Mark Whitehead, Rhys Jones, Martin Jones: The Nature of the State. Excavating the Political Ecologies of the Modern State. Oxford 2007. 234 S.
Ob Flussläufe, Bergketten oder Sumpflandschaften, ob Klimawandel, Verschmutzung der Weltmeere oder Verlust an Artenvielfalt. Wenig spricht für eine nationalstaatliche Regulierung und Steuerung von Umweltfragen und natürlichen Ressourcen, weder Ökosysteme noch Verschmutzungen halten sich an nationalstaatliche Grenzen. Viele sprechen bereits vom Ende des Nationalstaates und die UN-Konferenzen seit den 1970er Jahren lösten eine regelrechte Euphorie über eine neue Global Environmental Governance, über eine globale Steuerung von Umweltproblemen, aus.
Trotz der immer wieder betonten Unmöglichkeit globale Umweltprobleme innerhalb von nationalstaatlichen und territorialen Grenzen zu lösen, bleibt der Staat jedoch einer der wichtigsten Akteure in der Konstruktion, Gestaltung und Regulation von Natur. Internationale Verträge müssen von nationalstaatlichen Akteuren implementiert und überprüft werden, lokale Maßnahmen sind in nationale Strategien der Umweltpolitik eingebettet. Das hier zu besprechende Buch nimmt diese bedeutende Rolle des Staates in der Konstruktion und Ordnung von Natur und Umwelt als Ausgangspunkt und analysiert anhand von Beispielen die historisch spezifischen Beziehungen zwischen Staat und Natur. Die Autoren stellen sich die Frage, welche Rolle Staaten in der Konstruktion von Natur spielen und wie dadurch state nature, also ein zentralisiertes und an ein bestimmtes Territorium gebundenes Konzept von Natur, konstruiert und produziert wird. Natur muss dafür simplifiziert, standardisiert und aus dem ökologischen Kontext gelöst werden. Ziel des Buches ist es, herauszuarbeiten, wie Nationalstaaten Natur framen1 und durch Zentralisierung (standardisiertes Wissen, Simplifizierung etc.) und Territorialisierung (Kartografie, geografische Informationssysteme, Nationalparks etc.) die natürliche Umwelt "regierbar" machen: "The framing of nature by the state only rarely involves the construction of a physical framework or territorial barrier, and can take the diverse forms of agricultural laws, scientific procedures, property rights, environmental statistics, and engineering infrastructures. What such framing processes invariably involve, however, is the 'violent extrication' of nature from its broader ecological context" (Whitehead/Jones/Jones 2007: 15).
Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. In der Einleitung sowie im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen erarbeitet bzw. der Stand der Forschung diskutiert. Unterschiedliche Theorien und Überlegungen zur Beziehung zwischen Staat und Natur werden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt und auf ihre Brauchbarkeit in Bezug auf die Fragestellung diskutiert. Klassische Staatstheoretiker wie Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau oder Max Weber werden ebenso einbezogen wie marxistische, postmarxistische und poststrukturalistische Sichtweisen des Zusammenspiels von Natur, Gesellschaft und Staat. In den darauf folgenden Kapiteln wird das framing von Natur bzw. die Rolle des Staates in der Produktion von Natur in der Empirie überprüft und an Beispielen dargestellt. Eine historische Abhandlung zeigt im dritten Kapitel wie eng die Konstitution des Nationalstaates bzw. die Konsolidierung moderner Staatlichkeit mit der Kontrolle von Natur verbunden war, während es allerdings gleichzeitig auch Beispiele für Natur als zentrales Moment der Anfechtung staatlicher Ideologien gibt. Im vierten Kapitel werden Landnutzungskarten als ein Instrument zur Zentralisierung und Simplifizierung von Natur durch den Staat diskutiert. Entscheidend ist, dass diese Karten die territoriale Kontrolle des Staates über Natur erleichtern und in diesem Zusammenhang nicht nur existierende Grenzen abbilden, sondern auch neue produzieren. Im fünften Kapitel gehen die Autoren auf die Rolle von staatlichen Institutionen ein und analysieren wie nationale Natur durch Inkorporation in und Bearbeitung durch Staatsapparate aufgebaut wird. Die Rolle von Technologien in der staatlichen Steuerung von Natur wird im sechsten Kapitel diskutiert. Diese werden einerseits eingesetzt, um Natur besser zu managen, andererseits können sie auch eine Bedrohung für die Möglichkeit der Regulierung von Natur darstellen (Gentechnik, Klonen, Cyberspace etc.). Im siebten Kapitel wird schließlich die Fokussierung auf den Nationalstaat, die eindeutiger Referenzrahmen für Fragestellung, Argumentation und empirische Beispiele des Buches ist, aufgebrochen und Re-Skalierungsstrategien in der Aneignung und Bearbeitung von Natur durch die Regulation auf städtischer (Diskussion um sustainable city-Initiativen) und globaler Ebene (Diskussion der United Nations Framework Convention on Climate Change) diskutiert. Trotz dieser Re-Skalierungstendenzen und der Bemühungen Umweltprobleme auf globaler oder lokaler Ebene behandeln zu wollen, attestieren Whitehead et al. nationalstaatlichen Akteuren weiterhin eine Schlüsselrolle in der globalen Regulation von Natur.
Interessant für die Erarbeitung des theoretischen Ansatzes im vorliegenden Buch ist die explizite Inkorporation von Staatstheorie in die Umweltforschung. Die Autoren beschreiben in aktuellen Forschungsüberlegungen eine breite Ablehnung gegenüber staatstheoretischen Ansätzen, die sie vor allem auf zwei zentrale Gründe zurückführen: Erstens wird der Staat vielfach als Entität verstanden und diese Analyse scheint überholt. Zweitens sehen viele AutorInnen unter dem Stichwort der Globalisierung die territoriale Macht des Staates erheblich eingeschränkt und daher scheinen nationalstaatliche Erklärungsversuche nicht mehr zeitgemäß zu sein. Viele WissenschafterInnen konzentrieren sich deshalb auf andere theoretische Konzepte der politischen Steuerung und Regulierung auf unterschiedlichen Ebenen, wie beispielsweise auf den Ansatz der Ecological Governance oder in Anlehnung an Foucault auf das Konzept der Environmental Governmentality.
Mit Bezug auf unterschiedliche TheoretikerInnen zeigen Whitehead et al. allerdings die lange Tradition - manchmal explizit, vielfach implizit - Ideen über Staat und Natur zu verbinden und wie diese Beziehung theoretisch hergeleitet wird. So wurden Natur und Staat etwa in Schriften des Absolutismus (Thomas Hobbes) und der Aufklärung (Jean-Jacques Rousseau) als gegensätzliche Begriffspaare beschrieben. Von der Natur als Zustand von Barbarei, Krieg und Furcht leitet Hobbes eine Theorie des staatlichen Souveräns ab, die Natur regierbar macht. Eine ähnliche Vorstellung von der Beziehung zwischen Natur und Staat hat Rousseau, allerdings sieht er im Naturzustand die Freiheit des Menschen, die durch den Staat gefährdet ist. Nur ein Vertrag zwischen Staat und Mensch kann das menschliche Naturrecht auf Freiheit sicherstellen. Beide Ansätze fokussieren ebenso wie anarchistische Theorieströmungen auf die sogenannte erste Natur (ursprüngliche und präexistenzielle), die kategorisch von der Gesellschaft getrennt werden kann.
Diese ontologische Trennung wird mit den Gedanken von Max Weber zumindest teilweise aufgebrochen. Er fokussiert sehr viel stärker auf die sogenannte zweite Natur, die vom Menschen produziert und konstruiert wird. Diese Sichtweise öffnet einerseits Wege, um die Umweltzerstörung durch den Menschen sichtbar zu machen, schafft aber andererseits auch Raum für den Glauben an die Kontrolle und das Management von Natur. Die Idee vom Staat als Manager und Verwalter von Natur entspringt dieser Tendenz. Er handelt im Interesse der gesamten Bevölkerung bzw. nach wissenschaftlichen Beurteilungen und wird als autonome Macht beschrieben. Damit der Staat als Manager über Natur fungieren kann, ist eine klare Simplifizierung von Natur nötig. Die Natur wird zur Ressource und der Staat fungiert als Ressourcenmanager. Sehr anschaulich wird diese Simplifizierung von James Scott beschrieben. Die wissenschaftliche Forstwirtschaft, die Vereinheitlichung von Maßeinheiten sowie die Einführung der Katasterkarte, die in der Folge zu einer Vereinheitlichung von Landbesitzverhältnissen und zur Umwandlung von kollektiven Nutzungsrechten in individuelle Eigentumsrechte führte, sind nur einige Beispiele, mit denen Scott den modernen Staat als Verwalter und Manager beschreibt (Scott 1998). Auch die Theorie des Staates als Risikomanager (Ulrich Beck) verorten Whitehead et al. in einer weberianischen Denkströmung.
Explizit kritisieren vor allem neo- und postmarxistische Ansätze die ontologische Trennung von Natur und Gesellschaft/Staat und heben hervor, dass diese Felder sich immer schon aufeinander beziehen und miteinander verwoben sind. Zudem stellen sie vielfach die essentialistische Basis von Natur selbst in Frage, indem sie diese nicht als etwas gegebenes, sondern als gesellschaftlich produziert betrachten - sowohl physisch-materiell (der Mensch eignet sich Natur an und transformiert sie im Rahmen einer historisch spezifischen Produktions- und Konsumweise) als auch sprachlich-symbolisch (Natur bzw. natürliche Ressourcen erlangen erst durch die Verbindung mit gesellschaftlichen Konzepten und Technologien Bedeutung) (Köhler/Wissen 2010). Beispiele für diese theoretischen Annahmen finden sich vor allem in der breit gefächerten Theorieströmung der Political Ecology, namhafte Vertreter sind etwa Neil Smith, mit seiner These der sozialen Produktion von Natur (Smith 1984) oder Noel Castree mit seiner These der Neoliberalisierung von Natur (Castree 2008). Jedoch orten Whitehead et al. bei marxistischen Theorien eine Gefahr, den Kapitalismus als alleinige treibende Kraft für die Handlungen des Staates und die Transformation von Natur zu sehen.
Wichtige analytische Anleihen nehmen die Autoren auch bei Michel Foucault, der sich bei der Analyse von sozialer und politischer Macht vor allem auf die Mikropolitiken des Alltags und nicht auf die formalen Regierungs- bzw. Staatsstrukturen konzentrierte. Für die Beziehung zwischen Natur und Staat leiten sie daraus ab: "In this way we argue that the state has become increasingly implicated in the routine disciplining and control of nature, both in regulating social actions towards the natural world and in terms of altering bio-ecological processes themselves" (Whitehead et al. 2007: 49). Auch andere poststrukturalistische bzw. postmoderne Ansätze werden im Buch rezipiert, interessant erscheint mir vor allem die Referenz auf Bruno Latour, der in der Actor Network Theory (ANT) die künstliche Trennung von Natur und Gesellschaft als wesentliches Element der Moderne "enttarnt", wodurch sozio-ökologische Hybride geschaffen werden, Mischwesen aus Natur und Technik (vgl.: Callon/Latour 1981).
Angeleitet von diesen theoretischen Positionierungen fokussieren Whitehead et al. im weiteren Verlauf des Buches hauptsächlich auf das staatliche framing von Natur durch Territorialisierung und Zentralisierung bzw. auf die vielfältigen Wege des Staates, sich in Natur einzuschreiben. Nicht nur formale Staatsapparate, sondern auch andere Institutionen sind dafür relevant: "State-nature relations are heterogeneous because they operate not just in state departments but also in museums, laboratories, health clinics, parks and gardens, and even corporate boardrooms" (Whitehead et al. 2007: 55).
Die Autoren ordnen sich damit in eine polit-ökologische Forschungsrichtung ein, die von einer wechselseitigen Beeinflussung bzw. einem Wirkungszusammenhang zwischen Natur und Gesellschaft ausgeht, sich bisher allerdings wenig explizit mit der Rolle des Staates beschäftigt hat (Ausnahmen sind beispielsweise Beiträge von Robbins 2008 oder von Neumann 2004). Whitehead et al. verorten sich mit der Analyse der Rolle des Nationalstaates jenseits von klassischen Environmental Governance-Theorien, die informelle Handlungskoordination bzw. Steuerung und Regulierung von Umweltproblemen jenseits formalisierter staatlicher Strukturen hervorheben, und legen dar, warum der Nationalstaat noch immer ein bedeutende Rolle im framing von Natur einnimmt. Neben der Politischen Ökologie und (neo)-marxistischen Theorieströmungen werden wichtige Anleihen von poststrukturalistischen TheoretikerInnen übernommen, vor allem der explizite Verweis auf "a careful route through the macro and micro-worlds of state-nature relations" sowie eine Kombination von "state institutions and cybernetic technologies, between the nation and the body" (Whitehead et al. 2007: 55) verweisen auf theoretische Anleihen bei Michel Foucault oder Donna Haraway.
Historisch interessant ist vor allem das dritte Kapitel, in dem die Geschichte des modernen Staates mit der der Natur in Verbindung gebracht wird. Beispielsweise zeigen die Autoren, dass der Aufbau einer nationalen Identität in den Niederlanden eng mit der Beziehung zum Meer verbunden war und die Kontrolle der Natur die politische Struktur (kleinstrukturierte statt zentralisierte Organisation) bis zur Eroberung durch die Habsburger prägte. Anhand der Wasserreserven in Wales zeigen Whitehead et al. aber auch, wie Natur benutzt wurde, um staatlicher Dominanz (in diesem Fall durch die britische Zentralregierung) entgegenzutreten. Als entscheidendes Moment in der Konsolidierung von nationaler Natur wird zudem die Bewahrung von Natur, beispielsweise in nationalhistorischen Museen, genannt, wodurch Natur ganz bewusst in die Nationalgeschichte eines Staates integriert wird.
Zentraler Fokus des vierten Kapitels ist das Konzept des Territoriums und die Möglichkeiten des Staates, (nationale) Räume überhaupt erst zu produzieren. In Anlehnung an Henri Lefebvre beschreiben Whitehead et al. die zentralen Spannungen bzw. widersprüchlichen Tendenzen in der Regulation von Raum durch den Staat. Einerseits tendiert der Staat zu einer Homogenisierung des Raumes bzw. zur sozio-ökonomischen Einheit des nationalstaatlichen Raumes, andererseits fördert er in kapitalistischen Gesellschaften den privatem Besitz von Land, was zu chaotischen und fragmentierten räumlichen Systemen führt: "A paradox thus emerges: while one of the most important roles of the modern state is to preserve and maintain property relations - and by definition the basis for capitalist economic expansion - this very act tends to undermine the capacity of the state to create an effectively coordinated national space for the use and conservation of nature" (Whitehead et al. 2007: 89). Als zentrales Instrument zur Standardisierung und Homogenisierung von Land kann die Landnutzungskarte beschrieben werden. Die Autoren analysieren den Herstellungsprozess von Landkarten deshalb keinesfalls als neutrales Instrument, sondern im Gegenteil als politisch motiviertes Vorgehen. Die Produktion von Landkarten stellt nicht nur eine Möglichkeit zur Zentralisierung von Natur dar, sondern die Verfahren sind mobil und Informationen über Natur können aufbewahrt, kopiert und zwischen unterschiedlichen staatlichen Abteilungen transportiert werden: "It is consequently wrong to think of land-use maps as purely maps of how land is being used. Land-use maps have always provided chronicles of how land is being under-used, or even misused, and indications of how it could be used more effectively and efficiently in the future" (Whitehead et al. 2007: 90f).
Beispielhaft beziehen sich die Autoren auf eine Studie zu Landnutzung der London School of Economics (LSE) in Großbritannien, die 1939 fertiggestellt wurde und anhand derer die britische Landwirtschaft unter der Schirmherrschaft des Landwirtschaftsministeriums durch Mechanisierung und staatliche Kontrolle in die Moderne integriert werden sollte. Die Landnutzung konnte demnach durch den Staat gesteuert werden: "One of the key consequences of data obtained from the LUS and the National Farm Survey was the growing ability of the state to challenge the use of private landowner in the UK. If land was deemed to be underused or used in an inappropriate way, legislation enabled the state to demand changes to how farms were being used and, in extreme situations, to seize control of land assets" (Whitehead et al. 2007: 109).
Zwar gehen die Autoren auf die oftmals wichtige Rolle des Staates im Schutz von Eigentumsrechten von privaten Landbesitzern ein, dennoch werden beide Akteure als autonome Entitäten gegenübergestellt, die je nach historischer Lage unterschiedliche Interessen verfolgen. Diese Sichtweise des Staates als Entität wird im gesamten Buch nicht wirklich aufgebrochen und die gegenseitigen Abhängigkeiten von unterschiedlichen Akteuren bzw. unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften im Staat, die den staatlichen Raum selbst zu einem umkämpften Terrain machen, werden wenig bis gar nicht thematisiert. Der Staat wird hauptsächlich als bürokratische Einheit verstanden, unterschiedliche Akteure und Interessen im Staat werden nur selten sichtbar.
Zwar wird beispielsweise im fünften Kapitel in Bezug auf Staatsapparate auf die Pluralität unterschiedlicher staatlicher Institutionen (Subapparate, Agenturen, Organisationen etc.) eingegangen,2 allerdings auf einer eher technischen Ebene. Die Autoren versuchen zu klären, wie sich Natur in den Staatsapparat einschreibt, aber auch wie staatliche Institutionen wiederum Natur formen: "Nature is framed by the state apparatus - through the formation of particular organizations, through the implementation of certain policies and strategies, and through various processes of representation - but, at the same time, the existence of national natures leads to the state apparatus itself being influenced and framed in important ways" (Whitehead et al. 2007: 119). Für die Diskussion über die Rolle von Staatsapparaten bzw. die Veränderung der Beziehung zwischen Natur und Gesellschaft durch staatliche Institutionen verweisen die Autoren auf zwei Entwicklungen: Einerseits auf die Einführung der Environmental Protection Agency in den USA im Jahr 1970 mit dem Ziel auf nationale ökologische Risiken und Gefährdungen zu reagieren. Zweites Beispiel ist die Verabschiedung des Ressource Management Acts (RMA) in Neuseeland im Jahr 1991, mit dem Natur bzw. Umweltprobleme als technische Probleme definiert wurden, die am Effizientesten durch professionelle Bürokraten gelöst werden sollten. Der RMA erhob den Staat damit zum obersten Schiedsrichter für konkurrierende ökologische Interessen und entzog die Regulation von Natur weitgehend der Partizipation und Mitbestimmung durch die Bevölkerung. Zwar verweisen Whitehead et al. auf die Verlagerung von ökologischem Management und Entscheidungen auf die zentralstaatliche Ebene, die konkurrierenden Interessen in der Einführung dieser staatlichen Institution werden allerdings nicht behandelt. Der RMA wird als vollendete Tatsache der Etablierung technokratischer Lösungsstrategien für Umweltprobleme diskutiert, nicht aber auf den möglicherweise umkämpften Prozess der Entstehung des Dokuments eingegangen.
Interessant ist auch die Diskussion um Technologien und die Möglichkeiten und Gefahren für die staatliche Steuerung von Natur in einer technologischen Gesellschaft. Die Autoren argumentieren, dass Technologien einerseits vom Staat genutzt werden, um das Management von Natur zu verbessern, andererseits aber auch in vielen Fällen die Kapazitäten des Staates zur Regulierung von Natur bedrohen (Labore, Cyberspaces etc.). Theoretisch berufen sich Whitehead et al. dabei unter anderem auf die postmoderne feministische Theoretikerin Donna Haraway, die versucht in ihren Werken die Grenzen zwischen Mensch/Maschine und zwischen Natur/Gesellschaft aufzuheben. Analog dazu konstruieren die Autoren den Staat als Cyborg, als Schnittstelle zwischen Natur und Technik: "Understood as a cyborg, we argue that the state can be analysed as a political body that is technologically fused with nature. In this context, it is possible to understand state-nature relations not simply as a process by which the state acts on nature, but as the contingent outcome of the technological networks that simultaneously make state power over nature possible, while persistently undermining the ability of the state to manage nature because of the complex ecological mutants (or monsters) produced by these technological networks" (Whitehead et al. 2007: 149).
Mit der Diskussion um die Regulierung des Körpers durch den Staat am Beispiel des menschlichen Klonens beziehen sich die Autoren auf eine poststrukturalistische und feministische Debatte (Butler, Foucault, Haraway, Latour etc.) und diskutieren den menschlichen Körper als eine Sonderstellung in der Beziehung zwischen Staat und Natur: "The fact that the human body is both a constant reminder of our inherent connection with nature, and our most immediate point of reference for defining our humanness and difference from other facets of nature, that lies at the very heart of states' contemporary moral uncertainties concerning the science of human cloning" (Whitehead et al. 2007: 167). Zwar hat die medizinische Regulierung des Körpers durch den Staat eine lange Tradition (Impfungen in Schulen, rezeptpflichtige Medikamente etc.), doch mit dem Eingriff in die "Natur" durch das menschliche Klonen wird der Staat zu einem Schiedsrichter, der zwischen Natürlichem und Menschlichem unterscheiden muss. Als Materialisierung dieser strittigen Differenzierung können Patente angesehen werden. Grundsätzlich kann alles, was vom Menschen gemacht ist, patentiert und dadurch individuellem Eigentum zugeführt werden. Die Frage, was Natur ist und was nicht, ist deshalb eine hoch politische und die Autoren zeigen anhand der Debatte um das therapeutische Klonen in dien USA die fließenden Grenzen in dieser Fragestellung, die nie rein objektiv geklärt werden kann und die Regulierungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates erheblich herausfordert.
Im letzten Kapitel gehen die Autoren auf Re-Scaling-Prozesse in der staatlichen Regulierung von Natur ein und beziehen sich dabei auf die städtische und auf die globale Maßstabsebene. Sie gehen damit - vor allem mit Bezug auf Neil Brenner - auf angelsächsische Raumdebatten ein, die vielfach unter dem Begriff politics of scale bekanntgeworden sind. Die Dreiteilung in eine städtische, nationale und globale Ebene geht auf die Pioniere der Scale-Debatte zurück (Peter Taylor, Neil Smith), wurde aber in den 1990er Jahren wesentlich erweitert, beispielsweise durch die Maßstabsebene des Haushalts aus geschlechtertheoretischer Perspektive (Wissen/Röttger/Heeg 2008).
Im Buch werden als Beispiel für das framing von Natur auf städtischer Ebene sustainable-city-Initiativen in Australien diskutiert. Diese Ansätze entstanden in den 1970er Jahren, als sich der Diskurs um nachhaltige Entwicklung im Zuge der UN-Konferenz über menschliche Entwicklung in Stockholm etablierte. In der Folge sollten neben raumplanerischen Elementen und lokalen Besonderheiten auch globale Veränderungen und atmosphärische Umweltprobleme in die urbane Entwicklung einfließen.
Als zweites Beispiel wird die Rolle des Staates in internationalen bzw. supranationalen Strukturen im Management von Natur bzw. von Umweltproblemen angeführt. Die Autoren zeigen am Beispiel des Klimawandels die sich verändernden Beziehungen zwischen Staat und Natur und die Konstruktion eines globalen Phänomens, das außerhalb der Steuerungsmöglichkeiten des Nationalstaates liegt und somit auch anderer Regulierungsstrategien bedarf: "The point is that climate change is not simply about the pollution of nature; it is about a systemic shift in how environmental systems operate at a global level" (Whitehead et al. 2007: 199). Die United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC), inklusive dem Kyoto-Protokoll, wird in diesem Zusammenhang als Beispiel für globale Umweltpolitik diskutiert. Interessant ist, dass die Autoren explizit ansprechen, dass die Bemühungen zur globalen Steuerung von Natur keineswegs zu einer Abschaffung von nationalstaatlichen Grenzen oder zu einem Bedeutungsverlust von Nationalstaaten führen (wie dies in der Literatur zu Globalisierung aber auch zu Global Governance oftmals argumentiert wird), sondern Nationalstaaten Schlüsselakteure in der Bewältigung von globalen Umweltbedrohungen bleiben: "What interests us about the Framework Convention and the subsequent agreements on climate change is that while they represent attempts to tackle climate change at a global level, they have all been forged and indelibly framed by the politics and sovereignties of nation-states" (Whitehead et al. 2007: 202). Nationale Interessen spielen in den Verhandlungen eine entscheidende Rolle und auch die Implementierung und Überwachung der internationalen Verträge ist auf nationalstaatlicher Ebene angesiedelt. Ähnliches gilt für die Konstruktion des Umweltproblems selbst, nämlich den CO2-Ausstoß: Obwohl Treibhausgasemissionen post-territorial wirken und sich weder der Ausstoß noch die Folgen nationalstaatlich begrenzen lassen, operieren die Lösungsstrategien innerhalb von territorialen Grenzen, beispielsweise durch den Emissionshandel. In diesem Sinn integrieren auch Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft, die auf kommunaler oder globaler Ebene stattfinden, Prozesse der Zentralisierung und Territorialisierung, die im gesamten Werk beschrieben werden.
Im Hinblick auf eine kritische Reflexion des Buches ist vor allem die Fülle an theoretischen Ansätzen in der Auseinandersetzung mit state-nature-relations hervorzuheben. Das zweite Kapitel gibt einen breiten Überblick zu den theoretischen Strömungen, die sich mit der Beziehung zwischen Staat und Natur auseinandergesetzt haben und viele Anreize zur weiteren Vertiefung in die Thematik. Auch empirisch wird eine Vielzahl an Beispielen diskutiert, die allerdings alternativ zu vielen anderen Forschungsarbeiten, die der Politischen Ökologie zuzurechnen sind, auf Fallbeispielen des globalen Nordens beruhen. Asymmetrische Machtverhältnisse im Nord-Süd-Vergleich werden ebenso wenig beleuchtet wie spezifische state-nature-relations im globalen Süden. Zudem wird im Allgemeinen auf Machtverhältnisse und Interessengegensätze zwischen unterschiedlichen Akteuren wenig eingegangen. In vielen Fällen wird die bürokratische Dimension des Staates hervorgehoben und die tatsächlich handelnden AkteurInnen nicht wahrgenommen. Unterschiedliche Interessensgruppen bzw. Klassenfraktionen im Staat werden weitgehend ausgeblendet und damit meiner Ansicht nach die Dimension des Staates als umkämpftes Terrain und Austragungsarena gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse vernachlässigt.
Interessant ist mit Sicherheit der Fokus auf den Nationalstaat und die Diskussion über dessen Rolle in der Regulation von Natur. Die Autoren betonen, dass der Nationalstaat trotz Globalisierung und Tendenzen in Richtung einer verstärkten Zusammenarbeit auf supranationaler und globaler Ebene wichtigster Bezugspunkt für die Regulation von Natur bleibt. Auch wenn politische Entscheidungen auf städtischer, supranationaler oder globaler Ebene - vor allem in der Umweltpolitik - in den letzten Jahrzehnten eindeutig zugenommen haben, ist es weiterhin der Nationalstaat, der für die Umsetzung verantwortlich zeichnet. Anders als viele internationale Abkommen hat der Staat die Möglichkeit, rechtlich verbindliche Maßnahmen zu setzen und diese auch zu sanktionieren. Der Nationalstaat wird demnach auch in der Zukunft ein wichtiger Entscheidungsträger bleiben und die Konflikte im und um den Staat spiegeln wesentliche gesellschaftliche Kräfteverhältnisse wider.
Anmerkungen:
1 Der Begriff des framing wird von Michel Callon übernommen und als Prozess verstanden "that involves the bracketing off of the things and objects interacting in a certain context (...). A frame of interaction involves a degree of focus, a focus on the things that can be measured and changed - and a subsequent ignorance of the things that are located beyond this calculation process" (Whitehead et al. 2007: 14).
2 Theoretisch beziehen sich Whitehead et al. dabei vor allem auf Neil Brenner, Antonio Gramsci und Perry Anderson.
Bibliografie:
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Castree, Noel (2008): Neoliberalising nature. The logics of deregulation and reregulation. In: Environment and Planning A 40(1), S. 131-152.
Köhler, Bettina/Wissen, Markus (2010): Ein kritischer theoretischer Zugang zur ökologischen Krise. In: Lösch, Bettina/Thimmel, Andreas(Hg.): Kritische politische Bildung. Ein Handbuch. Schwalbach. S. 217-227.
Neumann, Roderick (2004): Nature - State - Territory. Towards a critical theorization of conservation enclosures. In: Richtard Peet/Watts, Micheal (Hg.): Liberation ecologies. Environment, Development, Social Movements. London. S. 195-217.
Robbins, Paul (2008): The State in Political Ecology. A Postcard to Political Geography from the Field. In Cox, Kevin/Low, Murray/Robinson ,Jennifer( Hg.): The SAGE Handbook of Political Geography. London. S. 205-218.
Scott, James (1998): Nature and Space. In: ders.: Seeing like a state. How certain schemes to improve the human condition have failed. New Haven. S. 11-52.
Smith, Neil (1984): Uneven Development. Nature, Capital and the Production of Space. Oxford.
Wissen, Markus/Röttger, Bernd/Heeg, Susanne (Hg.) (2008): Politics of Scale. Räume der Globalisierung und Perspektiven emanzipatorischer Politik. Münster.
Melanie Pichler
Zitierweise:
Melanie Pichler: Rezension zu: Mark Whitehead, Rhys Jones, Martin Jones: The Nature of the State. Excavating the Political Ecologies of the Modern State. Oxford 2007. 234 In: raumnachrichten.de http://www.raumnachrichten.de/ressource/buecher/1259-ecologies
Kontakt:
Melanie Pichler
Universität Wien, Institut für Politikwissenschaft
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