Ortwin Renn, Pia-Johanna Schweizer, Marion Dreyer und Andreas Klinke: Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit Unsicherheit. München 2007. 271 S.
Risikoforschung richtet sich auf das Spannungsfeld zwischen unabwendbaren Gefahren ("Gefahren ausgesetzt sein") und zukunftsgerichteten, kalkulierten Risiken ("Risiken eingehen"). Der gesellschaftliche Umgang mit Risiken bezieht sich daher immer auf eine unvorhersehbare Zukunft. Allerdings stehen jetzt und heute Entscheidungen über Risiken an, die weit in die unsichere Zukunft hineinreichen. Dies ist das Grunddilemma des Risikohandelns. Folgen wir ULRICH BECKs "Weltrisikogesellschaft" (2007), so machen globale Risiken - von der Finanzkrise bis zum Klimawandel - immer riskantere gesellschaftliche Entscheidungen notwendig, die heute die Zukunft der Weltgesellschaft bestimmen, ohne dass die Entscheidungsgrundlagen offen liegen. Risiko wird damit zu einem neuen Vermittlungsthema zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Technik und den Medien, bei dem die Schnittstellen zwischen Risikokalkül und Sicherheitsbedarf unter Bedingungen von Unsicherheit immer neu ausgehandelt werden müssen.
Auf dieses Dilemma - heute Entscheidungen über den gesellschaftlichen Umgang mit einer unsicheren Zukunft fällen zu müssen - richtet sich das vorliegende Buch, das von einem Autorenteam um den Stuttgarter Umwelt- und Techniksoziologen ORTWIN RENN im Rahmen einer Sondierungsstudie des BMBF vorgelegt wurde. RENN und sein Mitautorenteam möchten mit diesem Buch eine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig politisch befriedigende Antwort auf die Frage geben, wie hoch die Risiken in der modernen Welt tatsächlich sind, wie die Gesellschaft sicherstellen kann, dass ökonomische, zivilgesellschaftliche und politische Regulierungsformen tatsächlich greifen und welche Rolle dabei der Risikoforschung zukommt.
Das Buch beginnt im Kapitel 2 mit einer Diskussion verschiedener Risikokonzepte. Dabei werden technisch-naturwissenschaftliche Konzepte von Risiko mit sozialwissenschaftlicher Risikoanalyse kontrastiert. Die Autoren postulieren, dass beide Zugänge komplementär sein müssen, und sie bezeichnen ihren eigenen Ansatz als den eines "moderaten Realismus", der im Spannungsfeld zwischen realistischen und konstruktivistischen Ansätzen der Risikoforschung eher dem Realismus zuneigt. Diese Positionierung wirkt allerdings wenig überzeugend, wird doch eingangs festgestellt, dass Risiken, wenn sie denn als gesellschaftlich gestaltbar und zukunftsgerichtet begriffen werden, immer in gesellschaftliches Erfahrungswissen eingebettet und gesellschaftlich wahrgenommen, interpretiert, bewertet, ausgehandelt und konstruiert werden. Das gilt in besonderem Maße für "systemische" Risiken wie Finanzkrisen oder Klimawandel, die in einem recht isoliert wirkenden fünften Kapitel als globalisierte, entgrenzte, hoch komplexe und überaus unsichere Formen von Risiken vorgestellt und nachträglich in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Das dritte Kapitel des Buches ist ein eher deskriptiver, technisch orientierter Abriss zum Konzept von "risk governance", hier als Risikoregulierung übersetzt. Die Behandlungskette der Risikoregulierung reicht dabei von der Problemdefinition über die Risikoabschätzung und Risikowahrnehmung bis hin zur Risikobewertung und abschließend zum Risikomanagement. Parallel dazu tritt die Risikokommunikation, die in allen Phasen der Risikoregulierung zwischen Risikoverursachern, Risikoträgern und dem eigentlichen Regulierungshandeln vermittelt. Leider kommt es in diesem ansonsten instruktiven Kapitel zu zahlreichen Wiederholungen aus dem vorhergehenden Abschnitt des Buches, z.B. über Fragen der Risikowahrnehmung. Recht unvermittelt folgt dann ein viertes Kapitel zur sozialökologischen Fundierung der Risikoforschung, ohne dass die Autoren zuvor angedeutet haben, dass es ihnen von nun an in erster Linie um systemische Risiken und dabei speziell um Umweltrisiken gehen soll, die sich an der Schnittstelle von physischer und materieller Welt manifestieren. In diesem Kapitel finden sich anregende Hinweise für eine geographische, auf Gesellschafts-Natur-Verhältnisse ausgerichtete Forschung. Allerdings bleibt die erkenntnistheoretische Tiefe dieser Risikokonzeption weit hinter der von BECKER und JAHN (2006) vorgestellten "Sozialen Ökologie" zurück. Das gilt vor allem, wenn es um die Beziehungen und Rückkopplungen zwischen gesellschaftlichen und natürlichen Dimensionen von Risiken geht und um die Kernfrage der sozialen Ökologie, nämlich die nach der Regulation der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Das letzte, sechste Kapitel des Buches befasst sich abschließend mit Risikopartizipation und mit den theoretischen Begründungen und konkreten Erfordernissen von Beteiligungsverfahren. Auf der Grundlage der Theorie des kommunikativen Handelns von HABERMAS und seinem Primat des herrschaftsfreien Diskurses plädieren die Autoren für partizipatorische, verständigungsorientierte Formen zivilgesellschaftlicher Beteiligung an den gesellschaftlichen Entscheidungen zur Risikoregulierung und für ein diskursives Risikomanagement. Hier wie im Kapitel zur "risk governance" merkt man dem Buch besonders deutlich an, dass es eine Auftragsarbeit für das BMBF darstellt.
Für die Geographische Risikoforschung bietet das Buch wichtige Anregungen, speziell was die konzeptionellen Grundlagen und die Komponenten der Risikoregulierung betrifft. Auch die Überlegungen zu den Verteilungswirkungen, Gerechtigkeitsprinzipien und Konfliktpotentialen von Entscheidungsprozessen bei der Risikoregulierung geben wichtige Hinweise auf geographische Dimensionen der Risikoforschung. Die Ausführungen zur sozialökologischen Ausrichtung der Risikoforschung bleiben dagegen deutlich hinter den kritischen Diskussionen zu integrativen Ansätzen in der Geographie zurück (z.B. EGNER 2008). Auch werden Konzepte von gekoppelten sozialökologischen Systemen und Fragen von sozialökologischer Verwundbarkeit, Anpassung und Resilienz, die in der (geographischen) Forschung über globalisierte Umweltrisiken eine immer wichtigere Bedeutung als Querschnittsthemen einnehmen, gar nicht angesprochen. Weiterhin bleibt die kritische Rolle von Skalenfragen, etwa im Spannungsfeld zwischen globalen Risiken und lokalen Verwundbarkeiten, unerwähnt. Schließlich fehlen empirische Beispiele über den gesellschaftliche Umgang mit Unsicherheit und konkrete Belege dafür, wie partizipatorische Beteiligungsverfahren bei der Risikoregulierung tatsächlich wirksam werden.
Wenn sich die Risikoforschung auf globale, systemische Risiken konzentriert, so wie es die Autoren dieses Buches tun, dann stellt sich nicht zuletzt die Frage nach den Möglichkeiten und speziell nach den Grenzen der gesellschaftlichen Risikoregulierung. Das gilt besonders, wenn solche Risiken als Bumerangeffekte einer selbst zerstörerischen und immanent krisenhaften industrielltechnischen Zivilisation begriffen werden. Nicht die Versäumnisse oder Niederlagen der Moderne, so BECK in seiner "Weltrisikogesellschaft", führen zu globalen Umweltrisiken und Destabilisierungen, sondern gerade ihre Siege. Bei der Regulierung systemischer Risiken geht es demzufolge weniger um das Management der "Risikogesellschaft" denn um Grundfragen zu "Risiko Gesellschaft" (GÖRG 2001). Vor diesem Hintergrund kann Risikoregulierung nicht ganz darauf verzichten, auch nach den gesellschaftlichen Ursachen von neuen Risiken zu fragen und gesellschaftliches Handeln auf die Entstehungsbedingungen von globalen Risiken zu richten. Schließlich zeigt die wissenschaftliche Beschäftigung mit komplexen, letztlich nicht vorhersehbaren Risiken immer deutlicher, dass mehr Erkenntnisse über Risiko zwar das Risikobewusstsein schärfen und Risiken kollektiv sichtbar machen können, dass aber Unsicherheiten und Ungewissheit, Nichtwissen oder gar Nicht- Wissen-Können (KASPERSON u. KASPERSON 2005) die normative Kraft von Wissenschaft untergraben. Eine Risikoforschung, die sich wie das vorliegende Buch auf den gesellschaftlichen Umgang mit Unsicherheit konzentriert, muss sich daher auch darauf einrichten, gerade das Nichtwissen und das Nichtwissbare zu kommunizieren.
Hans-Georg Bohle
Literatur
BECK, U. (2007): Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Frankfurt.
BECKER, E. u. JAHN, T. (Hg.) (2006): Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Frankfurt, New York.
EGNER, H. (2008): Gesellschaft, Mensch, Umwelt - beobachtet: Ein Beitrag zur Theorie der Geographie. Erdkundliches Wissen 145. Stuttgart.
GÖRG, C. (2001): Risiko Gesellschaft. Naturverhältnisse in der Theorie Luhmanns. In: DEMIROVIC, A. (Hg.): Komplexität und Emanzipation. Kritische Gesellschaftstheorie und die Herausforderung der Systemtheorie Luhmanns. Münster.
KASPERSON, J. X. u. KASPERSON, R. E. (2005): The social contours of risk. London.