Susanne Heeg: Von Stadtplanung und Immobilienwirtschaft. Die "South Boston Waterfront" als Beispiel für eine neue Strategie städtischer Baupolitik. Bielefeld 2008. 276 S.

In der deutschsprachigen Geographie der jüngeren Vergangenheit lassen sich kaum noch substanzielle, empirisch fundierte Monographien zu den USA, insbesondere zu dortigen Stadtentwicklungsprozessen finden (eine seltene Ausnahme bildet Gerhard (2007)). Das mag am offenbar weiter schwindenden Stellenwert regionaler Expertise in der deutschen Hochschulgeographie liegen oder auch daran, dass die USA vielleicht nicht mehr so deutlich als Vorreiter entsprechender Entwicklungsprozesse auch bei uns in Deutschland angesehen werden.

Unbefriedigend ist diese Situation dennoch, daher stellt Susanne Heegs Buch zur Entwicklung der South Boston Waterfront eine willkommene Seltenheit dar. Es demonstriert, dass ein theoretisch fundierter vergleichender Blick in die USA, insbesondere bei der Analyse von Stadtentwicklungsprozessen, noch immer höchst lehrreich und lohnend sein kann. In diesem breiten Themenfeld, eingebettet zwischen Globalisierungs- und Neoliberalisierungsprozessen einerseits und lokalen Problemen und Widerständen andererseits, bieten die USA hochinteressante Erkenntnisse in Bezug auf die Chancen und die Risiken von Strategien, Instrumenten und Praktiken, mit denen Politiker, Planer, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure unsere städtischen Lebenswelten zu verändern suchen.
Jenseits der regional vergleichenden, amerikanischen Perspektive liefert das Buch von Heeg aber noch aus einem zweiten Grunde willkommenen Lesestoff: Allzu selten finden sich auf dem deutschsprachigen geographischen Fachbuchmarkt Monographien, die sich eingehend mit grundlegenden theoretischen Ansätzen auseinandersetzen, um diese anschließend in einem stimmigen empirischen Forschungskonzept umzusetzen. Es sind ja praktisch nur noch Habilitationsschriften - und, mit gewissen Abstrichen, Dissertationen -, aus denen solche Bücher generiert werden, zu groß der Aufwand, viel zu gering der "Karriere-Ertrag". So ist auch diese Studie aus einer an der Universität Hamburg angefertigten Habilitationsschrift hervorgegangen. Heeg, seit 2006 Professorin für Geographische Stadtforschung an der Universität Frankfurt, legt darin ein relativ breites theoretisches Fundament dar, welches für die deutschsprachige Stadtgeographie durchaus neue Perspektiven entwickelt. Sie präsentiert darüber hinaus eine empirische Fallstudie aus Boston, deren Ergebnisse für ein Verständnis gegenwärtiger Stadtentwicklungsprozesse in den USA insgesamt erhellend sind, gleichzeitig aber auch klar dargelegte Anknüpfungspunkte für eine Betrachtung hiesiger Stadtentwicklungen bieten.
Das zunächst einmal weit begriffene Thema des Buches ist der Nexus zwischen der materiellen Produktion von Stadt (Anlagen, Gebäude, Stadträume) und ihren sehr spezifischen ökonomischen Grundlagen. Dieser Zusammenhang ist bis dato in der deutschsprachigen Stadt- oder auch der Wirtschaftsgeographie höchstens randlich betrachtet worden (etwa Krätke 1991). In der Stadtgeographie herrschen tendenziell eher politisch-planerische Perspektiven auf die Stadtproduktion vor, die selten auf ein wirtschaftswissenschaftliches oder gar immobilienwirtschaftliches Theorieverständnis zurückgreifen. Dies findet Heeg erstaunlich angesichts der Beobachtung, dass doch in den letzten Jahrzehnten auch in Deutschland mit großer Hoffnung Stadtentwicklungsstrategien entwickelt und verfolgt worden sind, die ganz zentral von der Möglichkeit ausgehen, über bauliche Veränderungen der Stadt ökonomische und gesellschaftliche Revitalisierungsprozesse auslösen zu können. Solche Strategien des "property-led development" sind daher im engeren Sinne das Thema von Susanne Heeg.
Ihr Buch gliedert sich grob in zwei, annähernd gleich große Teile. Auf rund 110 Seiten werden die Fragestellung und die theoretischen Grundlagen ausgebreitet, anschließend werden auf ca. 120 Seiten die empirischen Untersuchungen der Entwicklungen in Boston und der South Boston Waterfront wiedergeben, bevor ein kurzes neuntes Kapitel beide Ebenen zusammenbringt.
Susanne Heeg widmet also der theoretischen Durchdringung ihres Forschungsthemas einen relativ großen Raum. Nach dem einleitenden Problemaufriss entwickelt sie in drei Kapiteln unterschiedliche Theoriestränge und führt diese am Ende von Kapitel 4 zusammen. Zunächst werden in Kapitel 2 die politischen Veränderungen von Stadt und Staatlichkeit analysiert, welche die strategischen Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen von Stadtentwicklung beeinflussen. Die Kapitelüberschrift "Urban Governance und Entrepreneurialism" verweist auf die hier herangezogenen Theoriebestände, aus deren Blickwinkel die Verschiebungen von Themen, Institutionen, Organisationsstrukturen, Instrumenten und Akteurskonstellationen in der Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte analysiert worden sind. Heeg diskutiert hier die Ansätze der "urban regime theory" sowie insbesondere der Regulationstheorie, um damit großmaßstäbliche politisch-gesellschaftliche Verschiebungen in ihren Auswirkungen auf lokale stadtpolitische Entwicklungsstrategien ("entrepreneurialism", Harvey 1989) herauszuarbeiten. Ein Ergebnis ist die stärkere Einbeziehung immobilienwirtschaftlicher Akteure schon bei der Formulierung von Stadtentwicklungsstrategien.
Das folgende Kapitel 3 wendet sich einem Verständnis des Immobilienmarktes zu. Es beginnt mit einer differenzierten Betrachtung der unterschiedlichen Akteure, ihrer jeweiligen Interessen und Handlungsoptionen, danach geht es im Kern um eine Durchdringung des Phänomens immobilienwirtschaftlicher Zyklen, die schließlich erklärend verschränkt werden mit Zyklen und Logiken des Finanzmarktes. Heeg diskutiert hier u.?a. jüngere Veränderungen (neue Instrumente etc.) der Finanzmärkte und deren Auswirkungen auf Akteurskonstellationen und Verhaltensmaxime auf Immobilienmärkten.
In Kapitel 4 werden theoretische Erklärungsansätze dieser immobilienwirtschaftlichen Prozesse dahingehend reflektiert, inwiefern aus ihnen logische Begründungen für die stadtentwicklungsstrategische "Hoffnung" abzuleiten sind, dass durch ein von der öffentlichen Hand unterstütztes "property-led development" eine ökonomische Revitalisierung der Stadt gelingen und längerfristig gesichert werden kann. Die klassische Bodenrententheorie nach Alonso sowie die Raumallokationserklärungen der sozialökologischen Theorien der Chicagoer Schule werden schnell als unbefriedigend verworfen, stattdessen greift Heeg auf die politökonomischen Überlegungen David Harveys (1985) und Neil Smiths (1996) zurück, die die Funktionalität des Immobilienmarktes zur Kapitalakkumulation thematisieren. "Property-led development" wird danach als ökonomische Strategie begreifbar, die unter gewissen Umständen Kapitalanlegern eine monopolistische Grundrente sichern kann. Bedingung dafür sei aber das Erstellen sog. "absoluter Räume", die aufgrund ihrer als besonders wahrgenommenen (baulich-materiellen wie image-bezogenen) Qualitäten mindestens für eine gewisse Zeit eine Art konkurrenzloses Produkt auf dem Immobilienmarkt darstellen. Aus diesen Theoriegrundlagen leitet Heeg als allerdings äußerst knappes Anhängsel ihr empirisches Forschungskonzept ab.
Die empirischen Untersuchungen zu Boston werden ebenfalls in vier Kapitel gegliedert. Kapitel 5 liefert den historisch wie räumlich weiteren Kontext, also den Hintergrund und die Vorgeschichte zur Entwicklung der South Boston Waterfront. Dabei ist die klare Orientierung an der in Teil I (hauptsächlich in Kapitel 2) gelieferten Theorieentwicklung und ihren zentralen Konzepten augenfällig, wünschenswert wäre allein eine breitere und systematischere Betrachtung der Bundes- und bundesstaatlichen Ebenen der Stadtentwicklungspolitik. Kapitel 6 führt dann zum eigentlichen Fallbeispiel hin, indem eine sehr kurze Entwicklungsgeschichte der South Boston Waterfront vorgestellt wird.
Die hauptsächlichen empirischen Analysen finden sich in den beiden folgenden Kapiteln, die von ihrem Umfang her zusammen ca. ein Drittel der gesamten Studie bilden. Im Mittelpunkt von Kapitel 7 steht die Analyse der Zyklen von Wirtschaftsentwicklung und Finanzmarktzyklen einerseits und dem städtischen Immobilienmarkt andererseits. Heeg erläutert darüber die spezifischen Handlungsrestriktionen lokal verorteter Strategien zur Immobilienentwicklung, die zur Schaffung von absoluten Räumen im Sinne Harveys und Smiths führen - Erkenntnisse, die mit klassischen Bodenrenten- oder sozialökologischen Theorievorstellungen eben nicht zu erzielen wären. Diese tendenziell strukturalistisch geprägten Perspektiven werden im folgenden Kapitel 8 jedoch erweitert und ergänzt, in dem die zuvor dargestellten Zyklizitäten "verschnitten" werden mit Betrachtungen der Akteurskonstellationen sowie der institutionell-instrumentellen Entwicklung der South Boston Waterfront. Damit kommen hier planerische und politisch-administrative Analyseperspektiven stärker zum Tragen, die für ein konkretes Verständnis des Fallbeispiels als Stadtentwicklungspolitik und -projekt letztlich unumgänglich sind - und somit auch eine wichtige Ergänzung "rein" ökonomistisch geprägter Theorieansätze darstellen.
Im straffen Fazit werden die empirischen Ergebnisse stringent und klar auf die angelegten theoretischen Fragestellungen hin eingeordnet. Erstens zeigt sich, wie sehr sich durch die Hinwendung zum "property-led development" die Logiken der immobilienwirtschaftlichen Akteure in der gesamten Konzeptionierung und Institutionalisierung der Stadtentwicklungspolitik durchsetzen, und dass dabei die angenommene Allgemeinwohlorientierung der Stadtplanung und -entwicklung potenziell untergraben wird, da sich betriebliche gegenüber gesamtstädtischen Allokationsoptimierungen durchsetzen können. (Nach Harvey auch logisch, da die Allgemeinwohlorientierung staatlicher Planung im Kapitalismus letztendlich immer gebunden ist an die Notwendigkeit, den fundamentalen Prozess der Kapitalakkumulation aufrecht zu erhalten). Zweitens verdeutlicht Heeg, dass die Hinwendung zum "property-led development" in ursächlichem Zusammenhang steht mit einem breiteren Formationswandel im Sinne eines im Umbruch befindlichen Kapitialismus, der sich u. a. in vielschichtigen Maßstabsveränderungen staatlicher (aber nicht nur nationalstaatlicher) Institutionen und Aktivitäten zeigt. Heegs Schlussfolgerung aus all dem ist, dass die Strategie des "property-led development" kein Allheilmittel darstellt, sondern vier sehr eigene Probleme und Risiken mit sich bringt: eine räumliche und eine soziale Exklusivität der Stadtentwicklung; eine Governance der Stadt, die in wesentlichen Bestandteilen von privatwirtschaftlichen Interessen bestimmt wird ("corporate driven"); eine Hinwendung zu Großprojekten, die gewissermaßen austauschbar werden und dadurch die immobilienzyklische Krisenanfälligkeit eher stärken. (Schlechtes "property-led development", so könnte man folgern, führt eben auch zum Vergeben von Chancen für die privatwirtschaftliche Immobilienentwicklung.)
Was gibt es in der Zusammenschau zu kritisieren? Auf der theoretischen Ebene vermisse ich eine Diskussion stärker kulturalistischer Ansätze zum innerstädtischen Struktur- und Raumwandel, wie sie etwa David Ley (1996) - gerade in Kontrastierung zu Smiths "Rent-Gap"-Theorie - entwickelt hat. Insbesondere bezogen auf die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnnutzungen betonen diese ja jenseits der immobilienwirtschaftlichen Zyklenbetrachtung die besondere Bedeutung veränderter Konsumentenpräferenzen für den baulichen wie auch für den ökonomischen Umbau gesamter Innenstadtlandschaften.
Strukturell zu knapp dargestellt und begründet erscheint mir die aus immerhin 100 Seiten Theoriediskussion abgeleitete Operationalisierung des empirischen Forschungskonzepts auf lediglich zweieinhalb Seiten. Ähnlich ist es mit der gesamten Diskussion von Methodik und Datenzugang (inkl. der teilweise problematischen Verfügbarkeit von Interviewpartnern), die auf lediglich dreieinhalb Seiten "eingedampft" und zudem in einen Anhang "abgeschoben" werden. Vielleicht spielen hier verlegerische Gesichtspunkte eine Rolle - wie auch bei der zum Teil schlechten Auflösung der allerdings angenehm zahlreichen Kartenabbildungen -, für ein Fachbuch empfinde ich diese Abhandlung doch ein wenig zu kursorisch und unbefriedigend. Möglicherweise wäre auch ein kurzes empirisches Update gewinnbringend gewesen, denn zwischen den wesentlichen Erhebungen im August 2005 und der Veröffentlichung 2008 ist doch einige Zeit vergangen.
Insgesamt aber bleibt ein äußerst positiver Eindruck: Susanne Heeg gelingt es mit ihrer Arbeit eine eigenständige, komplexe theoretische Perspektive zu entwickeln, indem kritische Strömungen aus Neomarxismus/Politischer Ökonomie, Regulationstheorie und Neoliberalismuskritik zusammengebracht werden, die anschließend auf die konkrete materielle Produktion von Stadträumen in empirisch fruchtbarer Art angewendet wird. Dies ist keine schmale Leistung, zumal das Ganze verständlich geschrieben und sehr systematisch dargelegt ist. Diesbezüglich bekommt der erste Teil ihres Buches schon fast Lehrbuchcharakter, jedenfalls lässt er sich sehr gut als überblicksartige Orientierung für Masterstudierende im Bereich der Human- oder Stadtgeographie verwenden. Darüber hinaus aber könnte die Arbeit auch die recht eingeschlafene Theoriediskussion in der deutschsprachigen Stadtgeographie neu befördern.

Literatur

Gerhard, U. (2007): Global City Washington, D.C. Eine politische Stadtgeographie. Bielefeld.
Harvey, D. (1985): Urbanization of capital. Oxford.
Harvey, D. (1989): From managerialism to entrepreneurialism: the transformation in urban governance in late capitalism. In: Geografiska Annaler B 71, 3-18.
Krätke, S. (1991): Strukturwandel der Städte, Städtesystem und Grundstücksmarkt in der "post-fordistischen" Ära. Frankfurt a.?M., New York.
Ley, D. (1996): The new middle class and the remaking of the central city. Oxford.
Smith, N. (1996): The new urban frontier. Gentrification and the revanchist city. London, New York.

Ludger Basten

 


Quelle: Geographische Zeitschrift, 96. Jahrgang, 2008, Heft 4,  Seite 252-255

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