Peter Birke u. Chris Holmsted Larsen (Hg.): Besetze Deine Stadt! – BZ DIN BY! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Berlin 2007. 222 S.

Anfang 2007 lieferten sich Jugendliche in Kopenhagen Straßenkämpfe mit der Polizei, die mit der Räumung eines autonomen Jugendzentrums beauftragt war. Das Buch analysiert die Ereignisse, Zusammenhänge und Ursachen, lässt Beteiligte zu Wort kommen und beleuchtet die Geschichte des jugendlichen Protests.

Der Kampf um das Jugendzentrum Ungdomhuset begann, als 1981 die Initiativgruppe zur Gründung eines Jugendhauses im Stadtteil Nørrebro an den kommunalen Behörden scheiterte. Der sich daraufhin formierende Protest erzwang mit Besetzungsaktionen und Straßenkämpfen die Bereitstellung eines Gebäudes am Jagtvej 69. Die Bewegung, die sich inzwischen BZ nannte, wuchs und besetzte auch in benachbarten Stadtteilen Häuser für Wohngruppen, Volksküchen und Kneipen. Die selbst verwalteten Projekte boten Raum für Versammlungen, nicht-kommerzielle Kunst und Kultur und erreichten mit niedrigen Preisen auch Menschen mit geringem Einkommen. Die Bewegung erfuhr breite öffentliche Unterstützung, die, zusammen mit den Besetzungs- und Protestaktionen, die Stadt zur Aufnahme von Verhandlungen zwang. Die Ursachen der späteren Verschiebung der Kräfteverhältnisse zuungunsten der Bewegung sind vielschichtig. Genannt werden der Niedergang der BZ-Bewegung, die Skepsis der Aktivisten gegenüber Verhandlungen mit der Stadt, aber auch die neoliberale Wende in der Stadtpolitik mit dem daraufhin einsetzenden Preisauftrieb bei Grundstücken und Immobilien. Projekte wie das Ungdomhuset waren immer häufi ger von Räumung bedroht und konnten ihre Existenz in den teils begehrten Lagen nur durch hartnäckige Militanz behaupten, bis das Jugendzentrum 2007 schließlich von polizeilichen Anti-Terror-Einheiten geräumt wurde. Birke setzt die Proteste um Entstehung, Etablierung und Erhalt der autonomen Zentren in Bezug zu den politischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen im Kopenhagen der 1960er, 1970er und 1980er Jahre und arbeitet Kontinuität und Wandel der regierungspolitischen Leitlinien und Strategien im vergangenen Jahrzehnt heraus. Kopenhagen erscheint hier als Exempel der weltweit dominanten, wettbewerbsorientierten Stadtpolitik, deren soziale Härten vor allem die schwächsten Glieder der Stadtbevölkerung treffen. Er betont zu Recht, dass die Proteste weit mehr artikulieren als den Ruf nach Freiräumen und Selbstbestimmung. Sie unterstreichen elementare Forderungen, wie die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, ein reguläres Einkommen und die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. – Gleichwohl ist kritisch zu hinterfragen, wem und wie vielen die »Inseln der Selbstverwaltung« (15), wie das Ungdomhuset oder die ›freie Stadt‹ Christiania, die Chris Holmsted Larsen vorstellt, nutzen. Christiania ist ein 34 Hektar großes ehemaliges Militärgelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn, das zu Beginn der 1970er Jahre besetzt wurde und derzeit ca. 1 000 Menschen als Wohn- und Lebensraum dient. Es verfügt über eine lokale Ökonomie und unterhält eine von der Stadt Kopenhagen unabhängige, kommunalähnliche Infrastruktur, zu der bspw. Schulen, Kindergärten und auch ein Postamt gehören. Sämtliche Entscheidungen über das gemeinsame Wohnen und Arbeiten in Christiania werden  gemeinschaftlich diskutiert und konsensdemokratisch gefällt. Christiania und das Ungdomhuset sind Teil einer Gegenkultur, die sich nach 1968 entwickelte und gegen bürgerliche Wohn- und Lebensvorstellungen ebenso wie den neoliberalen Ausverkauf der Stadt opponierten, wie Liv Rex Hansen und Tobias Alm zeigen. Konstante der Geschichte des  Widerstandes war die Forderung nach einer demokratischen Politik für die Stadtbewohner und mit ihnen.


Weil sich die Darstellung nicht auf die zweifelsohne interessanten Hintergrundberichte und Innenansichten von Aktivisten und Unterstützern aus Dänemark und Deutschland beschränkt, sondern den Kontext westlicher Stadtentwicklung im 21. Jh. berücksichtigt, entsteht ein deutlich differenzierteres Bild von den Kämpfen als in den Medien, deren  Erklärungsversuche meist nicht über »Aktionismus« und »Vandalismus« hinausgingen. – Eine gute Ergänzung bietet der Beitrag von Andreas Blechschmidt, der sich kritisch mit dem vergleichbaren  Projekt ›Rote Flora‹ in Hamburg auseinandersetzt. Er erinnert daran, dass soziale Bewegungen »ohne einen andauernden, solidarischen und lebendigen Diskussionsprozess über Inhalte, Ziele und Aktionsformen« (194) von Entpolitisierung bedroht sind. Nicht wenige Projekte, deren Widerstand in den 1980er Jahren vorbildlich schien, wandelten sich zu privilegierten Inseln, die erkämpfte Sonderrechte, wie z.B. günstige Mieten, genießen, während ihr politisches Engagement nur mehr auf die Verteidigung des Status quo zielt.
Romy Reimer

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 355-356