Louise Richardson: Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können. Frankfurt a.M. u. New York 2007. 381 S.

Um es vorweg zu sagen - das Buch ist eindrucksvoll und eines der wichtigeren zum Thema Terroristen und Terror in letzter Zeit. Hier schreibt eine Expertin, die diese Bezeichnung verdient hat, was ihre Analyse der Hintergründe des Terrors, seiner Gründe und Strukturen angeht. Leider gibt es einzelne Punkte, die, ohne die Qualität des Buches als Ganzes zu mindern, Kritik herausfordern. Das Ärgernis liegt dabei nicht bei der Autorin, sondern bei den Herausgebern der deutschen Ausgabe, die in ihrer Übersetzung des Titels eine Erwartung wecken, die so nicht eingelöst wird. Von den Ursachen der Gewalt wird im Buch eigentlich nicht gesprochen, so wie es der Titel vermuten lässt. Der Originaltitel ist "What terrorists want. Understanding the enemy, containing the threat" - und genau um dieses Verstehen geht es im Buch, nicht um die Ursachen von Gewalt als solcher, und schon gar nicht um das Phänomen der Gewalt selbst.

Das Verdienst von Richardson ist, sich genau darauf zu konzentrieren und Vorschläge zu skizzieren, wie künftig Fehler im Umgang mit Terroristen vermieden werden können - ohne sich dabei auf den Typus des islamistischen Terroristen zu beschränken. Dass es bei der argumentativen Herleitung dieser Prämissen im Buch durch die detailreichen Ausführungen des Öfteren zu Wiederholungen kommt, muss dabei in Kauf genommen werden - abträglich ist es der Lektüre auf keinen Fall.
Das Buch gliedert sich zwei sehr unterschiedliche Teile: "die Terroristen" und "die Antiterroristen". Während sich der zweite Teil schwerpunktmäßig mit den Strategien beschäftigt, dem Terror zu begegnen und der Frage nachgeht, was können wir tun bzw. was haben wir im Kampf gegen den Terror unterlassen, setzt der erste Teil dort an, wo sonst eher wenige Analysen beginnen: bei den Terroristen selbst. Richardson macht dabei gleich zu Beginn deutlich, dass eine Beschäftigung mit Terrorismus und seinen Akteuren, keine Apologie des Terrors bedeutet, wie es in der politischen Diskussion indirekt und auch offen schon angeführt wurde. Es gehört zum Wesen einer gründlichen Analyse, die mehr als nur das Wiedergeben von Allgemeinplätzen von so genannten Experten ist, dass das Phänomen des Terrorismus und seine Protagonisten nicht verstanden werden können, wenn man sich nicht auch mit ihnen selbst auseinandersetzt - auch persönlich und mit ihren ganz eigenen Geschichten und Beweggründen (15ff).
Die fünf Kapitel des ersten Teils gehen Stück für Stück genau dieser Frage nach - was macht Menschen zu Terroristen, gibt es Muster und wenn ja, welche? Die Überschriften wirken dabei nur scheinbar wie naive Fragen - u.a. "Was ist Terrorismus?", "Wo kommen Terroristen her?" - dabei scheint genau ihre Beantwortung in den hitzigen Debatten und politischen Schnellschuss-Analysen all zu oft übergangen. Auch wenn der Anlass des Buches der Terrorismus islamistischer Prägung ist, mit dem Kulminationspunkt des 11. Septembers 2001und seinen Folgen, so entfaltet Richardson ihre Analyse anhand von terroristischen Gruppen quer über den Globus, von der deutschen RAF, über die (nord)irische IRA bis hin zum peruanischen Leuchtenden Pfad und natürlich Al Quaida. Genau das macht ihre Ausführungen so interessant, dicht und wertvoll. Das wichtigste Kapitel des ersten Teils ist nur aufgrund dieser dichten Vergleiche möglich. In "Die drei Rs: Rache, Ruhm, Reaktion" versucht sie eine Typologie sekundärer Merkmale aufzustellen, die sich mehr oder weniger in allen Formen des Terrors wiederfinden lassen. Die sekundären Ziele sind es, so Richardson, die den Anschein erwecken, Terrorismus würde funktionieren. Im Gegensatz zu den primären Zielen einer beliebigen Gruppe - Sturz des Kapitalismus, Autonomie, Landgewinn - sind es eben jene sekundären Ziele, über die eine Motivation der Terroristen überhaupt erst erklärt werden kann. Die langfristigen, grundlegenden Ziele sind oft so weit entfernt, dass sie als dauerhafte Motivation nicht unbedingt immer wirksam sein können. Zu den sekundären Zielen gehören Rache, Öffentlichkeit herstellen, Unruhe stiften, Zugeständnisse erreichen, Regressionen provozieren, Stärke zeigen. Gemeinsam ist diesen Faktoren, dass sie erreicht werden können, während die eigentlich für die Legitimation einer Organisation benötigten Ziele häufig unerreichbar scheinen oder zumindest eher als auf eine oftmals unbestimmte Zukunft gerichtet angesehen werden.
Hervorzuheben ist das von ihr behandelte Phänomen der Rache, welches Gewalt für Terrororganisationen überhaupt erst möglich macht. Denn in ihren Selbstverständnis sind sie reagierende Organisationen, die den Kampf, den niemand gewollt hat, führen müssen, weil sie nicht anders können. Rache, oft auch verkleidet als Verteidigung, ist essentiell und Richardson nimmt dem Terrorismus seinen glorifizierenden Nimbus, in dem sie die doch sehr offenkundigen Strukturen, die sich auch rhetorisch nicht leugnen lassen, offenlegt: Rache ist Gewalt und muss als solche analysiert werden, denn sie ist ein wichtiger Beweggrund, auch wenn über sie die stattfindende Gewalt von ihren Verursachern verharmlost wird.
Eindrucksvoll ist ebenfalls das Kapitel zu der Frage, warum sich Terroristen selbst töten. Es ist ein historische, psychologische und soziologische Analyse des Phänomens des Selbstmordattentats, welches eben nicht im Islam begründet ist, sondern in der Psychologie und Logik des Terrors und der Terrororganisationen - zumal die meisten Selbstmordattentate von Freiwilligen der Tamil Tigers begangen wurden und nicht von islamisch-gläubigen Terroristen. Richardson analysiert die Varianten von Terrorakten, bei denen eine Selbsttötung Teil des Gewaltaktes ist und zeigt die Rationalität hinter dieser "Spielart" des Terrorismus - die sich nämlich nicht auf eine bestimmte Religiosität zurückführen lässt, sondern ihre Begründung u.a. auch innerhalb der drei "Rs" findet, vornehmlich Rache, aber eben auch Ruhm und Öffentlichkeit. Letztlich ist es aber auch ein effektives Instrument eines schwachen Kämpfers gegen einen übermächtigen Gegner, diesen empfindlich zu treffen und erfolgreich zu sein.
Der zweite, kürzere Teil des Buches analysiert das Thema auf einer anderen Ebene, nämlich teils praktisch und teils ausgesprochen politisch. Leitend ist für sie dabei die Frage: "Was haben wir falsch gemacht" und "Was können wir jetzt tun". Ihre Antworten sind so einfach wie erschreckend einleuchtend und wahrscheinlich all denen nichts Neues, die sich mit diesem Thema ohnehin befassen. Da dieses Buch aber auch auf ein "nur" interessiertes, aber nicht unbedingt wissenschaftliches Publikum zielt, haben diese Punkte eine enorme Überzeugungskraft und analytische Tiefe. Die Lektüre zeigt jedem - auch nicht Experten -, warum und wie der Westen letzthin im Kampf gegen den neuen Terrorismus, wie er seit dem 11. September 2001 vornehmlich die Öffentlichkeit beherrscht, jeden Fehler gemacht hat, der sich zu machen anbot. Das allein macht ihr Buch enorm wertvoll, vor allem als Grundlage für eine breite (vor allem, aber nicht nur politische) Debatte zu diesem Thema.
Louise Richardson hat ein wichtiges Buch zu dem derzeit wohl prägendsten Thema geschrieben, das sich wohltuend abhebt von den bisher üblichen Analysen zum Phänomen Terrorismus. Es ist politikwissenschaftlich, aber nicht politisch, dabei bezieht sie dennoch klar Stellung, benennt die gemachten Fehler und schlägt Wege vor, dem Terrorismus zu begegnen. Sie zeigt mit einer Fülle an Beispielen der unterschiedlichsten terroristischen Organisationen, quer durch viele historische Epochen und kulturellen Zusammenhängen, ihre Ähnlichkeiten. Das macht das Buch anschaulich und lesenswert. Die Leichtigkeit einer amerikanischen Wissenschaftspublikation sollte nicht darüber täuschen, dass es sich hier um ein exzellentes Buch handelt, welches ein wichtigen Beitrag zu diesem Thema darstellt.
Kritisch anzumerken sind allein zwei Punkte, zum einen die Kategorisierung verschiedener Terrorgruppen in einer Vier-Felder-Matrix. Dort erscheint die Zuordnung bisweilen willkürlich, wird nicht näher begründet und ist durchaus kontrovers diskutierbar. Dort, wo ich es tatsächlich beurteilen kann, erscheint mir z.B. die unterschiedliche Behandlung protestantischer (pro-britischer) und katholischer (pro-irischer) paramilitärischer Organisationen innerhalb der Matrix. Ihrer Logik folgend spricht sie den pro-britischen Organisationen ein engeres Verhältnis zur protestantischen Bevölkerung ab, was so schlicht nicht haltbar ist. Genau an diesem Punkt setzt auch der zweite Kritikpunkt an dem Buch an: Ihre durchaus als verklärte Parteilichkeit für die IRA zu bezeichnende Haltung. Sie macht bereits zu Beginn des Buches kein Hehl daraus, woher sie kommt, vor welchem Hintergrund sie aufgewachsen ist und wie ihre Sympathien im irischen Konflikt gerichtet sind. Ihre an wenigen Stellen durch diese Sympathien persönlich gefärbten und fälschlich wertenden Analysen sind unpassend und trüben das Bild einer glänzenden Analyse an diesen Stellen. Während sie an keiner Stelle eine Wertung zu irgendeiner Person gibt, ist für sie der IRA-Freiwillige Eamon Collins ein "kaltblütiges IRA-Mitglied". So viel bekannt ist, hat Eamon Collins nicht als Mörder für die IRA "gearbeitet", sondern als Intelligence Officer und wurde nach seinen Enthüllungen und dem "Verrat" von der IRA getötet. Keine andere namentlich erwähnte Person in dem Buch erfährt eine solche Wertung. Diese Parteilichkeit trübt die Brillianz des Buches und sollte mit berücksichtigt werden. Zu ihren Gunsten kann man sagen, dass sie selbst in der Einleitung indirekt auf diese mögliche Schieflage bzw. eine leichte Verklärung in Bezug auf die IRA und ihren republikanischen Kampf hinweist. Ansonsten gebührt ihr für dieses Buch das Lob, welches sie dafür von verschiedenen Seiten bereits bekommen hat.
Nils Zurawski

Quelle: Peripherie, 28. Jahrgang, 2008, Heft 112, S. 508-511