Justin Akers Chacón und Mike Davis: Crossing the border. Migration und Klassenkampf in der US-amerikanischen Geschichte. Berlin 2007. 352 S.
Nach der Veröffentlichung des Originals (No one is illegal. Fighting Racism and State Violence on the U.S.-Mexico Border, 2006) hat nun Assoziation A schnell die deutsche Übersetzung eines Buches herausgebracht, das sich viel vornimmt - und das Meiste davon auch sehr ordentlich einlöst. Justin Akers Chacón und Mike Davis verweben die Geschichte der Migration in den Südwesten der USA mit einer Geschichte des Rassimus gegenüber den Migrierenden und dies unter dem Blickwinkel von Klasseninteressen und Klassenkämpfen. Sie zeigen dabei neben den Strukturen dieser Prozesse und ihrer Zusammenhänge, und den vielen heftigen Niederlagen, auch immer wieder das Aufbegehren und die Kämpfe der Migrationsbevölkerung gegen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Der zeitliche Bogen des Vorhabens ist weit gespannt, von der Nachbürgerkriegsphase (ab 1877) bis zu den Massendemonstrationen des Jahres 2006. Geographisch ist vor allem Kalifornien im Blickpunkt, die beiden Autoren aber verstehen und präsentieren diesen Fall als exemplarisches Lehrstück von Migration, Rassimus und Klassenauseinandersetzungen, so daß die Struktur und Dynamiken dieser Prozesse auch anderswo deutlicher erkennbar werden können - womit das Buch sich außerordentlich gut als politische Einführungsliteratur eignet und sich explizit nicht nur an ein akademisches Publikum richtet.
Das Buch ist unterteilt in insgesamt 32 Kapitel, die jeweils am Ende ein kurzes Resumé liefern und gut und knapp auch einzeln gelesen werden können. Der erste Teil des Buches, von Mike Davis geschrieben, behandelt das Phänomen der "Vigilanten", also der selbsternannten 'Bürgermilizen', in der Geschichte der USA: Die Vigilanten waren im Laufe der Geschichte (und sind bis heute) rassistisch, gewalttätig und funktional selbsternannte oder bewußt eingesetzte Streikbrecher und damit Kampftruppe im Klassenkampf der Unternehmer gegen die migrantische, gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft. Jüngstes Beispiel des "Vigilantismus" sind neben dem notorischen Ku-Klux-Klan die "Minuteman", die mit großem Medienecho, trotz teilweise minimaler physischer Präsenz, den Grenzschutz in die eigene Hand nehmen und in Arizona und Kalifornien Jagd auf klandestin Migrierende machen.
Funktional haben und hatten die Vigilanten dabei einen großen Anteil daran, so die These Mike Davis', daß die Kluft einerseits zwischen den "weißen" USamerikanischen Arbeitenden und den Zugewanderten, andererseits zwischen der Industriearbeiterschaft in den Städten und dem Landarbeiterproletariat, bis heute nicht überwunden ist. Zweitens haben die Vigilanten es geschafft, durch massive Gewalt und Einschüchterung (bis hin zu Folterungen und Morden) die zum großen Teil von migrantischen Arbeitenden getragenen Arbeitskämpfe in der Landwirtschaft zu zerschlagen.
Im zweiten Teil beginnt Justin Akers Chacón mit einer kurzen, komprimierten Einführung in die wirtschaftliche und politische Entwicklung Mexikos und die Geschichte der Grenzregion Mexiko-USA (mit der Annektion des heutigen Südwestens der USA von Mexiko, die neoliberalen Umstrukturierung der mexikanischen Wirtschaft, bis zur Einrichtung der mexikanischen Grenzregion als Sonderwirtschaftszone, der sog. "Maquiladoras").
Sein Hauptanliegen ist aber die Skizzierung der Entwicklungsgeschichte mexikanischer ArbeiterInnen in den USA (strukturell gilt dies neben dieser mittlerweile größten Gruppe auch für alle anderen Migrationsarbeitskräfte in den USA) als "die 'andere' amerikanische Arbeiterklasse": Vom Kapital dringend benötigt, vor allem in der Agarwirtschaft, auf die das gesamte Buch ganz deutlich den Fokus legt, und durch zwei ineinandergreifende Mechanismen strukturell als billige und leicht zu handhabende Arbeiterklasse gehalten: Erstens mit Hilfe von Gesetzgebungsmaßnahmen - u.a. den Arbeitskräfteabkommen a la "Bracero" - aber vor allem durch die ständige Reproduktion des rechtlosen Status als "Illegale" und damit jederzeit der Repression und Abschiebung ausgesetzt. Zweitens durch die zumeist rassistische Ausgrenzung der ArbeitsmigrantInnen, die durch die Politik, die Unternehmer, immer wieder auch die Gewerkschaften neu zementiert wurde. Die Anschläge vom 11.9.2001 und die Militarisierung der Grenze mit Mexiko sind dann nur noch eine Überzeichnung dieser dichotomen Politik, die den gewollten Effekt hat, die "eigenen" US-amerikanischen ArbeiterInnen gefügig, und die 'fremde' Arbeitskraft billig und politisch mundtod zu halten.
Zum Schluß und als Ausblick behandelt Chacón die aktuellen Kämpfe, vor allem jene des Jahres 2006 mit dem ersten landesweiten Streik und den Massendemonstrationen des 1. Mai (unter dem Motto "Ein Tag ohne Migranten"), die laut Chacón quantitativ und qualitativ eine neue Dimension angenommen haben.
Der im Buch spürbare Optimismus und kämpferische Geist im Nachweis des andauernden Widerstandes macht beim Lesen Freude (und das ist sicherlich auch eines der Ziele der beiden Autoren), auch wenn die Analyse der Kräfteverhältnisse und die Erzählung der großen Niederlagen in diesen Klassenauseinandersetzungen pessimistisch stimmen könnte.
Leider finden sich an einigen Stellen des Buches kleinere inhaltliche Wiederholungen, da sowohl Davis als auch Chacón teilweise dieselben Phänomene (u.a. die "Vigilanten") behandeln. Hier wären Verweise hilfreich gewesen und es entsteht der Eindruck, daß das Buch aus zwei eigentlich auch separat funktionierenden (und konzipierten Teilen) besteht.
Die deutsche Übersetzung von Matthias Becker und Hanna Schröder zeichnet sich durch einige hilfreiche Hinweise aus, die einem deutschen Lesepublikum nicht geläufige USamerikanische Ereignisse kurz erläutert. Auch wenn die Sprache, vor allem im Teil von Mike Davis, teilweise geschwollen daherkommt ("blutgetränkte Felder Kaliforniens") und sich bis in den Verzicht auf theoretische Klärung benutzter Begriffe ("halbfaschistische Bedrohung", 14) steigert, machen doch gerade die vielen zitierten O-Töne (aus Berichten von Zeitzeugen, aus Reden und Zeitungsartikeln) und Beschreibungen der wirklich sehr konkreten Kämpfe auf den Feldern einen großen Gewinn des Buches aus.
Insgesamt ein sehr gelungenes Buch, das auf gute Lesbarkeit achtet und seine inhaltliche Zielrichtung - die Zusammenhänge von Migration, Klassenkämpfen und Rassismus - immer wieder deutlich und klar in den konkret beschriebenen Situationen herausstellt.
Johannes Specht
Quelle: Peripherie, 29. Jahrgang, 2009, Heft 113, S. 112-114
siehe auch die Besprechung von Malte Meyer
weitere Besprechungen dieses Buches unter:
http://www.grundrisse.net/buchbesprechungen/Justin_Chacon_Mike_Davis.htm
http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=30769
http://www.socialnet.de/rezensionen/7544.php
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=11558&count=5&recno=1&type=rezbuecher&sort=datum&order=down&search=Crossing+the+border