Kerstin Hoeger, Kees Christiaanse (Hg.) 2007: Campus and the City. Zürich. 320 S.

Mit dem schrittweisen Niedergang traditioneller Industrien und der Suche nach neuen Arbeitsfeldern für die Stadtbevölkerung haben Stadtpolitiker, Wirtschaftsförderer und Stadtplaner und Architekten ein neues Handlungsfeld für sich (wieder-) entdeckt: die Hochschulen und die davon abhängigen Wissensindustrien. Als in den 6oer Jahren des vergangenen Jahrhunderts der erste Bildungsnotstand ausgerufen wurde, entstanden an vielen Orten in Europa neue Hochschulen (z. B. in Paris, Bochum, Dortmund oder Augsburg) oder umfangreiche Hochschulerweiterungen (z. B. TU München oder Heidelberg). Sie wurden in der Regel auf der grünen Wiese am Rande der Städte errichtet, weil in den dicht bebauten Stadtkernen dafür kein Raum war, weil Kasernen und Fabriken noch nicht brach gefallen waren.

Weil grosszügige Stifter ihr Geld nicht in staatliche Hochschulen investieren wollten, die grossen Unternehmen noch nicht daran dachten, eigene "corporate universities" zu gründen, oder einfach weil der Staat nicht bereit war, hohe Grundstückspreise für innenstadtnahe Grundstücke zu bezahlen. Was dann am Rande der Städte gebaut wurde, war funktionalem Bauen oder dem Zeitgeist der Architekten verpflichtet. Es waren meist funktionale Fabrikbauten für Wissenschaftler und Studierende, die wie Arbeiter morgens zum wissenschaftlichen Dienst kamen und nach Feierabend wieder den Rückweg in die Stadt oder in das ländliche Hinterland des Arbeitsortes antraten. Die Aufenthaltsqualität für die dort Tätigen war beschränkt. Die urbane Qualität der gesichtslosen Standorte am Stadtrand war kein vorrangiges Anliegen der Rektoren oder Ministerialbeamten und den von ihnen berufenen und gelenkten Kommissionen, die für die Gründung bzw. die Standortverlagerung zuständig waren. Es war damals aber auch nicht absehbar, dass diese Hochschulen nur der Nukleus von Wissensindustrien waren, von neuen Forschungsinstituten, Technologieparks und Spin-offs, die sich dann im Laufe der Jahre und Jahrzehnte in ihrem Umfeld angesiedelt hatten, weil sie mit den Wissenschaftseinrichtungen der Hochschulen funktional eng verbunden waren.  
Im Blick zurück wird viel Kritik an diesen Neugründungen geübt, weil sie den Erwartungen an Arbeits- und Lebenswelten der Beschäftigten dieser wachsenden Wissensindustrien nicht mehr, oder nur an wenigen Wissensorten entsprechen. Doch wer die Geschichten liest, wie diese Standorte gesucht und gefunden wurden, welche Hoffnungen mit den anspruchsvollen Projekten verbunden waren, aber auch welche Kontroversen sie auslösten, so wie es Martina Hessler in ihrem Buch "Die kreative Stadt" am Beispiel von München eindrucksvoll recherchiert und geschildert hat, kann verstehen, dass Hoffnung, Rhetorik und Realität bei der schwierigen und konfliktreichen Entwicklung von Wissensorten oft weit auseinanderklaffen. (Hessler 2007) Urbanität ist an solchen Orten meist nicht entstanden, auch nicht die erhoffte Verknüpfung von Arbeits- und Wohnwelten. Letztlich sind es immer isolierte Wissensorte im diffusen Archipel der Stadtregion Metropole geworden, gated scientific communities, für Wissensarbeiter.  
Diesem Themenfeld "Campus und Stadt" ist ein englischsprachiger Band gewidmet, der aus einem Symposium an der ETH Zürich im Jahre 2006 hervorgegangen ist. Er enthält Beiträge von Architekten und Städtebauern zum aktuellen stadtpolitischen Handlungsfeld. Er enthält viele anregende Berichte über einzelne Hochschulstandorte in Europa, den USA, in Japan und in China, sowie eine anregende Topologie von Wissensorten in der Stadt. Die Perspektive, mit der die Hochschulstandorte betrachtet werden, ist mit wenigen Ausnahmen die von Architekten und Städtebauern. Es geht dabei vor allem um räumlich-funktionale Zusammenhänge, innere Organisationsstrukturen und natürlich auch immer wieder um bauliche Ästhetik, aber auch um die städtebauliche Gestaltung urbaner Arbeitswelten und die Einbettung von Wissensorten in urbane Zusammenhänge.  
Es geht in diesem Band nicht um Planungs- und Entscheidungsprozesse oder um stadtpolitische Auseinandersetzungen um Standorte und deren Zugänglichkeit, und es geht nur am Rande um die Integration der Wissensindustrien in die Stadtgesellschaft. Dies hätten Referenten aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen und politischen Institutionen beitragen müssen, die die politischen und finanziellen Dimensionen der Campusentwicklung hätten beleuchten können, weil sie die Planungsund Entscheidungsprozesse beobachten oder aus ihrer täglichen Arbeit kennen. Trotzdem, der aufwendig illustrierte Band ist ein wichtiges Dokument zu einem aktuellen Zeitpunkt. Es lohnt sich, ihn aufmerksam zu lesen.  
Kerstin Hoeger, eine der Herausgeberinnen, unterschied in ihrem einleitenden Überblicksbeitrag zwei Denkmuster im Umgang mit Hochschulplanungen: Eine Herangehensweise konzentriert sich auf die Optimierung von internen Kommunikationsprozessen im geschlossenen System der Hochschule und entwickelt dafür architektonisch anspruchsvolle und flexible organisatorische Lösungen. Die andere bemüht sich mehr um die Öffnung der Wissensstandorte in das sie umgebende bauliche und soziale Umfeld. Im Idealfall wird es sicher darum gehen, beide Denklinien miteinander zu verknüpfen, damit aus Wissensstandorten urbane Zentren der Kommunikation werden.  
Neben den beiden Herausgebern haben sich 14 Autoren zum Verhältnis von Hochschule und Stadt geäussert und das Spektrum der Meinungen zu diesem sehr komplexen Themenfeld ist gross. Es gibt zahlreiche Berichte über einzelne Hochschulplanungen wie der von Vittorio Magnago Lampugnani über den Novartis Campus in Basel, der von Gunter Henn über die Volkswagen-Universität, von Art Zaaijer über Utrecht, Edzo Bindels über Groningen und Dordrecht, oder auch der von Kees Christiaanse über Amsterdam und die Science City der ETH Zürich am Campus Hönggerberg. Moderne und erfolgreiche Technologieparks in Berlin, Helsinki oder Karlsruhe werden von Wilhelm Natrup vorgestellt.  
Asiatische Beispiele kommen aus China und Japan. Zhu Wenyi gibt am Beispiel der University City in Guangzho einen Einblick in die gewaltigen Dimensionen der Hochschulentwicklung in China, wo in kurzer Zeit hunderte von Universitäten aus dem Boden gestampft werden, um vorgegebene nationale Ziele zu erfüllen, die von ehrgeizigen Hochschulpolitikern, profilbewussten Bürgermeistern, Grundstückspekulanten und einer Bauindustrie unterstützt werden, die solche Bauaufträge gerne entgegennimmt. Und Riken Yamamoto stellt zwei japanische Hochschulen, Hakodate und Kogakuin, vor.  
Drei Abschnitte des Bandes gehen über die architektonische Perspektive hinaus. Die wichtige historische Dimension (education through architecture) wird von Andrea Deplazes beigetragen. Janne Cornell and Phillip Parsons weisen in ihrem Beitrag darauf hin, dass die Rolle der Universitäten in Europa sich nicht zu sehr von den ideologischen und ökonomischen Zielen und Wertesystemen amerikanischer Vorbildern leiten lassen sollten, sondern sich auf die soziale Verantwortung einer Hochschule für ihre Stadt besinnen sollten, auf eine Tradition, die die Qualität europäischer Universitäten über Jahrhunderte hinweg mitbestimmt hat. Werner Oechslin appelliert daran, Hochschulen als Orte zu akzeptieren, an denen Chaos und Regulierung gleichermassen wichtig sind, und er warnt zu Recht davor, Hochschulplanung für architektonische Profilierung zu missbrauchen, sie lediglich als Skulpturen und kulturelle Metaphern zu entwerfen.  
Eine Fundgrube für alle, die sich mit dem Thema Hochschulentwicklung beschäftigen, sind schliesslich die sehr gut bebilderten Portraits von 30 ausgewählten Wissensstandorten in Europa und Nordamerika. Sie nehmen ein Drittel des Umfangs des Bandes ein und folgen einer einfachen Typisierung von Hochschulstandorten in: green field sites (Hochschulen auf der grünen Wiese, innercity campus (Hochschule in der Stadt), high-tech campuses (Technologieparks), und Corporate campuses (Unternehmenshochschulen). Die Herausgeber sind sich dabei durchaus bewusst, dass dafür auch andere Typsierungen denkbar wären (vgl. Kunzmann 2006).  


Trotz der aktuellen neuen politischen Bedeutung von Wissensorten wird sich in Europa die Zahl von Neugründungen und Auslagerungen in Grenzen halten. In der Regel wird es das Interesse von Städten und Hochschulen sein, bestehende Einrichtungen zu modernisieren und sie an neue Anforderungen der Wissensarbeiter anzupassen. Es wird vor allem darum gehen, solche Wissensorte kleinräumig zu erweitern und zu ergänzen und sie dabei wieder stärker in ihr städtisches Umfeld einzubinden und der lernenden städtischen Gesellschaft zu öffnen. Da bleibt nicht sehr viel Spielraum für architektonische Höhenflüge. Für diese Modernisierung gibt es keine Rezepte, da die zukünftigen Nutzer an unterschiedlichen Orten auch sehr unterschiedliche Anforderungen an ihre jeweiligen Arbeits- und Lebenswelten stellen. Gentechnische Labore stellen andere Bedingungen als Management-Schulen oder Kunstakademien. Und die beteiligten Akteure haben erfahrungsgemäss jeweils sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie und wo Wissensorte entwickelt und modernisiert werden sollten und können.   Dieser Band macht deutlich, dass neben Hochhäusern, Museen und Theatern nun auch die Wissensstandorte ins Blickfeld globaler Architekturstrategien geraten sind, bei denen die wieder erkennbare globale Signatur-Architektur wichtiger ist als die Orientierung an lokalen und regionalen Bedingungen. Der Band ist ein guter Einstieg in die notwendige Diskussion und ein guter Anlass, darüber in Europa noch einmal nachzudenken.

Literatur
Kunzmann, K. R. (2004): Wissensstädte. Neue Aufgaben für die Stadtpolitik. In: Matthiesen U. (Hg.) (2004): Stadtregion und Wissen. Analysen und Plädoyers für eine wissensbasierte Stadtpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Hessler, M. (2007): Die Kreative Stadt. Zur Neuerfindung eines Topos. transcript Verlag (Urban Studies) Bielefeld.
Mathiesen, U. (2004): Stadtregion und Wissen: Analysen und Plädoyers für eine wissensbasierte Stadtpolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
Klaus R. Kunzmann

 

Quelle: disP 174, 3/2008, S. 92-93