Wolfgang Amsoneit, Walter Ollenik: Zeitmaschine Architektur. Eine Einführung in die Architekturtheorie. Essen 2008. 416 S.

Der Titelbegriff – aus einer utopischen Erzählung von Herbert George Wells («The Time Machine», 1895) abgeleitet – verunklärt eher, als dass er erhellte. Es geht um Architektur als Zeitzeugnis, ihre Wirkung auf den Betrachter und ihre Erhaltung als Denkmal. Im Vorwort bekunden die Verfasser, dass sie den Zeitbegriff in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen, «um zu einer neuen Theorie der Architektur vorzudringen».

Dabei interpretieren sie den Begriff der Theorie sehr weit – vom Gebäudeentwurf als «Produktionstheorie» über die «Rezeptionstheorie » bis zur Darstellung der baugeschichtlichen Entwicklung.
Am Anfang steht eine Auseinandersetzung mit der Moderne; der Begriff wird zunächst auf jede
neue Strömung in der Architektur bezogen, zielt aber im weiteren Verlauf vor allem auf deren Entwicklung im zwanzigsten Jahrhundert. Die Kapitelüberschrift «Dämon Moderne» macht die Kritik der Autoren an dieser Entwicklung deutlich; diesem «Dämon» lasten sie an, er habe «die Prinzipien einer verbindlichen Ästhetik und Stiltradition als Urformen der Architekturlösung enthauptet und durch die Prinzipien Immobilienökonomie und akzentuiertesDesign des Augenblicks ersetzt».
Damit wird der nostalgische Grundtenor des Werks umrissen; die allgemein wenig geschätzte
«Gründerzeit» des 19. Jahrhunderts wird verklärt mit der Behauptung, die Stadtplaner klammerten sich «verzweifelt an die Konturen der Gründerzeitplätze, weil sie ihnen nichts anderes entgegenzusetzen haben». Die Situation der Jahrtausendwende sehen die Autoren gekennzeichnet durch die «schräge Architektur» weniger Avantgardisten und die «belanglose», wenn nicht gar «nihilistische», «aberwitzige» oder «trostlose» Masse der sonstigen neueren Bauten, einen «Architekturspagat zwischen exorbitanten Superzeichen und theorieloser, banaler Massenarchitektur» – allerdings ohne dieses pauschale Urteil im Einzelnen zu belegen. Ihr Fazit: eine «Krise der Moderne», in der «Konsens und Selbstverständnis für die architektonische Gestaltung durch Architekten (…) um die Jahrtausendwende in der Gesellschaft endgültig verloren gegangen (sind)» – wobei mit «endgültig» sogar ein prophetischer Anspruch erhoben wird.
Um so wichtiger erscheint den Autoren die Präsenz der historischen Bauten, die in den «Abgrund Zeit» blicken lassen und «Zeitnetze» bilden. Denkmalpflege sehen sie als «politisch verordnete Korrektur der ‹stadtmordenden› Moderne» an. Eine wichtige Rolle erkennen sie auch neu geschaffenen Rekonstruktionen zu, um dem «brennenden Wunsch nach authentisch wiederhergestellten Stadtbildern» nachzukommen; die Rekonstruktion sei eine «absolut bittere Konsequenz, auf Bewährtes zurückzugreifen, weil es sich so aus Orientierungslosigkeit und einem kulturellen Werteverfall ergibt.» Das Publikumsinteresse am Denkmal beurteilen die Autoren allerdings eher skeptisch: Denkmäler gelten als «Objekte der Begierde» und werden «voyeuristisch» – zwei vielfach wiederkehrende Begriffe – «angestarrt» oder auch «angegafft». Dass sie mit solcher Ausdrucksweise bei vielen Lesern ihrem Anliegen eher Abbruch tun könnten, kam den Autoren offenbar nicht in den Sinn.
Im Schlusskapitel – «Ausblick in die Zukunft der Architektur» – wird dem Denkmal «in seiner Polarität zur Moderne» eine Schlüsselfunktion für eine neue Architekturtheorie zugeschrieben: «Denkmäler sind als kulturelle Phänomene – besonders in der europäischen Kulturlandschaft – Nervenzentren gesellschaftlicher Identität geworden. Sie sind Botschafter eines verlorenen Zeitalters baukünstlerischer Harmonie, die es heute nicht mehr gibt.»
Dem Text folgt ein «Bilderbuch zur Architekturtheorie», das mit rund 160 Bildern Bauten, Titelseiten historischer Literatur, Persönlichkeiten und manches andere zeigt – eine instruktive Ergänzung. Schliesslich gibt es noch einen Anhang, der 56 historischen Ortskernen in Nordrhein-Westfalen gewidmet ist; sie alle werden mit sehr guten und kennzeichnenden Bildern dargestellt.
Eine Reihe sachlicher Ungenauigkeiten ist anzumerken: so stammt die «Charta von Athen» aus
dem Jahre 1933, nicht 1942, der Wiederaufbau des Prinzipalmarktes in Münster folgte zwar der alten Gebäudestruktur , fand aber vielfach neue bauliche Einzelformen; die Dresdner Frauenkirche wurde nicht in der DDR-Zeit, sondern erst nach der Vereinigung wiederaufgebaut.
Zur Überprüfung des Drucksatzes scheint die Zeit gefehlt zu haben – sonst hätten weder die «Achillesverse» noch Zeilentrennungen wie Neusch-/wanstein oder FiI-/marchitekten – diese gleich zweimal – stehen bleiben können. Auch dass die Abfolge der griechischen Säulenformen auf S. 14 falsch – mit der ionischen beginnend – beschrieben wird, gehört zu solchen «Pannen».
Ein längerer Abschnitt des Textes behandelt Sedlmayrs Buch «Verlust der Mitte» (1948), dessen zeitkritische, die Moderne abwertende Tendenz weitgehend der Linie der Verfasser entspricht. Ihr zusammenfassendes Urteil lautet: «Es (...) ist eine sehr persönliche Theorie, die zahlreiche fragwürdige Elemente enthält.» Auch das vorliegende Werk lässt sich kaum besser charakterisieren.
Gerd Albers

 

Quelle: disP 175, 4/2008, S. 86