Bernhard Peters: Der Sinn von Öffentlichkeit, hgg. v. Hartmut Weßler, Vorwort von Jürgen Habermas. Frankfurt/M 2007. 410 S.

Wenn sich sozialwissenschaftliche Arbeit in Zeiten ihrer Spezialisierung erst einmal ihre methodischen Prinzipien geschaffen hat, löst sie sich nur ungern wieder davon. Im Falle der Literatur zu Demokratie und Öffentlichkeit gleicht deren methodisches Entweder-Oder von normativer Theorie und empirischer Forschung einem Weg in die Dämmerung: Das methodische Licht ist zu schwach, um den Gegenstand angemessen beleuchten zu können. Es ist das Verdienst des Verf., beide Vorgehensweisen zu verbinden.

Aufgrund seines frühen Todes ist das Buch lediglich eine Zusammenstellung von Kapitelentwürfen und bereits veröffentlichten Schriften. Mit ihnen verbindet der Hg. die Absicht, zumindest die Anatomie der geplanten empirisch fundierten Öffentlichkeitstheorie sichtbar zu machen. Die von 1993 bis 2005 stammenden Beiträge reichen von der Behandlung begrifflicher Grundlagen und Fragen der Transnationalisierung und Europäisierung von Öffentlichkeit bis hin zu Problemen demokratischer Legitimität und kollektiver Identität.
Für den Brückenschlag zwischen Theorie und Empirie, zeigt sich Verf. von Max Webers Konzept des Idealtypus geprägt. Er entwirft ein "emphatisches" Modell von Öffentlichkeit "unter der Annahme, dass ähnliche Konzeptionen eine wichtige Rolle als normative Leitbilder in modernen Gesellschaften gespielt haben und noch spielen" (65). Er stellt dabei Gleichheit und Reziprozität der kommunikativen Beziehungen, Offenheit und adäquate Kapazität für Themen und Beiträge sowie eine diskursive Kommunikationsstruktur als Forderungen heraus. Indem er diesen Ansprüchen eine heuristische Funktion verleiht, kann er "beschreiben, wo, in welcher Form, in welchem Grad die realen Verhältnisse sich den Eigenschaften des Modells annähern oder davon abweichen" (68).
Das klingt wie ein brauchbarer Vorschlag. Nicht zuletzt weil Verf. die Absicht hat, gerade auf die variablen Faktoren zu achten. Wie er diese von fixen Faktoren unterscheidet, sagt er allerdings nicht. Schon in den programmatischen ersten Aufsätzen wird deutlich, dass er die Variabilität v.a. in der Theorie sieht (vgl. 67). Daraus, dass z.B. "grundlegende strukturelle Beschränkungen" egalitären Partizipationsansprüchen in "großen Öffentlichkeiten " entgegenstehen (101, 202), folgt für ihn, dass derartige Ansprüche nun "einfach kein intelligibles Ideal für moderne Öffentlichkeiten" mehr sind (193). Stattdessen fügt er - ganz á la Habermas - in seine Konzeption die Kategorie Vertrauen ein, das Experten, Rollenträger, Institutionen etc. zukommen soll, um eine "funktionierende Öffentlichkeit" zu gewährleisten (100). Immerhin zieht er sich nicht auf eine rein "realistische" Position zurück, die Repräsentationsmodellen den Primat zuspricht und deren Tendenz zur administrativen "Verselbständigung" ignoriert (46). Der konzeptionelle Kompromiss scheint eher auf spezialisierte Teilöffentlichkeiten ("publics") hinauszulaufen, die sowohl "integrativ" als auch entscheidungsfördernd funktionieren sollen (vgl. 54).
Von den ›realpolitischen‹ Konzessionen abgesehen, gibt es auch theoretische Beschränkungen: Ist nicht die innere Widerspruchsfreiheit eine wichtige Voraussetzung eines Idealtypus wie auch einer auf diesen gestützten Kritik? Wohl wissend, dass innere Konflikte, z.B. zwischen der Forderung nach genereller Offenheit und adäquater Kapazität, denkbar sind, hat Verf. deren Bearbeitung auf später verschoben (68f). Die Konsequenz bleibt freilich bestehen: Fordert er die generelle Offenheit, beschränkt er automatisch die Kapazität, und umgekehrt. Die Konzeption droht hier über sich selbst zu stolpern und auf ihrem kritischen Stachel zu landen. Richtet sich der Blick auf zentrale Kategorien wie "Öffentlichkeit" und "Diskurs", so scheint dieser Stachel aber ohnehin nicht wirklich spitz zu sein. Denn während Idealtypen im weberschen Original als Sinnbegriffe die Eigenart von Kulturerscheinungen zum Ausdruck bringen, sind die bei Peters mit derselben Bezeichnung belegten Konstrukte bloße Gattungsbegriffe. So wird "Öffentlichkeit" einerseits als sozialer Raum ("public sphere") und andererseits als Kollektiv von Sprechern und Zuhörern ("public") vorgestellt (z.B. 203), und zur Identifikation von "Diskurs" genügt Verf. das Vorliegen von Argumentation und Begründung (195, 327). Eine Differenzierung zwischen z.B. politischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Varianten von Öffentlichkeit und Diskurs wird vernachlässigt. Aber wären nicht inhaltliche Färbungen für eine Diagnostik gerade von politischer Öffentlichkeit, die ihr Wachsen oder Schrumpfen aufzeigen könnte, wünschenswert? Und wäre es nicht wissenswert, wie das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit in politischen Diskursen aussieht? Dieses Defizit ist besonders ärgerlich bei dem Begriff Diskurs, dem Verf. die Bedeutung eines "Hauptmechanismus der kulturellen Reproduktion und des kulturellen Wandels" beimisst (328, 245).
Was so aussichtsreich als Verbindung von Theorie und Empirie begonnen hat, deutet in der politischen Perspektive auf eine weitgehend "realistische" und am Konsens orientierte Demokratietheorie hin. Dass Verf. die "Möglichkeiten [...] bewusster kollektiver Selbstregulierung mit den Mitteln von Recht und Politik für sehr begrenzt" hält (35), mag seiner Wende vom "engagierten Marxisten zu einem ebenso radikalen Liberalen" (Habermas) geschuldet sein. Diese ist jedoch kein Grund, zentrale Begriffe wie Öffentlichkeit und Diskurs inhaltlich unbestimmt und damit analytisch wie kritisch unter ihren Möglichkeiten zu belassen. Dem Band ist gleichwohl eine breitere Beachtung gewiss, schon wegen der englischen Ausgabe (Public Deliberation and Public Culture: The Writings of Bernhard Peters, 1993-2005, Basingstoke 2008) und dem Engagement von Habermas, der sowohl das Vorwort zu beiden Ausgaben beisteuert als auch Peters' Perspektiven aufgreift (Ach, Europa, Frankfurt/M 2008, 138-91).  
Daniel Bode  

Quelle: Das Argument, 50. Jahrgang, 2008, S. 274-275