Herr Hahne, wUlf Hahneoran arbeiten Sie gerade?

Projektitis
Woran Wissenschaftler im derzeitigen Betrieb vorrangig arbeiten (müssen und daher Lehre, Mitarbeiterführung, Gremienarbeit und Reflexion schleifen lassen), ist die Projektitis - also das Ausarbeiten von Anträgen, um Drittmittel zu erwirtschaften.
Den Mitarbeitern dient das dazu, auch ohne festen Status eine Weiterbeschäftigung auf unsicheren Projektmitarbeiterstellen zu erreichen. Doch auch die Professoren müssen sich an dem Hamsterrennen beteiligen, weil bei ihnen in den Zielvereinbarungen mit ihren Hochschulleitungen die Höhe der zu erwirtschaftenden Drittmittel von Evaluierung zu Evaluierung hoch geschraubt wird. So sitzt man denn an den "großen" Anträgen im Wissenschaftsbereich (DFG, Exzellenzforschung etc.) und gleichzeitig an den "kleinen" der Auftragsforschung.

Nicht entschieden ist dabei, wo der Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt größer ist. Gerade in der anwendungsbezogenen Wissenschaft erscheinen oft pragmatische und experimentelle Vorgehen ertragbringender und innovativer als theoretisch hoch ausgefeilte Forschungsdesigns oder komplizierte Kooperationsnetze, deren wesentliche Arbeit im Pflegen der Netzwerkarbeit besteht...
Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, hat in der ZEIT vom 4.11.2010 eine kritische Betrachtung zur Projektfixiertheit angestellt und dazu aufgerufen, wieder mehr Zeit für zweckfreie Forschung, für Methodenkritik und Reflexion zu gewähren. Gut gebrüllt, möchte man meinen, doch eher handelt es sich um einen Seifenblubb, der verpufft, ehe sich die Blase gebildet hat. Denn im Leistungswettbewerb zählen die quantitativen Effekte, nicht die Qualität. Und auch die Zuschüsse für die Hochschulen hängen von der Entwicklung der eingeworbenen Drittmittel ab, Denken selbst wird nicht belohnt.
Im Hinblick auf Beschäftigungseffekte für junge Wissenschaftler wäre es fatal, einen wachsenden Markt (und nichts anderes ist die Aufblähung der Forschung in der Wissensgesellschaft) zu ignorieren. Leider führt diese Aufblähung von Forschung aber auch zu einem weiteren Effekt: Weil nur noch im Projektkontext gelesen und geforscht wird, wird der Zeithorizont der berücksichtigten Arbeiten immer kürzer. Dies hat den Vorteil, vermeintlich neue Gedanken zu formulieren und sich als innovativ zu gerieren...

Was ich neben dem Projektanträge Fabrizieren derzeit forsche:

Wirtschaftskrise und regionale Nachhaltigkeit
Was mich umtreibt, ist die Weltwirtschaftskrise 2008/09 samt der erfolgten kurzfristigen Reaktionen und der von ihr ausgehenden langfristigen Veränderungen. Die Deutungsmuster reichen von Teilkrisen (insbesondere zum Problem der Geldschaffung im Bankensektor), die sektoral zu bewältigen seien, bis hin zur Deutung als multipler Systemkrise (Ulrich Brand). Folgt man der Systemthese, dann wären alle Anstrengungen auf regionaler Ebene, der Krise zu entkommen, langfristig zum Scheitern verurteilt.
Die Gegenthese lautet: Angesichts des Fehlens erfolgreicher übergeordneter Steuerungsregimes können sich von der regionalen Ebene ausgehend veränderte Wirtschafts- und Lebensweisen durchsetzen, welche den vielfältigen Krisen globaler Entwicklung (wirtschaftlich, ökologisch, gesellschaftlich) eigenständige Nachhaltigkeitspfade erfolgreich entgegensetzen. Können also von der Region Innovationen und Systemänderungen ausgehen, welche einen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft einleiten? Zurückgreifend auf das Konzept des "spatial fix" von David Harvey (siehe geographische revue 2001 Heft 2) ließe sich weiter fragen: Geht damit auch ein Umbau der Raumnutzung einher, so dass das Raumlösungsmuster des auf fossilen Energien beruhenden Zeitalters der Globalisierung abgelöst wird?

Dezentrale Energien und Effizienztechnologien
Der wichtigste Impuls für ein postfossilistisch veränderte räumliche Arbeitsteilung liegt im Energiesektor. Dabei ermöglicht der Einsatz dezentraler erneuerbarer Ressourcen eine Umkehrung der monetären Ströme - von den Ölstaaten hin zu den Regionen vor Ort. Das ökonomische Argument überzeugt die Politik vor Ort am stärksten. Doch die Widersprüche vor Ort werden erst später sichtbar: Flächenkonkurrenz bei der Biomasse, Landschaftsbild bei Wind, Feuerschutz bei PV-Anlagen, ineffiziente Raumnutzungsstrukturen etc. Gern wird in Potentialstudien, Solarkartierungen etc. ein Maximum errechnet, das alle lokalen Ressourcen einbezieht, ohne Nutzungskonflikte und Verfügungsrechte zu beachten. Dies täuscht eine Machbarkeit vor, die im Einzelfall nicht gegeben ist, sondern erst bei einer regional abgestimmten und von der Bevölkerung mitgetragenen Strategie.
Vor drei Jahren haben wir selbst (mit BAUM und anderen) auf Schätzungen und Durchschnittswerten beruhende Szenarien berechnet, wie in der Region Nordhessen in dem Sektor "Dezentrale Energien und Energieeffizienztechnologien" bis zum Jahr 2020 insgesamt 20.000 Arbeitsplätze (also ein beachtenswertes Cluster) entstehen könnten. Aktuell sitze ich an einer Überprüfung, um die seither tatsächlich erzielten Fortschritte zu messen. Dabei zeigt sich, dass die "zufällig" ansässige Solarindustrie zum Wachstumsträger gerät, was aber angesichts von Förderbedingungen und Wettbewerb durchaus volatil ist. Der andere große arbeitsschaffende Bereich liegt in Energieeffizienzmaßnahmen, insbesondere der Gebäudedämmung. Hier liegt die Region jedoch deutlich hinter Durchschnittswerten zurück - ein großes Investitionshemmnis ist dabei die vom demographischen Wandel ausgehende rückläufige Immobiliennachfrage.

Klimaanpassung
Könnte auch der Klimawandel ein Motor für den Umbau in Richtung einer postfossilen Gesellschaft sein? Dass der Klimawandel nicht mehr abgewendet sondern nur in Maßen gemildert werden kann, ist weitgehend anerkannt. Folglich ist die Klimaanpassung eine wichtige Strategie zur Zukunftsbewältigung. Aktivitäten zeigen sich vornehmlich dort, wo Vulnerabilität der Region und Betroffenheit der Bevölkerung groß sind. Dies gilt derzeit vor allem für Küstenregionen, Fließgewässer und Hochgebirge.
Dagegen fehlt in Regionen mit geringer Betroffenheit die Bereitschaft, Anpassungsmaßnahmen (die häufig auch Klimaschutzmaßnahmen sind wie z. B. Gebäudedämmung) vorzunehmen. Vielen Betroffenen ist der Zeitraum der Klimaszenarien im Vergleich mit dem branchenüblichen Investitionszyklen oder mit den Abschätzungen ihres Zukunftskonsums zu lang, um schon jetzt zu investieren. Ein charakteristischer Bereich, um dies aufzuzeigen, ist der Tourismus in Mittelgebirgen. Während im Wintertourismus trotz globaler Erwärmung mit dem Argument der zunehmenden Klimavariabilität weiter auf technische Anpassung gesetzt wird, sind Anpassungsreaktionen der Reisenden und Gastgeber noch Ausnahmen. Allerdings nimmt das Segment der klimasensiblen Reisenden zu (eigene Befragungen im Rahmen von KLIMZUG Nordhessen) und dies wirkt auf die Angebotsanpassung zurück: Eine kleine Gruppe von Anbietern sind in diesem Segment die Vorhut künftigen Reiseverhaltens und richtet sich mit dem eigenen Angebot darauf ein. Auch der Tagungstourismus zeigt sich dem Klimaargument zugeneigt. Für die große Masse allerdings sind Investitionen und Serviceleistungen wegen der Klimaanpassung noch fern liegende Gedanken. Daher ist im Bereich der Motivation und Argumentation viel zu tun.

Postwachstumsgesellschaft
Eine Postwachstumsgesellschaft braucht gute Argumente, um die Kosten des nicht-nachhaltigen Wirtschaftens nicht weiter zu externalisieren und die Gemeingüter der Menschheit zu übernutzen. Wo internationale und nationale Regeln fehlen, können erstens die Kostenwahrheit zeigende Preise und ökonomische Erträge das Wirtschaften beeinflussen. Bei Raumfragen gilt dies insbesondere für die Mobilitätskosten, die ein neues Raummuster erbringen werden. Aber auch der nachhaltige Umbau der Wirtschaft kann von Vorreiterregionen ausgehen, die dadurch zugleich neue Technologien entfalten und Innovationsvorsprünge erarbeiten (s.o. dezentrale Energien). Zweitens wirken regionale Agreements und überzeugende Entwicklungen auf die Raumlösungen von morgen. Dies gilt insbesondere für neue Konsummuster und Lebensstile. Diese können von Raumpionieren entwickelt werden und neue Leitbilder der Gesellschaft ergeben. Dabei geht es auch darum, der Wachstumsfixierung ("Lisbonisation" in der EU) neue Leitbilder qualitativer Entwicklung jenseits vom Wachstumszwang entgegenzusetzen. Dies erfordert auch Überlegungen zu neuen Ansätzen der Raumorganisation. Hier könnte auch die Forschung über schrumpfende Städte und Regionen ihren Beitrag leisten, wenn sie sich denn von der Interpretation des Schrumpfens als negativen Wachstum befreit.



Prof. Dr. Ulf Hahne
Universität Kassel
FB6 Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung
Institut für urbane Entwicklungen
Henschelstraße 2
34127 Kassel

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Ulf Hahne, Jg. 1956
1980 Dipl.-Volkswirt, Schwerpunkt Regionalwissenschaften
1985 Promotion Uni Kiel
Langjährige Tätigkeit in der regionalen Wirtschaftsberatung und Regionalforschung mit Stationen in Bremen und Schleswig-Holstein
1999 Professur "Nachhaltige Regionalentwicklung" (seit 2005: "Ökonomie der Stadt- und Regionalentwicklung") Universität Kassel
2007-2010 Prodekan Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung.
Seit 2009 Fachgruppenleiter "Stadtplanung" und geschäftsführender Direktor des Instituts für urbane Entwicklungen

 

Buchbesprechungen von Ulf Hahne auf raumnachrichten.de:

Daniela Gorsler: Informelle räumliche Planung

Suburbanisierung in Deutschland

Auf dem Weg zu einer neuen regionalen Organisation?

 

Neueste Publikationen:

Hahne, Ulf (Hg.) 2010: Globale Krise - Regionale Nachhaltigkeit. Handlungsoptionen zukunftsorientierter Stadt- und Regionalentwicklung. Detmold: Dorothea Rohn

Hahne, Ulf 2010: Krisenfolgen: Neue Funktionszuschreibungen für die ländlichen Räume. Jahresrückblick 2009. In: AgrarBündnis (Hg.): Landwirtschaft 2010. Der kritische Agrarbericht. - Rheda-Wiedenbrück / Hamm: ABL-Verlag 2010, S. 151-158

Hahne, Ulf 2010: Wertverlust und Eigenheim - Motivation und Ortsbindung. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung. 2. Jg. 2010, Heft 1, S. 13-17   

Hahne, Ulf 2010: Erneuerbare Energien: Chancen für Wertschöpfung in Kommunen und Region. In: Die Gemeinde. Zeitschrift für die kommunale Selbstverwaltung in Schleswig-Holstein. 61. Jg. (2010) 5, S. 135-137
  
Schiffers, Bertram 2009: Verfügungsrechte im Stadtumbau - Handlungsmuster und Steuerungsinstrumente im Altbauquartier. Wiesbaden: VS-Verlag

Sinning, Heidi / Hahne, Ulf et al. 2009: Kommunikation zur Kostenwahrheit bei der Wohnstandortwahl. Strategien zur Kosten-Nutzen-Transparenz für nachhaltige Wohnstandortentscheidungen in Mittelthüringen. ISP-Schriftenreihe - Band 1. Erfurt: Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation

Homepage:
http://www.oekonomie-regionalentwicklung.de

Forschungsbereich Demographischer Wandel:
http://www.region-schafft-zukunft.de

Forschungsbereich Klimaanpassung:
http://www.klimzug-nordhessen.de

Forschungsbereich: Kommunikation in der Regionalentwicklung:
http://www.regionale-prozesse-gestalten.de
http://www.regionsaufstellungen.de