Stefanie Föbker: Wanderungsdynamik in einer schrumpfenden Stadt. Eine qualitative Untersuchung innerstädtischer Umzüge. Münster (Stadtzukünfte 5) 2008. 200 S.
Bei dem von Stefanie Föbker vorgelegten Buch handelt es sich um die Publikation einer Qualifikationsarbeit, die darauf zielt "die Wechselwirkungen zwischen Schrumpfung und innerstädtischer Mobilität zu untersuchen". Dabei sollen sowohl "Hintergründe als auch die Effekte innerstädtischer Mobilität unter Schrumpfungsbedingungen betrachtet" werden (S. 2). Stadt-Umlandwanderungen sind ausdrücklich nicht Gegenstand der Untersuchung. Auch konzentriert sich die Studie auf Westdeutschland und nicht - wie man dies vorschnell annehmen könnte - auf das bekanntermaßen vielerorts schrumpfende Ostdeutschland.
Wie wirkt sich Schrumpfung auf innerstädtische Wanderungsprozesse aus? Diese grundsätzliche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt. Konkretisiert wird diese Fragestellung durch eine Fallstudie zu Wilhelmshaven, genauer zu dessen Stadtteilen Bant, Jadeviertel sowie Hansaviertel. Das Buch untergliedert sich in neun Kapitel inklusive Einleitung (= Kapitel 1) und folgt der in Abschlussarbeiten üblichen Vorgehensweise. Das zweite Kapitel thematisiert Schrumpfung als Rahmenbedingung für Wanderungsgeschehen allgemein, beleuchtet die Struktur der Wohnungsmärkte und den Umgang mit Leerständen. Kapitel 3 und 4 referieren die theoretischen Konzepte, vor allem die duale Theorie der Strukturierung von Giddens, die Strukturen als das Ergebnis von Handlungen interpretiert. Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf der Auswertung der Literatur zu Wohnortentscheidungen unter Schrumpfungsbedingungen. An dieser Stelle wird auch das qualitative Untersuchungsdesign genau erörtert, beinahe schon gerechtfertigt. Kapitel 5 präsentiert die Fallstudie, für die sowohl kommunalstatistische Daten ausgewertet als auch 55 halbstandardisierte Interviews auf Grundlage dreier unterschiedlicher Gesprächsleitfäden durchgeführt wurden. Diese unterteilen sich in "Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt" (n=32, gegliedert in mobile und sesshafte) und in die Anbieter am Wohnungsmarkt (n=14), beziehen aber auch Gespräche mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Trägern ein (n = 9, Quartiersmanagement, Arbeitsloseninitiativen, Migrationsberatung u.v.a.). Kapitel 6, 7 und 8 präsentieren die Ergebnisse der empirischen Untersuchung und bieten einen anschaulichen Einblick in das Forschungsfeld. Kapitel 9 fasst die Ergebnisse zusammen und fragt nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Städte Deutschlands.
Mit der Fallstudie Wilhelmshaven hat die Autorin den Blick auf schrumpfende Stadtteile gerichtet, in denen alle Indikatoren der Schrumpfung zusammen kommen: Negative Bevölkerungsentwicklung und negativer Wanderungssaldo (vor allem eine Abwanderung der 25-50jährigen), abnehmende Arbeitsplatzentwicklung, überdurchschnittliche Arbeitslosenquote, sinkende Realsteuerkraft und Kaufkraft aufgrund eines unterdurchschnittlichen Einkommensniveaus, überdurchschnittlich hohe Verschuldung. In ihren Stadtentwicklungskonzepten setzt die Stadt Wilhelmshaven dennoch weiterhin auf die Bindung von Bevölkerungsgruppen durch eine gezielte Anpassung von Wohnungsangeboten. Insbesondere Familien sollen von einer Abwanderung nach Suburbia abgehalten werden. Gesamtpolitisch setzt die Stadt weiter auf "Wachstum" - und dies, obwohl völlig unklar zu sein scheint, mit welchen Beschäftigungs- und Umsatzpotentialen die Eröffnung des Jade-Weser-Ports einhergehen wird. Es liegt auf der Hand, dass in dieser Situation gerade die Frage nach der Selektivität von Abwanderungsprozessen besonders interessiert. Die amtliche Statistik erfasst mit den Meldedaten keine sozialstrukturellen Merkmale wie zum Beispiel Einkommen oder Bildungsstand - Mikrozensusdaten lassen sich regional nicht tief genug gliedern und kommen daher für eine Auswertung nicht in Frage. Föbker verweist zu Recht darauf, dass nicht der Bevölkerungsrückgang entscheidend für erhöhte Verfügbarkeit von Wohnraum ist, sondern ein Rückgang der Haushalte (als Nutzer vorhandenen Wohnraums).
Doch lagen für die Untersuchung Sonderauswertungen der Wanderungsstatistik im Rahmen des Programms Stadtumbau West vor. Sie zeigen, dass die Bevölkerungsverluste der Stadt Wilhelmshaven räumlich stark variieren. Stadtteile wie Schaar und Grodenflächen haben zwischen 2002 und 2006 Bevölkerungsgewinne zu verzeichnen, während insbesondere der Stadtteil Bant massiv Einwohner verliert. Was kennzeichnet diesen Stadtteil Bant? Es handelt sich um einen preiswerten Wohnort mit einer Mischung aus Geschosswohnungsbau und ergänzender gewerblicher Nutzung, Leerstand und baulichen Missständen - aber auch gründerzeitlicher Bebauung und einer Nähe zum Wasser. Die Bevölkerungszusammensetzung ist durch einen hohen Anteil an armer Bevölkerung (gemessen als "Transferleistungsempfänger") gekennzeichnet; der Anteil der migrantischen Bevölkerung liegt hoch. Der Stadtteil ist Teil des Programms "Soziale Stadt". Die Kleinkammerung des Stadtteils (Werftarbeitersiedlung, Hansaviertel, Jadeviertel, Sedan) wird durch eine Kombination von baulicher Beschreibung, Angaben zur Eigentümerstruktur und Zitaten von Alteinwohnern eindrücklich dargestellt und bildet den regionalen Rahmen für die Untersuchung des Einflusses von Schrumpfung auf Entscheidungsprozesse: Bis wann und weshalb bleibt man? Ab wann und weshalb geht man? Föbker typisiert ihre Gesprächspartner und arbeitet fünf Kategorien heraus, von denen zwei klar Veränderungen im eigenen Lebensverlauf nachgeben (z. B. Umzug in ein Seniorenheim); den Entscheidungen der anderen drei Typen liegen ökonomische Überlegungen zugrunde (z. B. geringere Finanzausstattung eines Haushaltes). Bemerkenswert ist, dass Föbker herausstellt, dass nicht - wie man gemeinhin gerne unterstellt - das Angebot an freien Wohnungen schon ein Fortzugsgrund ist, sondern dass dieses nur in Verbindung mit anderen Faktoren eine Wirkung entfalten kann. Auch der häufig zu beobachtende Wandel der Infrastruktur (weniger Fachgeschäfte, stattdessen Discounter) wirkte sich nicht als Fortzugsgrund aus - die Bindungskräfte blieben stärker, bis, ja, bis gravierende Mängel an und in der Wohnung zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Ein entspannter Markt ist jeweils dann eine Chance, wenn nach preisgünstigem Wohnraum gesucht wird; er bietet jedoch keine Investitionsanreize, weil Wertverluste antizipiert werden. Und weil es sich bei den Fortzugsentscheidungen um komplexe Prozesse handelt, die am besten als Aushandlungsprozess zwischen Struktur und Handlung begriffen werden könnten, wagt Föbker den theoretischen Rückgriff auf Giddens. So gelingt es ihr, auch die aktuellen Aushandlungsstrategien der Wohnungsanbieter in das Untersuchungsdesign zu integrieren. Die gewonnenen Informationen über die Maßnahmen von privaten und professionellen Wohnungsanbietern werden zusammengeführt und durch die qualitative Befragung wird deutlich, wie stark sich die Wohnungsunternehmen unter Druck sehen, ihre Investitionslogiken zu verändern (genossenschaftlich organisierter Wohnungsbau setzt auf Instandhaltung, nicht Neubau; privater Wohnungsbau führt betriebswirtschaftliches Kalkül ein) und wie stark sich die Aushandlungsprozesse auf die mit dem Umzug verbundenen Transaktionskosten beziehen. Die Wahrung einer "sensiblen Mischung" der Hausgemeinschaft, die zu einer langfristigen Stabilität beitragen kann, wird häufiger zurückgestellt und man tritt in eine Konkurrenz um die besten Mieter ein - obwohl alle Vermieter um die Bedeutung dieses Faktors "Mischung" wissen. Als Ergebnis der qualitativen Untersuchung kann hervorgehoben werden, dass diejenigen Anbieter, die sich gegen Investitionen entscheiden, auch ihre Ansprüche an die Mieterschaft "runterschrauben" müssen. Es ist das geringe Engagement der Anbieter für Bestand und Mieterschaft, das einen Teil der innerstädtischen Umzüge bedingt - nicht der Leerstand selbst (S. 152). Verminderte Transaktionskosten erleichtern eine Umzugsentscheidung, doch sind sie nicht ursächlich.
Was ändert sich für einen Raum, wenn viele wegziehen und nur noch eine bestimmte Klientel ansässig bleibt? Es kommt eben nicht zu Konzentrationsprozessen, sondern es besteht aufgrund der entspannten Situation am Wohnungsmarkt die Möglichkeit zur Abwanderung. Ein entspannter Wohnungsmarkt wirkt folglich einer "passiven Segregation" (= erzwungene Immobilität) entgegen. Es überrascht dagegen kaum, dass insbesondere junge Singlehaushalte mit geringem Einkommen (und spärlichem Hausstand) häufig umziehen. Sie probieren aus und um. Anders jedoch die Haushalte mit geringem Einkommen und Einträgen bei der Schufa. Sie können die Kaution häufig nicht aufbringen und müssen sich mit einem kleinen Angebot an Wohnungen zufrieden geben. Es gelingt dann in der Regel auch nicht, durch den Umzug in einen anderen Stadtteil die eigene Wohnsituation zu verbessern. Überhaupt scheint sich der statusverändernde Bevölkerungsaustausch in Stadtteilen relativ langsam zu vollziehen: In den von Föbker betrachteten Stadtteilen vollzog sich der Wandel - wenn überhaupt - auf Ebene einzelner Objekte. Und es ließ sich auch ein Zuzug von sozial stabilisierenden Haushalten feststellen. Vor allem wenn Mieter von außerhalb kamen und ohne Vorwissen über das eventuelle Image des Stadtteils dort eine Wohnung suchten. Sie taten dies, weil der Stadtteil im Rahmen einer Entwicklungsgesellschaft und eines Quartierentwicklungsplans als Modernisierungsbereich ausgewiesen war und auf diese neuen Zuzügler "gemischt" und "heterogen" wirkte. Die Darstellung des vielschichtigen Prozesses des Wohnumzuges wird in der von Föbker vorgelegten Studie sehr gut aufbereitet und auch die Differenzierung der Frage, wann auf wen ein entspannter Wohnungsmarkt wie wirkt, ist gut gelöst. Man merkt der Arbeit gelegentlich an, dass sie im Umfeld der planungspraktischen Forschung beheimatet ist. Ab und zu fließen eher planungspraktische Termini wie "empty-nest" unvermittelt in die Analyse ein und die anwendungsbezogene Literatur nimmt einen hohen Stellenwert im Literaturverzeichnis und in der Aufarbeitung selbst ein. Etwas schade ist, dass die gut gearbeitete Empirie im Vorfeld nicht stärker von einer methodologischen Reflexion gestützt wurde, dass beispielsweise die Auswahl des Haushalts- und Expertensamples nicht ausführlich thematisiert wurden. In der Zusammenfassung der Ergebnisse und der Schlussbetrachtung hätte Stefanie Föbker durch eine mutigere Verknüpfung der eigenen Ergebnisse mit dem Thema "Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft" herstellen und so den von ihr postulierten "akuten Handlungsbedarf in der Gestaltung von Schrumpfung" inhaltlich noch stärker mit Leben füllen können. Die anfänglich vage und breit formulierte Fragestellung liefert teilweise relativ vage Ergebnisse der Analyse, die aber sehr wohl planerisches Gewicht haben. Insgesamt handelt es sich bei der von Stefanie Föbker vorgelegten Arbeit um eine lesenswerte Studie, die die einfache Verknüpfung von "Leerstand = Wegzug" relativiert. Die Untersuchung gibt einen guten Einblick in die Umzugswirklichkeiten eines benachteiligten Gebietes - was angesichts der Komplexität eines jeden Wanderungsprozesses und der in der Regel nicht vorliegenden kleinräumigen Sozialdaten wissenschaftlich hoch zu bewerten ist.
Felicitas Hillmann