Gary Baines u. Peter Vale (Hg.): Beyond the Border War. New Perspectives on Southern Africa’s Late-Cold War Conflicts. UNISA: University of South Africa Press 2008. 342 S.
Die „Grenze“ ist eine unumgängliche Konsequenz jeglicher Strategie, einen befriedeten Herrschaftsbereich zu schaffen, der sich als Hort einer wie auch immer bestimmten Zivilisation von dem umgebenden Chaos unterscheidet und daher zugleich auch umfriedet sein muss. J.M. Coetzee hat dies in Waiting for the Barbarians in eindringlicher Weise literarisch gestaltet, ohne sein Heimatland Südafrika auch nur ein einziges Mal zu erwähnen – und doch besteht nie der Hauch eines Zweifels, wo die sich abschottende Festung denn liegen mag. Die Routine technologischer, wo erforderlich auch militärischer Abschottung, die ihr innewohnende Gewalt und die Todesopfer, die diese immer wieder fordert, sind inzwischen vertraut von den gigantischen Grenzbefestigungen, die „Europa“ von „Afrika“ und „Asien“ trennen. Ähnliches gilt für den Nachdruck, mit dem die Grenzlinien zwischen den USA und Mexiko, Australien und seinen nördlichen Nachbarn oder auch Südafrika und Moçambique zu scheinbar oft unüberwindlichen Hindernissen für ungebetene Migranten gemacht werden.
Gary Baines bezeichnet die Nordgrenze des Herrschaftsbereichs des Apartheidsregimes in der Einleitung zu dem vorliegenden Band in Analogie zum Eisernen Vorhang als „Wellblech-Vorhang“ (3) – die Grenze also, die das Apartheidsregime in Südafrika in den 1980er Jahren im Rahmen seiner „totalen Strategie“ gegen den vorgeblichen „totalen Angriff“ des Weltkommunismus verteidigte. Sie unterschied sich in wesentlicher Hinsicht von jenen Beispielen: Zahlreiche Menschen versuchten, dem Herrschaftsbereich Südafrikas zu entkommen, oft freilich nicht mit der Perspektive dauerhafter Emigration, sondern eines aktiven Exils, das mit dem Sturz des verhassten Regimes enden sollte. Die Bewegung nach außen erschien denen, die die Grenze sicherten, somit mindestens so gefährlich wie umgekehrt das Einströmen unkontrollierbarer Menschengruppen. Vor allem sah sich das Apartheidsregime in scharfe innere Kämpfe verwickelt, bis hin zur ausdrücklichen Strategie seiner Gegner, das Land unregierbar zu machen, solange die rassistische Herrschaft fortbestehen würde. Und schließlich chiffrierte die „Grenze“ den heißen Krieg im Norden Namibias und im Süden Angolas, der neben den Townships Südafrikas zum Brennpunkt des regionalen Konfl ikts geworden war. Dieser Krieg verwüstete eine ausgedehnte Region zu beiden Seiten der angolanisch-namibischen Grenze; er bedeutete eine Erfahrung alltäglichen Terrors für die Menschen, die in der Kriegszone lebten; er prägte einen entscheidenden Lebensabschnitt der jungen Männer, die als Wehrpfl ichtige, aber etwa auch als „umgedrehte“ gefangene Angehörige der Befreiungsbewegungen in die militärischen Kämpfe und das dauerhafte Besatzungsregime in Nord-Namibia hineingezogen wurden; er ging einher mit einem Regime systematischer Abschottung aller Bevölkerungsgruppen in Südafrika und selbst der kämpfenden Soldaten von der Realität der Kriegsführung „an der Grenze“.
Dennoch ist der „Grenzkrieg“ nach wie vor ein halböffentliches, wenn auch kein offizielles Thema in Südafrika und der betroffenen Region, zumal in Namibia. Seinen ideologischen Ausformungen in Südafrika, aber auch der realen Kriegsführung vor allem in Südangola und ihrer Verarbeitung widmen sich die 17 Beiträge des vorliegenden Bandes. Sie tun dies vor allem durch das Medium unterschiedlicher Repräsentationsformen, wobei die Erlebnisebene der weißen Rekruten deutlich in den Vordergrund tritt. Dabei wird an einer Population, die in Südafrika ein Kernelement der herrschenden Minderheit darstellte, durchaus deutlich
gemacht, welche zumal kulturellen und psychischen Verwerfungen langjährige militärische Besatzungsregime gerade auch unter den Akteuren der Besatzungsmacht hervorrufen. Es geht um Allianzen zwischen den Akteuren des Kalten Krieges, insbesondere um die Zusammenarbeit Apartheid-Südafrikas mit den Counter-Insurgency-Strategen in den USA, um ideologische Strategien, die den „Border War“ propagierten und von der Filmförderung bis zu Schlagersendungen im Radio die Bilder der Verteidigung der eigenen Kultur und des Pionierheldentums in der Tradition der voortreckers mit der Brutalität und Barbarei konfrontierten, die den vom Norden aus operierenden Befreiungsbewegungen zugeschrieben wurden. Einen großen Raum nimmt dabei die Verarbeitung der Kampferfahrungen großenteils durch Ex-Kombattanten in Form von Literatur und darstellender Kunst ein. Dabei kontrastieren die in verschiedenen Beiträgen analysierten romanartigen Gestaltungen meist weißer südafrikanischer Kriegsteilnehmer mit der Darstellung eines von dem angolanischen Künstler und Kriegsteilnehmer Fernando Alvim initiierten Gemeinschaftswerkes mit
einem cubanischen und einem südafrikanischen Kollegen, das auf den gemeinsamen Aufenthalt am Ort der entscheidenden Schlacht von Cuito Cuanavale im Süden Angolas zurückgeht. Wendy Morris refl ektiert dabei ihre eigene lebensweltliche Konfrontation mit dem banalen Radioprogramm „boys on the border“ und ordnet die künstlerische Aktion ein in die Auseinandersetzung mit dem absoluten Grauen in künstlerischen Antworten auf den Holocaust.
Die sonstigen Beiträge, die sich stärker auf diejenigen Regionen in Angola und Namibia beziehen, welche unmittelbar von illegaler Besatzung (vor allem ganz Namibia ab 1966) und Krieg betroffen waren, unterscheiden sich thematisch deutlich von der Mehrheit der Aufsätze, die sich mit der Repräsentation des Geschehens in Südafrika befassen. Elaine Windrichs Überblick über die Propaganda, mit der die UNITA von Jonas Savimbi zur ernstzunehmenden Alternative sowohl in den Augen der Konservativen in den USA als auch
in der interessierten südafrikanischen Öffentlichkeit aufgebaut wurde, bringt nicht viel Neues. Ganz anders Edgar J. Dosman in dem wohl spannendsten Beitrag des Bandes: Teilweise gestützt auf cubanische Archive zeichnet er die strategischen Entscheidungen nach, die schließlich 1988 zur Entscheidungsschlacht von Cuito Cuanavale führten und die Blockade durchbrach, die ein Jahrzehnt lang mit dem Junktim zwischen der Präsenz cubanischer Truppen in Angola und einer Lösung der Namibia-Frage bestanden hatte. Insbesondere wird deutlich, dass hier wie schon 1975 bei der Operación Carlota, mit der das cubanische Engagement begann, Cuba keineswegs als Appendix oder Erfüllungsgehilfe sowjetischer Geostrategie auftrat, sondern eigenständig Entscheidungen auch gegen die Wünsche der sowjetischen Führung traf und ausführte.
Robert Gordon berichtet von der Beendung der illegalen Besatzung Namibias 1989/90, bei der Angehörige der United Nations Transitional Assistance Group (UNTAG) nicht nur an einer der bis dahin größten und nach wie vor erfolgreichsten UN-Missionen teilnahmen, sondern, wie er zeigt, ein spezifisches „Abenteuer“ erlebten, fernab der Katastrophe vom 1. April 1989, die den gesamten Prozess fast zum Scheitern gebracht hat, fernab auch von den Aktivitäten von einer „Myriade internationaler Beobachter“, die bereit waren, in den hintersten Winkel des Landes vorzudringen und so entscheidend zum Erfolg der Transition beitrugen – man könnte sagen, eine Besetzung ganz eigener Art. Besatzung aus der Perspektive (nicht-weißer) Besatzer, sondern derer, die das Besatzungsregime unmittelbar zu erleiden hatten, wird in den literarischen Versuchen vor allem von Frauen aus dem Norden Namibias deutlich, die Heike Becker analysiert hat: Es zeigt sich die teils täglich erfahrene Machtlosigkeit gegenüber der Kriegsmaschinerie; zugleich werden Abgrenzungsstrategien deutlich: die Defi nition der Besatzer als „Außenseiter“. Vor allem aber betont Becker die Vernachlässigung dieser Erfahrung in offi ziellen und offiziösen Darstellungen des Befreiungskrieges.
Zwei Beiträge widmen sich schließlich aus unterschiedlichen Perspektiven den Schwierigkeiten der historischen, aber auch juristischen und menschenrechtlichen Aufarbeitung des komple xen Geschehens des „Krieges an der Grenze“. Christopher Saunders unter sucht in einigem Detail, welchen Ertrag die Arbeit der südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) für die Aufarbeitung der Ereignisse in Namibia und Südangola ergeben hat. Es ergibt sich ein äußerst uneinheitliches Bild aus einer Reihe neuer Erkenntnisse über die Praxis einiger der südafrikanischen Armeeabteilungen, das auch nicht der häufig geäußerten Kritik am „übertriebenen Legalismus“ der TRC verfalle, wobei andererseits wichtige Ereignisse, beispielsweise zahlreiche Morde an herausragenden Einzelpersonen, übergangen werden. Justine Hunter schließlich geht der „Politik des Erinnerns und Vergessens in Namibia seit der Unabhängigkeit“ nach (302). Die Problematik des offiziellen Versöhnungsdiskurses wird deutlich am offi ziellen Schweigen über Menschenrechtsverletzungen, die unter die Verantwortung der SWAPO im Exil fallen, ebenso wie an der Straflosigkeit des als „Dr. Death“ berüchtigten Arztes Wouter Basson, der für Folter an zahlreichen Gefangenen und ihren Tod verantwortlich ist, doch aufgrund der 1990 in Namibia erlassenen Amnestie auch in Südafrika nicht verurteilt werden konnte.
Bei aller Heterogenität und mancher Unausgewogenheit vermittelt der Band so wichtige Einsichten in die langfristigen Folgen eines über einen großen Zeitraum durchgehaltenen Besatzungsregimes für dessen Funktionsträger ebenso wie für die davon Betroffenen.
Reinhart Kößler