Bilder wirken, als Sprache funktionieren könnten und wie sich das Bild beeinflußen lässt.
In einem gewissen Sinn soll es die Teilnehmer in allen Bereichen ein bisschen besser werden lassen. In Bildkonzeption, -gestaltung, Editing und visuellem Denken. Es geht aber kaum um Kameratechnik allein, vielmehr darum einen Überblick zu gewinnen über den gesamten Prozess. Bewertungskriterien für die Abschlußarbeiten sind die Konzeptidee (Stringenz, Kohärenz, Innovation) und als zweiter die fotografische Umsetzung in einem Bildessay.
In dem berühmten Bildband „Im Ruhrgebiet“ aus den Anfängen der modernen Ruhrgebietsfotografie schreibt Chargesheimer „Ich werde ihnen die Welt zeigen, wie sie ist, unsere Welt in all ihren Härten, ihrer Fremdheit, ihrer Heiterkeit und in ihrer Schönheit, ja in ihrer Schönheit.“ Fasst Chargesheimer hier nicht die Position des „Cowboys“ und des „Kollaborateurs“ zusammen? Vielleicht widersprechen sich beide Positionen ja gar nicht so entscheidend?
Ganz im Gegenteil gehört Chargesheimer zu den Cowboys! Ein kleiner Hinweis ist der Gebrauch des Wortes „ich“ an dieser Stelle. Hier wird die Position des Weltdeuters eingenommen, „Ich zeige Ihnen die Welt“. „in meinen Fotografien“ könnte man noch hinzufügen. Das erinnert stark an Zitate, wie sie Streetphotographen oft gebraucht haben so wie Gary Winogrands berühmtes „I take photographs to see how the world looks like in pictures.“ Und gerade die Streetphotographie ist ein Feld, was die Figur des Draufgängers und Einzelkämpfers der Straße ziemlich weit ausgedehnt und benutzt hat. Der Unterschied zwischen dem Cowboy und dem Kollaborateur lässt sich auf den Augenblick des Auslösens reduzieren: Alleine, ohne Einfluß von außen drückt der Cowboy den Auslöser und entscheidet was, wann und wie es abgebildet wird. Der Kollaborateur gibt die Kamera gleich ganz weg oder gibt anderen einen wichtigen Anteil in der Entscheidung welches Bild entsteht und wann der Auslöser gedrückt wird. Dabei geht es hier viel weniger um Urheberschaft, sondern um eine Form der Demut sich der Weltsicht dessen, dessen Weltsicht man fotografien will, unterzuordnen. Diese Bilder kann man dann ja wieder nach eigenen Mustern ordnen.
Sie unterrichten Stadtfotografie an einer wissenschaftlichen Institution und sind selbst Wissenschaftler. Was kann partizipatorische Fotografie für die Wissenschaft leisten oder anders gefragt: wie soll Wissenschaft mit partizipatorischer Fotografie umgehen? Was kann sie von ihr lernen?
Nun gut, ich bin auch Journalist und Fotograf, also selbst so eine furchtbar hybride Existenz mit beiden Füssen in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Die radikale Subjektivität des Künstlers trifft auf eine genauso radikale Objektivität des Wissenschaftlers – das wäre zumindest die alte Vorstellung. Tatsächlich sind es zwei unterschiedliche Welten, aber ganz und gar nicht mehr so hermetisch voneinander getrennt. Gerade bei der partizipatorischen Fotografie kann man das sehr gut belegen. Aus den Anfängen in der Ethnografie des 20. Jahrhunderts wo sie noch als lustiges Amüsement einer auch gar nicht so „echten“ Wissenschaft abgetan wurde ist inzwischen – wie die Visual Anthropology zeigt – ein ernsthaftes und respektables Analysemedium geworden. Gerade wo es um Menschen und ihre Beziehung zur Umwelt geht, ist diese Form der Fotografie gar nicht mehr wegzudenken, auch wenn sie nicht die dominate Forschungsmethode ist. Aber gerade das kollaborative ist deutlich einfacher mit dem Versuch der wissenschaftlichen Methode nach Objektivität zu verbinden als künstlerische oder Autoren-Fotografie.
Bei der wissenschaftlichen Rezeption von Fotografien steht die Information, die mit der Abbildung vermittelt wird, im Vordergrund. Daneben spielen noch andere Ebenen bei der Analyse und bei der Verwendung in der Wissenschaft eine wesentliche Rolle: die Art und Weise wie der Bildproduzent arbeitet, die Kontexte, in denen die Aufnahmen stehen, die Gebrauchsweisen der Fotografien, was z.B. Auftraggeber und Verwendung einschließt, und schließlich die Rezeptions-Geschichte. Welche Rolle spielen diese unterschiedlichen Analyseebenen im Konzept der partizipatorischen Fotografie?
Genau diese. Und noch viel mehr. Oder keine davon. Eine kollaborative oder partizipatorische Fotografie ist erstmal weder eine wissenschaftliche Methode oder ein künstlerischer Stil. Es ist eine Auffassung zu fotografieren. Darauf aufbauend lassen sich sowohl künstlerische Arbeiten oder Forschungsmethoden entwickeln. Im zweiteren Fall kommt es dann auf die Fragestellung an und mit welcher Art der Bildanalyse man arbeitet. Beispielsweise benutzt der Einsatz von Fotografien in Interviews (photo-elicitiation) andere Bildanalyseebenen als die Produktion von Bildmaterial, was dann vom Forscher analysiert wird. Hier kommen dann Bildanalysemethoden zum Einsatz wie die Dokumentarische Methode wo Bildkomposition, Zuordnung der Motivelemente, deren soziale Bedeutung und eben auch der situative Kontext der Aufnahme soweit er erfasst wurde oder aus der Fotografie ableitbar ist. Das hängt dann wirklich sehr stark von der Forschungsfrage ab. Und ob der Forscher Fotografie überhaupt als Methodenelement kennt.
Wie Sie hier das Feld „partizipatorische Fotografie“ beschreiben, könnte der Eindruck entstehen, dass kollaborative Fotografie ein objektives Bild des Stadtraums wiedergibt, während die künstlerische Auseinandersetzung mit der Stadt durch den „Cowboy“-Fotografen nur subjektive Auffassungen widerspiegelt. Kann man das wirklich so konfrontieren: Autorenfotografie ist subjektiv, kollaborative Fotografie ist objektiv.
Nein. Das wäre falsch zu behaupten. Jedoch kann man schon sagen, dass in der kollaborativen Fotografie durch das Einbinden von vielen Subjektivitäten eine andere Art der Objektivität entsteht als beim einsamen Fotografen. Wo sich viele verschiedene Arten die Stadt zu sehen verbinden (lassen) entsteht ein Bild von Stadt, welches von viel mehr Menschen nachvollziehbar ist, weil es auch ihre Erfahrungen widerspiegelt. Der feinfühlige, einsame, geniale, meist künstlerische Fotograf – er kann eine sehr gute Beobachtung machen, die aber immer geprägt bleibt von seiner Sichtweise und ihrer Rezeption – was meist in bürgerlichen Zirkeln und Kunstinstitutionen geschieht. Deren Blick auf die Stadt bildet er dann vielleicht sogar besser ab.
Interview: Jörg Becker