Rolf Jordan: Singapur. Globale Stadt und autoritärer Staat. Bad Honnef 2007. 203 S.
Der südostasiatische Stadtstaat Singapur, einer der "Tigerstaaten" der ersten Generation, hat mit seiner beeindruckenden ökonomischen Erfolgsgeschichte gezeigt, dass Entwicklungserfolg und Weltmarktintegration kein Widerspruch sein müssen. Damit hat er, sozusagen als "Laborexperiment", für die auch in der (Wirtschafts-) Geographie seinerzeit heftig ausgetragene entwicklungstheoretische Debatte eine wichtige Rolle gespielt. Unstrittig war dabei, dass die politische Leistungsbilanz Singapurs, jedenfalls was Demokratie, Freiheitsrechte und soziale Gerechtigkeit betrifft, deutlich hinter dem ökonomischen Erfolg zurückblieb.An der Bewertung der Rolle des autoritären Entwicklungsstaates, der mit seiner mächtigen, demokratisch weitgehend unkontrollierten Entwicklungsbürokratie das politische System des Stadtstaates bis heute prägt, haben sich immer wieder wissenschaftliche, aber auch politische Kontroversen entzündet: Sind die Demokratiedefizite Singapurs der notwendige Preis für ökonomischen Erfolg? Oder hat sich der Erfolg trotz des autoritären Systems eingestellt? Und was geschieht mit einem politischen System, das sich nur über ökonomischen Erfolg legitimiert, wenn eben diese Legitimationsbasis in der Krise zerbröselt? In der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise dürfte die offene Antwort auf diese Frage jedenfalls der herrschenden autokratischen Elite nicht nur in Singapur, sondern weltweit kalten Schweiß auf die Stirn treiben. Für das Jahr 2009 geht inzwischen selbst die Regierung Singapurs von einer wirtschaftlichen Schrumpfung aus, von der fatalerweise nicht nur die (Elektronik)industrie, sondern auch der wichtige Bankensektor und die Tourismusbranche erfasst werden dürften.
Welche politischen und sozialen Turbulenzen daraus möglicherweise entstehen, kann der vorliegende, aus politikwissenschaftlicher Perspektive geschriebene Band natürlich nicht vorhersagen. Aber er liefert wichtiges Hintergrundwissen, um die weitere Entwicklung Singapurs sachgemäß einordnen und verstehen zu können. Der Autor arbeitet in acht Kapiteln wesentliche Aspekte des autoritären Entwicklungsmodells heraus. Behandelt werden die herausgehobene Rolle der Planungsbürokratie, die Stellung der Regierungspartei und ihr Verhältnis zur Ökonomie, soziale Ungleichheit, Wohnungsbaupolitik, der Umgang mit Migranten sowie mit einem noch zaghaften, aufkeimenden gesellschaftlichen Protest. Ein umfassendes Kontrollbestreben der Regierung, nahezu autonom handelnde Entwicklungsbehörden und das große Gewicht staatlicher und halbstaatlicher Unternehmen kennzeichnen den bisherigen Entwicklungspfad. Sie belegen zugleich, dass sich das Beispiel Singapur keineswegs umstandslos für eine neoliberale Deutung erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung in Anspruch nehmen lässt. Eine renditeorientierte, dirigistische Wirtschaftspolitik bei gleichzeitiger Öffnung gegenüber ausländischen Investoren hat trotz erheblicher staatlicher Anstrengungen in den Bereichen Bildung und Wohnungsbau zu wachsenden sozialen Problemen geführt, von denen insbesondere (v.a. indonesische) Arbeitsmigranten betoffen sind. - Der lesenswerte, ausgesprochen informative Band sollte in keiner einschlägigen Fachbibliothek fehlen.
Helmut Schneider