Hans-Dieter Haas, Simon-Martin Neumair (Hg.): Internationale Wirtschaft. Rahmenbedingungen, Akteure, räumliche Prozesse. München, Wien 2006. 794 S.

Transnationale Unternehmen gelten – nicht zuletzt für Geographen – als wichtige Treiber der Globalisierung. Gegenstand dieses umfangreichen Lehrbuchs sind die Rationalität, die Strategien und das Entscheidungsumfeld, in dem sich sowohl große TNC als auch kleine und mittlere Unternehmen internationalisieren. Es stammt, ganz unüblich, aus wirtschaftsgeographischer Feder und wurde ausschließlich von Mitarbeitern des wirtschaftsgeographischen Lehrstuhls in München erarbeitet. Das eröffnet stärker als in der allgemeinen Literatur zum internationalen Management eine Perspektive auf die ‚Räumlichkeit‘ des Entscheidungsumfeldes der Unternehmen und die Konsequenzen, die sich daraus für unternehmerisches Handeln ergeben.

Das Buch ist in fünf Teile und 27 Kapitel gegliedert. Teil A „Globalisierungsprozess“ nimmt eine gesellschaftswissenschaftliche Makroperspektive ein, in Kapiteln zur Globalisierung, Unterentwicklung, Nachhaltigkeit, Außenhandel und Direktinvestitionen. Teil B widmet sich im engeren Sinne den ökonomischen Theorien, den makroökonomischen über Warenhandel und den mikroökonomischen zu Direktinvestitionen. Teil C behandelt die ‚Räumlichkeit‘ der internationalen Wirtschaft – nämlich politische Wirtschaftsräume im supranationalen, nationalen und regionalem Maßstab. Teil D befasst sich unter dem unglücklichen Titel „Ausgewählte Aktivitäten der Unternehmen“ mit aktuellen wichtigen Themen wie Fusionen und Offshoring von IT-Dienstleistungen sowie mit einigen Branchen; und der mit 8 Kapiteln sehr große Teil E fokussiert nun endgültig auf einzelwirtschaftliche Aspekte der Wettbewerbsstrategien internationaler Unternehmen – von der Netzwerk- Organisation über Kapitel zur Dynamik der Unternehmens-Internationalisierung bis zu solchen zur Marktbearbeitung, Bewertung von Länderrisiken und zum interkulturellen Management. Also ein sehr umfassendes Programm, das weit über das üblicherweise in der Wirtschaftsgeographie diskutierte Themenfeld hinausgeht.

Das Buch wurde in erster Linie nicht für Geographen geschrieben, sondern für einen interdisziplinären Studiengang, der zwischen Betriebswirtschaft und Wirtschaftsgeographie angesiedelt ist; gerade das macht es so interessant für Geographen, die die hinter dem alltäglichen Handeln internationaler Unternehmen herrschenden ökonomischen Prinzipien verstehen möchten. Aus der Perspektive beider Zielgruppen sind jedoch eine Reihe von Schwächen zu bedauern, die das Buch – zumindest aus wirtschaftsgeographischer Sicht – eher zum Nachschlagen geeigneter Kapitel denn als kohärentes Lehrbuch erscheinen lassen. Diese Schwächen betreffen zum einen die Konzeption, dann die Konstruktion und schließlich die lektorische Gestaltung des Buches.

Zum ersten: Es fehlen wichtige Bereiche einer makroökonomischen Debatte der Weltwirtschaft, denn wie ist eine internationale Wirtschaft heute denkbar ohne Themen wie Währung und Finanzwirtschaft, den globalen Technologiewettbewerb oder globale Standardisierungsprozesse und ohne Konzepte wie Krugmans und Porters Beiträge zur Außenwirtschaftstheorie? Gerade in den makroökonomischen Themen bleibt das Buch weit hinter den aktuell in den Wirtschaftswissenschaften diskutierten Theoriezusammenhängen zurück. Zum zweiten: Manche Kapitel sind sehr einer Aktualität bzw. den lokalen Münchner Interessen geschuldet (China, Indien, Umweltschutz und Luftverkehr). Es kommt zu Redundanzen zwischen den Kapiteln (z.B. beim Außenhandel und Direktinvestitionen, interkulturellem Management), und ein Standortkapitel, das mit keinem Wort auf die Theorien der internationalen Standortstrategie eingeht, scheint schlicht überflüssig. Kurz: Es kommt ein Eklektizismus zum Vorschein, der ein Verständnis des Zusammenwirkens von Internationalisierungsstrategien und Globalisierung sehr erschwert. Zum dritten hätte man sich vor allem – dem Charakter eines Lehrbuchs entsprechend – einen weit ausführlicheren Index und mehr Querverweise zwischen den Kapiteln gewünscht. Dennoch: Das Buch leistet mit seinem starken Blick auf die Gestaltungsebenen internationaler Unternehmen und seiner für Geographen verständlichen Sprache einen wichtigen Beitrag für alle Geographen, die an einem besseren Verständnis der ökonomischen Seiten der Globalisierung interessiert sind. Trotz vielfältigen Bezugs zur wirtschaftsgeographischen Literatur sollte es aber nicht als eine‚Wirtschaftsgeographie‘ gelesen werden, sondern als ein betriebswirtschaftliches Handbuch an der Grenze zu Fragen, die die Wirtschaftsgeographie bewegen.

Autor: Eike W. Schamp

 

Quelle: Die Erde, 138. Jahrgang, 2007, Heft 1, S. 69-70