Ulf Matthiesen (Hg.) 2004: Stadtregion und Wissen: Analysen und Plädoyers für eine wissensbasierte Stadtpolitik. Wiesbaden. 342 S.

Es gehört zu den Gemeinplätzen gegenwärtiger Beschreibungen unserer Gesellschaft, dass diese sich zu einer wissensbasierten Gesellschaft wandelt. Vermutlich ist die Bedeutungszunahme von Wissen für die gesellschaftliche Entwicklung nichts Ungewöhnliches, bedeutsam wird sie wohl im Kontext wirtschaftsstruktureller Veränderungen in Verbindung mit dem schnellen Wandel von Wissen. Die darin enthaltene Innovationsdynamik hat nicht nur Rückwirkungen auf die betriebliche Ökonomie, sondern berührt ebenso die Konkurrenzverhältnisse von Städten und Regionen. "Wissen" als Standortfaktor mutiert - so scheint es in manchen politischen Äusserungen auf - zum Hoffnungsträger, Allheilmittel oder womöglich gar Rettungsanker räumlicher Entwicklungen.

In diese Vorstellungen mehr und systematischer Grund legen zu wollen, ist ein Anliegen der vorliegenden Texte. Achtzehn Beiträge neben einer instruktiven Einführung, gegliedert in vier Kapitel geben einen vielschichtigen Einblick in die gegenwärtige Diskussion. Sie stützen sich im Wesentlichen auf Studien des IRS, was auch den wiederholten Rückgriff auf die drei regionalen Beispiele Jena, Erlangen und Frankfurt/Oder erklärt; zudem werden Beiträge einer IRS-Tagung zu diesem Wissens- Thema hinzugezogen, und schliesslich runden weitere Aufsätze das Themenfeld ab. Dabei kann es nicht ausbleiben, dass es einerseits zu einer ordnenden Gliederung der Beiträge kommt, andererseits aber inhaltliche Querbezüge zu anderen Teilen des Bandes bestehen bleiben.  
Im ersten Teil "Wissen und Raum im Kontext von Globalisierung und Transformation" geht es insbesondre darum, Orientierungswissen bereitzustellen. Typologisierungsbemühungen, die Darstellung von Ortsbindungen von Wissen, die Verschmelzung von globalen und lokalen Wissenstypen oder Hinweise auf Steuerungswissen für Entwicklungspolitiken sollen helfen, die bisher weithin unübersichtliche Thematik der Raumbindung von Wissen zu erhellen.  
Der zweite Teil beinhaltet Beobachtungen zu "vernetzten Formen der Wissenserzeugung: Wissensmilieus, Medien und wissensbasierte Dienstleistungen ". Herausgearbeitet werden einerseits Umsetzungsdefizite bei der Einrichtung von Wissensstandorten, andererseits das Zusammenwirken von lebensweltlicher Heterogenität und Wissensgenerierung wie Wissensverbreitung für innovatives Produktwissen. Kontrastierend durchaus die Möglichkeiten der akteursorientierten Forschungen zu wissensbasierten Standorten mit einer kritischen Haltung zur mode-2-These und Überlegungen zur Leistungsfähigkeit eher traditioneller Ansätze.
Erkennbar wird freilich, dass offenbar idiografisch angelegte Ansätze im Themenfeld "Wissen und Raum" (derzeit) angezeigt scheinen, wobei wohl stets eine dreifache Aufgabe zu lösen sein wird: Zu den wirtschaftlichen Standortüberlegungen gesellen sich sozialräumliche und soziokulturelle Dimensionen, die die Steuerungsseite der Entwicklung beeinflussen und die schliesslich "vor Ort" auch aktivierend aufzunehmen sind.  
Ein dritter Teil - "Stadt- und Siedlungsentwicklung durch Wissen" enthält Beiträge aus dem Spannungsboden des Zusammentreffens traditioneller Auffassungen von Stadt(-entwicklungs)-politik und den Notwendigkeiten der wissensbasierten Strategien. Hier ergeben sich offenbar erhebliche Implementierungsprobleme, die auch in markanten Selbstorganisationsmechanismen neuer Stadtpolitiken gründen.  
Der abschliessende Teil "Governanceformen und Projektökologien im Entwicklungskontext von ‹Stadtregion und Wissen› " unterstreicht mit seinen Beiträgen die Durchdringungstiefe wissensbasierter Raumpolitik. Notwendig für ihre erfolgreiche Umsetzung wird die Fähigkeit, neue stadt(-regionale) Steuerungsformen - allgemein zusammengefasst als "governance" - anzueignen und einzusetzen. Dies geht nicht ohne die Ressource Wissen und ein notwendiges Vertrauen, um Verständigung zu ermöglichen, sowie die Fähigkeit und den Willen zu kollektivem politischen Handeln - und dies angesichts eines beschleunigten Verfalls gültigen Wissens. Dabei kann es bei entsprechend kleiner Massstabsebene auch angezeigt, gar notwenig sein, auf Quartiersebene spezifisches Wissen zu stärken. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, dass die Netzwerke selbst - als geeignetes Instrumentarium in Wissensmilieus - keineswegs als so stabile zu denken sind, wie dies offenbar implizit geschieht. Vielmehr passen sich Netzwerke als Variable jeweiliger temporärer Projekte deren Erfordernissen an. Sollte so etwas wie ein "ruhender Pol" in wissensbasierten Regionen gesucht werden, dann lohnt es sich wohl, auch über die Rolle von Unternehmen nachzudenken.


Der vorliegende Band ist informativ, spannend und mahnt mit den empirischen Forschungsergebnissen und konzeptionellen Ansätzen zur Vorsicht im - schnellen - Umgang mit dem inzwischen zum Gemeinplatz verkommenen Begriff "Rohstoff Wissen ". Diesen gibt es nicht nur für "moderne" Technologien, auch in traditionellen Segmenten finden sich wissensbasierte Aktivitäten. Umso deutlicher die Frage, worin oder warum kann "Wissen" eine standortprägende Wirkung entfalten? Oder anders: Wie schafft man es, dass Wissen angezogen wird und dann auch bleibt? Die einfache und generelle Lösung gibt es offenbar nicht. Wissen als personenbezogenes, also begrenzt verfügbares Wissen - nicht die ubiquitäre Information - ist ein zugleich starker wie schwieriger Faktor. Die Lektüre verdeutlicht, dass es mit der Installation wissenschaffender Institutionen nicht getan ist. Diese sind nur eine Voraussetzung. Personengebundenes Wissen wird sich als Standortfaktor nur dann entfalten können, wenn die notwendigen Akteure zusammenfinden - auch die politischen. Dabei kann von der netzförmig vorgestellten Akteursebene keine Stabilität erwartet werden, hängt diese letztlich von den zu lösenden Aufgaben ab. Auch ist zu sehen, dass die wissensgenerierenden und -nutzenden Akteure netzförmig denken und handeln, die politischen hingegen territorial. Die vorliegende Schrift hat die vielfältige Diskussion um das Wissen hinsichtlich seiner räumlichen Wirkung kondensiert und in eine dynamische Unsicherheit entlassen. Es bleibt spannend, die Spannung zwischen niedriger Halbwertszeit des Wissens und stabilen Rahmensituationen zu bewältigen.
Ulrich Ante

 

Quelle: disP 174, 3/2008, S. 87-88