Alexander Ruch, Alain Griffe (Hg.) 2008: Raumplanungsrecht in der Krise, Ursachen / Auswege / Perspektiven. Zürich, Basel, Genf. 169 S.

Eine faszinierende Tagung an der ETH Zürich, Ende November 2007, im Vorfeld der Arbeiten an einer Revision des Bundesgesetzes über die Raumplanung. Juristen in grosser Zahl. Aber: Juristen unter sich. Sie kritisierten, erläuterten und debattierten zur provokativen Frage: Raumplanungsrecht in der Krise.
Ziel der Tagung - die Referate und Diskussionsergebnisse liegen nun als aufschlussreiche Publikation vor - war wohl, die Kernsubstanz eines neu zu konzipierenden RPG auszumachen und von der rechtlichen Seite her in den Griff zu bekommen.

Alexander Ruch breitete die Grundfragen aus, Pierre Tschannen beleuchtete die Planungen des Bundes und die Richtplanung der Kantone, Bernhard Waldmann wandte sich der Planung des Siedlungsgebietes zu, Rudolf Muggli fokussierte das Nicht-Siedlungsgebiet und Alain Griffel wagte sich an die Probleme rund um die Städte und Agglomerationen heran. Die Auslegeordnung samt Regelungsintentionen ist geglückt. Reichhaltige Vorschläge fielen an. Sie sind aufzunehmen.
Schade nur, dass es einmal mehr nicht zu einem interdisziplinären Gespräch kam. Es waren keine Raumplaner, keine öffentlichen und privaten Investoren, es waren keine Tourismusmanager, keine Städteplaner und Stadtwanderer, keine Agrarökonomen anwesend, auch keine Politiker. Von einer Krise des Rechts kann man, und dies wissen die Juristen sehr wohl, nur sprechen, wenn Recht und Wirklichkeit auseinanderklaffen, wenn das Recht nicht mehr greift, wenn in concreto das Raumplanungsrecht zur Lösung der räumlichen Probleme nichts oder nur noch wenig beizutragen hat. Also muss de lege ferenda von den anstehenden und aufkommenden sachlichen Problemen sprechen und das geltende wie auch das zu erlassende Recht damit konfrontieren. Sicherlich, wichtige materielle Themata waren präsent, etwa mit den Städten/Agglomerationen, dem Geschehen im Siedlungsgebiet und im Nichtsiedlungsgebiet, nur eben nicht sachlich derart zwingend eindeutig, dass daraus harte Fragen an das Recht geworden wären, auch an die (noch?) geltenden relativ limitierten Vorgaben der Verfassung.
Die im Hintergrund lauernde Hypothese, es - wenn immer möglich - bei der geltenden Regelung der Verfassung (Art. 75 BV) bewenden zu lassen, hat die Tagung mindestens indirekt belastet. Sie wirft auch kritische Fragen gegenüber der Publikation auf. Darf man von einer Krise des Raumplanungsrechts sprechen, wenn der Mut zum Elementaren fehlt? Politisch mag es klug sein, die angestrebte Gesetzesrevision nicht mit einer Verfassungsänderung zu belasten. Wenn dem aber so ist, dann muss man sich der schmalen Randbedingungen bewusst sein: Der Bund kriegt keine zusätzlichen Kompetenzen für eine gesamtschweizerische Raumplanung, keine für eine stufengerechte Ordnung des Verhältnisses zum Recht des Umweltschutzes, des Verkehrs, der Landwirtschaft, der Regionalwirtschaft usw., keine ausreichenden Grundlagen für die Stadt- und Agglomerationsplanungen, für das involvierte Baurecht usw. Folglich: Die Raumplanung bleibt auf eine beschränkte Regelungskompetenz zurückgebunden - zum Nachteil seiner Problemlösungskraft. Allein schon wenn man an die gewachsenen Bevölkerungszahlen und an die steigenden Ansprüche an den Lebensraum, an die sich überschneidenden Agglomerationen, an die Metropolitanräume von Zürich/Basel/Luzern/Winterthur resp. Genève/Lausanne usw. denkt, wird klar, dass neue räumliche Probleme anstehen. Diese rufen nicht nur nach einer Novellierung des geltenden Gesetzes, sondern nach einer sachgerechten, problemlösungsfähigen Raumplanung und Raumordnungspolitik. Eine wichtige Frage schliesst sich an: Könnte es sein, dass sich über eine geschickte Interpretation der geltenden "Lebensraumverfassung" (Summe der raumrelevanten und raumwirksamen Verfassungsvorschriften) ausreichend sinnvolle Kompetenzen des Bundes eruieren lassen? Diese Frage, sie wird in der Publikation nicht gründlich genug gestellt, muss noch beantwortet werden.
Die Schrift über das Raumplanungsrecht in der Krise ist äusserst lesenswert. Nicht wegen der behaupteten Krisen der Raumplanung und des Raumplanungsrechts, die letztlich als Vollzugskrise in einem sehr weiten Sinn bezeichnet wird. Anregend ist die Fülle des kritischen Gedankengutes. Es fehlt wahrlich nicht an Mängelthesen, insistierenden Akzentsetzungen und grundlegenden Vorüberlegungen. Allerdings, von einer konsolidierten Analyse kann noch nicht gesprochen werden. Sind die Chancen für eine Totalrevision des RPG unter diesen Umständen gewahrt, intakt? Besteht für die Verwaltung, den Bundesrat, die Kantone, das Bundesparlament die Gefahr anhaltender Verunsicherung?
(Die Bundesrepublik Deutschland befasst sich ebenfalls mit einem Entwurf zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes, allerdings vorweg aus Gründen der vorausgegangenen Föderalismusreform. Siehe dazu: Söfker Wilhelm, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Raumordnungsgesetzes (GeROG), UPR (München) 5/2008, S. 161 ff.)
Martin Lendi

 

Quelle: disP 173, 2/2008, S. 73