Frauke Miera: Polski Berlin. Migration aus Polen nach Berlin. Münster 2007. 391 S.
In der jüngeren Migrationsforschung wird polnische Migration nach Deutschland vor allem für die Zeit nach dem Fall der Mauer bearbeitet. PolInnen in Westeuropa gelten als typische TransmigrantInnen, sei es in der häuslichen Pflege, als (oft akademisch ausgebildete) Putzkräfte oder in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit, da ihre Migration häufig durch ein beständiges Hin- und Her gekennzeichnet ist. In ihrer historisch angelegten Studie zeichnet Frauke Miera bereits für die Zeit zwischen 1945 und Ende der 1980er Jahre die Herausbildung komplexer Migrationssysteme nach.
So ist ein überraschender Befund, dass es bereits Ende der 1970er Jahre zahlreiche PendelmigrantInnen zwischen Polen und der BRD und vor allem West-Berlin gab. Schon damals arbeiteten die "TouristInnen" im informellen Sektor als Reinigungskräfte, auf dem Bau oder in Privathaushalten (70ff). Insofern ist die Wiederaufnahme der Beschäftigung in diesen Sektoren nach 1989 nur folgerichtig. Überzeugend ist auch Mieras Rekonstruktion der komplizierten politischen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland in den Fragen von Migration, Flucht und Vertreibung, die sich zwischen Ausreiserestriktionen, 'Menschen gegen Geld'-Austausch, Liberalisierungen und erneuten Restriktionen nach Verhängung des Kriegsrechts in Polen 1981 bewegt. Aufschlussreich ist auch das Kapitel zum Migrationssystem zwischen Polen und der DDR. So war eine versteckte Arbeitsmigration von PolInnen in die DDR unter dem Deckmantel von Praktika, Studierendenaustausch oder "Ferien auf dem Lande" (99-110) ebenso üblich wie offizielle temporäre Beschäftigung in der DDR. In Polen wurden die Arbeitseinsätze der oftmals qualifizierten Kräfte in körperlich anstrengenden einfachen Tätigkeiten vor dem historischen Hintergrund der Zwangsarbeit im Dritten Reich kritisiert (106). Diese staatlich tolerierte Tradition, nicht entlang vorgegebener Regeln zu migrieren und zu arbeiten, erklärt mit, warum es für viele PolInnen völlig selbstverständlich war, auch nach 1989 im informellen Sektor Deutschlands und Westeuropas zu arbeiten. Die Rekonstruktion dieser Migrationssysteme durch Miera ist zwar implizit theoriegeleitet - der Begriff der Migrationssysteme lässt auf die gleichnamige theoretische Tradition schließen sowie die neueren Ansätze der Transmigration -, allerdings hätte sich die Leserin an mehr Stellen eine theoretische Reflexion oder internationale Vergleiche wie in den Ausführungen zum "ethnic business" gewünscht. Das knapp 100 Seiten lange Anmerkungsverzeichnis steht zudem etwas im Missverhältnis zur Gesamtlänge der Studie und hätte für die Veröffentlichung durchaus entschlackt werden können. Die Stärke des Buches liegt in dem analytischen Blick der Autorin, bereits frühe transnationale Prozesse zu identifizieren sowie in dem Einbezug der Rolle von Selbstorganisationen polnischer MigrantInnen in Berlin. Diese beiden Aspekte erlauben es, nicht eine Geschichte über PolInnen in Berlin, sondern auch mit ihnen und ihre Verwicklung in ökonomische und politische Strukturen und Prozesse zu schreiben.
Helen Schwenken
Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 113, S. 111
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