Sylvia Claus, Dorothee Huber, Beate Schnitter (Hg.) 2009: Lux Guyer (1894–1955). Architektin. Zürich. 301 S.

Während in den Schweizer Boomtowns täglich Bauten der 1920er bis 1960er Jahre ausgelöscht werden, um Platz für Neubauten zu machen und den Markt mit Stockwerkeigentumswohnungen zu bedienen, widmet sich eine neue Publikation des gta Verlag an der ETH Zürich den Bauten der Schweizer Architektin Lux Guyer, die zwischen 1924 und 1955 eine beachtliche Zahl von Wohnhäusern realisiert hat.

Lux Guyer war nicht nur die erste Frau in der Schweiz, die ein eigenes Architekturbüro führte, sondern sie war vielmehr eine Architektin, die sich mit ihren Einfamilienhäusern und Villen, mit dem SAFFA-Haus sowie mit zwei Wohnkolonien und je
einem Studentinnen- und Ferienheim dem Haus als «rationellem und anmutigem Apparat» widmete. Es war ihr ein besonderes Anliegen, in der Auseinandersetzung zwischen Konvention und Neuerung Wohnräume zu schaffen, die sich durch die Durchdachtheit der Innenräume auszeichnen und sich im Alltag durch ihre Funktionalität und Flexibilität bewähren.
Lux Guyer bewohnte eine Reihe der von ihr gebauten Wohnhäuser während einer gewissen Zeitspanne selbst. Eine Angewohnheit, die es ihr ermöglichte, die Arbeit an ihren  Wohn-Räumen testen und weiterzuentwickeln. Eine Angewohnheit, deren weitere Verbreitung man sich in der Gilde der Architekten wünschen würde. Der Vorgang des Wohn-Baus ging bei Lux Guyer stets über den Haus-Bau hinaus. Bereits in frühen Jahren, mit dem Eintritt in die Kunstgewerbeschule im Jahre 1916, zeigte sich ihre lebenslange «Obsession» für das Einrichten von Wohnräumen. Mit dem Entwurf von Möbeln oder Einbauten und der künstlerischen
Ausgestaltung der Innenräume schuf sie Wohn-Räume, die den Bedürfnissen des modernen Familienlebens und neuer hauswirtschaftlicher Abläufe angepasst waren. Dabei entwarf sie neue Raumkonzeptionen und hob «die Trennung zwischen der Einrichtung und der inneren Haut einer Wohnung schrittweise auf» (p. 112).
Die jetzt vorgelegte Publikation, an der auch Lux Guyers Nichte Beate Schnitter massgeblich
mit beteiligt war, spannt mit Einzelbeiträgen unterschiedlicher Autorinnen und Autoren einen weiten, spannenden Bogen über die beachtliche Schaffenskraft Lux Guyers. Ein Photoessay (Heinrich Helfenstein) und ein ausführlicher Werkkatalog bieten die vorzügliche Gelegenheit, sich bis ins Detail in ihre einzigartigen Wohn-Räume zu vertiefen. Das Buch bietet auch die Gelegenheit, einen Einblick in Lux Guyers Leben und «ihre» Zeit» zu  gewinnen. Eine junge Frau bei ihrer selbstbewussten, tatkräftigen und erfolgreichen Eroberung einer Männerdomäne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten und zu spüren, wie sie gerade auch die weibliche Seite der Architektur(-benutzung) als Stärke einsetzte.
Die Auseinandersetzung mit dem Werk Lux Guyers schärft nicht zuletzt den Blick für die besonderen Qualitäten und Potentiale der Bauten der 1920er bis 1960er Jahre auch in «unserer» Zeit. Vielleicht hilft das Buch unter diesem Vorzeichen mit, das eine oder andere Haus dieser Epoche vor dem Abbruch zu bewahren und in die Neuzeit hinein zu retten.
Martina Koll-Schretzenmayr

 

Quelle: disP 181, 2/2010, S. 122-123
disP