Dieter Plehwe, Bernhard Walpen u. Gisela Neunhöffer (Hg.), Neoliberal Hegemony. A Global Critique. London u. New York (RIPE Studies in Global Political Economy, Vol. 18) 2006. 294 S.

Der Neoliberalismus als offene Machtapologetik ist in der Defensive. Dennoch wird sein politisches Programm weiter betrieben, auch ohne aktiven Konsens. Hg. haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Paradox von Defensive und globaler Hegemonie des Neoliberalismus zu Beginn des 21. Jh. zu erklären und die Notwendigkeit "for principled opposition" (22) herauszustellen.

Dabei verweisen sie auf die Offenheit dieses hegemonialen Projektes: Es gibt nicht einen Neoliberalismus, sondern "a family of neoliberalisms". Die Pluralität ermöglicht es, neoliberale Hegemonie als einen "ongoing process of struggle and compromise" (2) zu entschlüsseln. Neoliberalismus wird dadurch anpassungs- und ausgesprochen überlebensfähig. Einem neo-gramscianischen Ansatz verpflichtet, der die widersprüchliche Vermittlung zwischen politischer und ziviler Gesellschaft sowie der Rolle von Intellektuellen in und für einen geschichtlichen Block an der Macht untersuchen will, präferieren Hg. die Analyse von "neoliberal hegemonic constellations instead of offering a definition of a universal neoliberal hegemony" (15).
Den roten Faden bildet die Analyse neoliberaler Think Tanks, Netzwerke sowie konservativer Stiftungen, die als Sponsoren auftreten (vgl. auch buena.vista.neoliberal.de). Neoliberalismus wird somit nicht als ›Zeitgeist‹ betrachtet, sondern in eine ausgesprochen materielle Infrastruktur für die wissenschaftliche, ökonomische und politische Hegemonialwerdung platziert. Nachgegangen wird der Entstehung des Neoliberalismus, seinen (Re-)Konfigurationen, Disseminationen und Gegenbewegungen.
Im Zentrum des ersten Teils stehen Projekte der Organisation neoliberaler Akteure in global agierenden Netzwerken, die die Formierung und Verfolgung klarer Strategien ermöglichen, dabei aber soviel Spielraum lassen, "that the consensus is a loose and variegated one, not a monolithic doctrine" (William K. Carroll/Colin Carson 68). Plehwe und Walpen spannen das Feld auf, verfolgen die Genese der Mont Pèlerin Society als Keimform neoliberalen Denkens. Über neoliberale Netzwerke und Think Tanks wurde eine Infrastruktur geschaffen, mit deren Hilfe strategisch wichtige Eliten erreicht werden konnten. Diese Netzwerke "are capable to rapidly change tactics", so dass Verf. warnen, Strategieänderungen als "evidence for neoliberalism's defeat" (45) zu interpretieren. Carroll und Carson diskutieren die Formierung einer "fully transnational capitalist class" (51). Sie analysieren ein Netzwerk von fünf "elite policy-planning groups" (53), die Zusammenkünfte wie das Weltwirtschaftsforum in Davos organisieren, bei denen Geschäftseliten gemeinsame Strategien entwickeln und sich mit politischen Entscheidungsträgern absprechen können. Dieses Netzwerk ist hochgradig zentralisiert und durch einen weitgehenden Ausschluss des ›globalen Südens‹ gekennzeichnet, was es zu einem zentralen Feindbild der globalisierungskritischen Bewegung macht. Christian Weller und Laura Singleton betrachten die Rolle von Think Tanks bei der Formierung der neoliberalen Agenda von Weltbank und IWF.
Der zweite Abschnitt widmet sich hegemonialen Konstellationen in Osteuropa am Beispiel Polens (Dorothee Bohle/Gisela Neunhöffer), in Ostasien mit Fokus auf Südkorea (Mark T. Berger) und in Lateinamerika - speziell Mexiko (Enrique Dussel Peters). Für alle wird das Zusammenspiel nationaler und transnationaler Akteure untersucht sowie die je spezifischen historischen Bedingungen der Entstehung und Durchsetzung neoliberaler Politiken. Die Fallbeispiele zeigen, dass die Verbreitung des Neoliberalismus auch in (semi-)peripheren Staaten nicht einfach durch Auflagen internationaler Finanzinstitutionen erklärt werden kann und dass nicht nur historisch, sondern auch regional von Neoliberalismen gesprochen werden muss. Im dritten Teil wird der Versuch unternommen, neoliberale Hegemonie in einzelnen Diskursen auszuloten. Richard Hull analysiert epistemologische Debatten neoliberaler Denker zu Beginn des 20. Jh. und zeigt, wie neoliberale Diskursstrategien als bewusste politische Interventionen eingesetzt werden. Science Fiction wird als ein Weg der Popularisierung zentraler libertärer Ideen präsentiert (Peter Josef Mühlbauer). Oliver Schöller und Olaf Groh-Samberg zeigen - mit einem bourdieuschen Ansatz - den Weg in die Wissensgesellschaft am Beispiel des Bildungsreformdiskurses in Deutschland auf. Susanne Schunter-Kleemann und Plehwe problematisieren den Gender-Mainstreaming-Diskurs als janusköpfi ge Strategie zur Integration von Frauen in marktorientierte Modernisierung. Trotz größerer Heterogenität bleibt auch dieser Abschnitt dem Generalthema verpflichtet, indem Vorstellungen von Mitgliedern der Mont Pèlerin Society bearbeitet werden (Hull; Mühlbauer) oder die Fähigkeit der Bertelsmann-Stiftung zur Steuerung politischer Diskurse aufgezeigt wird (Schöller/Groh-Samberg). Die Auseinandersetzung mit dem Gender-Mainstreaming-Diskurs hingegen steht von der Anlage her schon mit einem Bein im nächsten Abschnitt. Denn im vierten Teil geht es um die Fähigkeit des Neoliberalismus "to absorb and neutralise potentially counter-hegemonic forces and ideas" (Hans-Jürgen Bieling, 221). Zunächst werden Kommunitarismus (Bieling) und kultureller Nationalismus (Radhika Desai), die sich als Alternative zum Neoliberalismus präsentieren, unter die Lupe genommen. Beide entpuppen sich letztlich als kompatibel, wenn nicht gar als (notwendige) Ergänzung zum Neoliberalismus. Ulrich Brand zeigt auf, dass Globalisierungsgegner z.T. selbst der neoliberalen Diskurs-Logik einer "state-marketdichotomy " (247) folgen, anstatt die - gerade von Globalisierungskritikern erfolgreich politisierten - Widersprüche des globalen Kapitalismus zur Entwicklung grundsätzlicher Alternativen zu nutzen. Leider, oder zum Glück, folgt daraus keine Handlungsanleitung. Dennoch bietet der Band durch die konsequente Benennung neoliberaler Akteure auch konkrete Anhaltspunkte für Kritik und Widerstand.  
Marion Löffler

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 155-157