Daniel Barben: Politische Ökonomie der Biotechnologie. Innovation und gesellschaftlicher Wandel im internationalen Vergleich. Frankfurt/M, New York 2007. 331 S.
Wir sind Zeugen der "Emergenz der aus der ›Verschmelzung von Biowissenschaft und Informatik‹ (Haraway) im Schoße des transnationalen High-Tech-Kapitalismus resultierenden Produktions- und Lebensweise", heißt es im Editorial von Argument-Doppelheft 242, Geburt des Biokapitalismus (2001). Dass dieser Prozess nicht naturwüchsig vor sich geht, sondern Objekt einer strategischen Allianz von Staat, öffentlichen Forschungseinrichtungen und verschiedenen Kapitalfraktionen ist, geht aus den empirischen Einblicken hervor, welche die hier anzuzeigende Studie überreichlich vermittelt.
Barben, laut Impressum "Forschungsprofessor am Consortium for Science, Policy and Outcomes an der Arizona State University", verbindet vier analytische Dimensionen - Diskursanalyse, Technikgenese, Institutionen- und Praxisanalyse - in dem von der evolutionären und institutionellen Ökonomie inspirierten "Begriff des technologischen Regimes [...], der die soziohistorische Konfiguration von Technologien in Struktur-, Handlungs- sowie Makro- und Mikroperspektiven zu untersuchen erlaubt" (22). Das Ergebnis dieser "integralen soziologischen Perspektive" (14) ist eine "Regimeanalyse der Biotechnologie" (63) in Gestalt eines systematischen und umfassenden Vergleichs zwischen den USA und Deutschland. Die jeweiligen "neoliberalen Konfigurationen" (50ff) und "Typen des Neoliberalismus im Kontext" (58ff) werden - etwa in der Konfrontation der Politiken Clintons und Bushs Jr. - gebührend berücksichtigt. Die beiden Länderstudien werden historisiert und im Blick auf die internationalen Bedingungen (NAFTA bzw. EU sowie internationale Organisationen wie UN, OECD, WTO, G7 usw.) konkretisiert. Nach sorgfältiger methodologischer und rahmentheoretischer Vorklärung in Teil I gliedert sich die regimeanalytische Empirie in Teil II nach den Feldern Innovation, Patentierung, Risikoregulierung, Bioethik sowie Akzeptanzpolitik. Dieser Teil hat Handbuchcharakter für entsprechende umsichtige Politiken der Konkurrenzfähigkeit und politisch-ideologischen Vernetzung seitens der Staaten und der transnationalen Konzerne. Der vergleichsweise kurze Teil III, der die "Konfiguration des Biotechnologieregimes" anstrebt (261ff) und mit einem Ausblick endet (287ff), ist der konkret-theoretisch interessanteste. Hier treten der "akademischindustrielle Komplex der Biotechnologie" und die unterschiedlichen Bewegungsformen der heterogenen Akteure ins Bild: "Universitäten und andere Forschungseinrichtungen, neue Biotechnologieunternehmen mitsamt Finanzierungsinstitutionen (zuvörderst Risikokapital und Börsenkapitalisierung) und transnationale Konzerne." (264) "Je mehr die Biotechnologie als strategische Schlüsseltechnologie vorgestellt wurde, desto stärker sahen sich die Akteure weltweit dem Zwang ausgesetzt, am Innovationswettlauf teilzunehmen. " (266) Dabei wurde zunehmend die Bedeutung der "start ups" als "treibendes Element biotechnologischer Innovation in den USA" sowie eines "tiefergehenden institutionellen, politischen und kulturellen Wandels" erfahren, wobei der nachholende deutsche Biokapitalismus, "anders als oft behauptet", weniger unter Akzeptanzmangel als unter "konservativer Orientierung des Managements" litt (267). Besondere Bedeutung kam der Ausdehnung kapitalistischer Eigentumsrechte auf genveränderte Organismen sowie die "genetischen Informationen aller Organismen einschließlich des Menschen" zu (268f). Auf all diesen Gebieten kapitalistischer Landnahme fungierten die USA als Vorreiter. Zwischen Innovation und dem mit Rechtsstreitigkeiten einhergehenden Patentschutz machte sich der Widerspruch geltend, dass letzterer als Anreiz zur ersteren diese zugleich behindert (269f). Es folgt die Darstellung der - in der EU "insgesamt ordoliberal konfigurierten" - Risikoregulierungsregime (275f). In der "Konvention über Biodiversität" sieht Barben "eine Gegentendenz zur von führenden Industriestaaten bzw. Konzernen dominierten Globalisierung", die aber von diesen Marktinteressenten in den Anschlussvereinbarungen ausgebremst worden ist (279).
Barben hält sich gleichermaßen fern von Kritik wie von Apologie der Biotechnologie. Deren Verschmelzung mit Kapitalinteressen zum Biokapitalismus bleibt ausgeblendet. Kriterium ist die Effizienz eines staatlich-kapitalistischen Bio-Tech-Regimes. Dies ist der Sinn des Titels "Politische Ökonomie der Biotechnologie". Die Kritik dieser politischen Ökonomie findet nicht statt. Geleistet wird Technologiepolitikberatung, dies auf solider Basis, als gälte es, irgendeinem ›Wettbewerbsstaat‹ zu einem Vorsprung in der internationalen Konkurrenz zu verhelfen bzw. den Vorsprung anderer Standorte zu verkleinern. Noch befindet sich "die Biotechnologie, gemessen an ihren Potenzialen, [...] in einem frühen Stadium" (287). Und noch ist es weniger der aktuale als der prospektive Extraprofi t auf Kosten der in der entfesselten Weltmarktkonkurrenz künftig Abgehängten, dem ein vorausschauendes biotechnologisches Regime den Weg bahnen soll. Zwar "können die vielfältigen Potenziale der Biotechnologie prinzipiell auf verschiedene - d.h. neoliberale, sozialstaatliche oder nachhaltig ökologische - Weise angewandt werden" (291), doch scheint angesichts der "dominant neoliberalen Konfiguration der Weltordnung" und der Virulenz "religiöser Differenzen [...] eine ethisch-kulturelle Vereinigung der Menschheit heutzutage illusorisch" (290f), was die Möglichkeit, dem Biokapitalismus Grenzen zu ziehen, untergräbt. Bei Barben tritt diese Perspektive als eine Art Diskussionsarrangement ins Bild. "Ob das Gattungswesen Mensch Gegenstand gezielter technologischer Modifikation werden soll", sei für den Neoliberalismus "eine offene Frage", nicht aber für den "Ultraliberalismus", wobei "ordnungspolitisch argumentiert werden" könne, "die Grundlagen freier Gesellschaften würden untergraben, wenn soziale Unterschiede sich im Biologischen fortpflanzen und Klassenprivilegien biologisch verfestigt werden" (288f). Durch Vorstöße eines "philosophischen Postmodernen" wie Sloterdijk "soll die Gesellschaft in eine Normalität geführt werden, für die Normfragen keine entscheidende Rolle mehr spielen [...]. In der Folge kann man vermuten, dass zu einem Szenario einer eugenischen Zukunft weniger staatliche Zwangsapparate als vielmehr leistungsorientierte Eliten gehören, die für sich und ihren Nachwuchs nur das Beste wollen" (289f). Das Buch endet mit der angesichts der in Bewegung geratenen Profi t- und Machtinteressen verharmlosenden Perspektive, es gelte, "immer wieder neu auszuhandeln, worin die Möglichkeiten und Herausforderungen der Biotechnologie bestehen und wo Grenzen gezogen werden sollen. Dies gilt umso mehr, je stärker die Potenziale von Bio-, Informations-, Nano- und Neurotechnologien miteinander verbunden werden. Bereits die um die Biotechnologie geführten Diskussionen machten bewusst, dass die zivilisatorische Entwicklung der Zukunft in wesentlichen Zügen durch die komplexen Beziehungen zwischen Technologie- und Vergesellschaftungsentwicklung geprägt werden wird." (292) Hier, in der letzten Zeile des Buches, kommt mit dem Begriff der Vergesellschaftung eine letzte Erinnerung an die marxistische Jugend des Verf. zum Vorschein.
Wolfgang Fritz Haug