Mary Kaldor: Human Security. Reflections on Globalization and Intervention. Cambridge 2007. 230 S.
Richard Devetak, Christopher W. Hughes (Hg.): The Globalization of Political Violence: Globalization´s Shadow. Abingdon 2008. 296 S.

Kaldor versteht Kosmopolitismus als menschenrechtsorientierte Umstrukturierung des Regierens unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure. Sie präsentiert ihn als Lösungsvorschlag für das Problem ›menschlicher Unsicherheit‹, das sich nach dem Kalten Krieg auf neue Weise stelle und mit den klassischen Mitteln nicht zu lösen sei. Wie hat sich ihr zufolge die Weltlage verändert?

Auf ökonomischer Ebene habe die - wie es im Aufsatz von 2003 noch heißt - "neue Ökonomie" (77) den Fordismus abgelöst. An die Stelle staatlicher Wohlfahrt und Intervention in ökonomische Belange sei eine stärkere Verschränkung der Volkswirtschaften, Privatisierung sowie die Assimilation der Informationstechnologie getreten, also hightech-kapitalistische Globalisierung und neoliberale Wirtschaftspolitik. Nationale Abschottung sei nicht nur durch die gewachsene Zahl internationaler Institutionen erschwert, sondern auch durch eine zunehmende Abhängigkeit staatlicher Souveränität von internationaler Akzeptanz. Neben die Staaten und ihre Institutionen sei eine "globale Zivilgesellschaft" getreten, deren Haltung sich im Laufe der 1970er und 1980er Jahre von politischer Neutralität hin zum Eintreten für Menschenrechte gewandelt habe. Zentral für die Frage der Sicherheit sei das Zurücktreten der "alten Kriege" (2), die zwischen staatlichen Armeen ausgetragen und in Schlachten entschieden werden. "Was ich ›neue Kriege‹ nenne, ist das genaue Gegenteil. Diese Kriege fi nden statt im Kontext des Zerfalls von Staaten" (3). In diesen Kriegen verwischen die Grenzen zwischen Bürgerkrieg und internationalem Krieg, zwischen Militär und Zivilisten, zwischen privat und öffentlich, zwischen Kriegshandlung und Alltagsleben. In Reaktion darauf seien der im Kalten Krieg bestehende internationale Konsens des Nichtinterventionismus aufgeweicht und ›humanitäre‹ Militäreinsätze etabliert worden. Dies sieht Verf. als "Ausdruck einer entstehenden globalen Zivilgesellschaft" (22): "Die sich verändernden Normen spiegeln einen wachsenden globalen Konsens über die Gleichheit der Menschen und die Verantwortung, Leiden zu vermeiden, wo es auch auftritt [...]. Umgekehrt ist dieser Konsens außerdem das Ergebnis einer globalen öffentlichen Debatte über diese Fragen." (Ebd.) Ob es sich nicht umgekehrt um die "Konzeption eines ›humanitären Imperialismus‹" (W.F.Haug, Arg. 252, 563) handelt, die sich  legitimatorisch eine globale Zivilgesellschaft als Urheberin konsensueller Handlungsprinzipien konstruieren muss, scheint keine Frage gewesen zu sein in dieser "globalen öffentliche Debatte" - letzteres ist übrigens ein großesWort: Erlauben die zarten Ansätze einer globalen Öffentlichkeit überhaupt, ernsthaft von einer Debatte sprechen zu können, ganz zu schweigen von ihren elitären Teilnahmebedingungen? Zumindest partiell habe also ein Wandel von Militäreinsätzen im Dienste unmittelbarer Staats- oder Blockinteressen zu einem "Menschenrechtsregime" stattgefunden. Doch die Welt befinde sich an "einem kritischen Wendepunkt" (195). Die (begrenzten) Errungenschaften bei der "Stabilisierung von Konfl ikten nach dem Zweiten Weltkrieg" drohen untergraben zu werden durch das Versagen, die zu den ›neuen Kriegen‹ führenden Grundbedingungen [...] in den Griff zu bekommen" (ebd.). Millionen Menschen auf der Welt leben noch "in unerträglicher Unsicherheit" (ebd.). Ist diese Lage unerträglich für die unmittelbar Betroffenen oder für die eingreifenden Akteure, die Staaten und NGOs in humanitären Einsätzen? Beides fällt in Kaldors Zielvorstellung harmonisch zusammen. Ihrer Analyse zufolge sei noch nicht ausreichend verstanden worden, dass klassische Militärstrategien nicht dazu taugen, die ›neuen Kriege‹ einzudämmen und Sicherheit herzustellen. Das Konzept humanitärer Einsätze müsse ernst genommen, Militärstrukturen umgebaut und zivilgesellschaftliche Akteure zentral einbezogen werden. "Nur eine kosmopolitische Vision kann die neuen Quellen der Gewalt wenigstens eindämmen." (99) Sicherheitsstrategien müssten primär an Menschenrechten ausgerichtet werden. Dies beinhalte, humanitäre Räume in Konfl iktgebieten zu schaffen sowie glaubhaft an Menschenrechtszielen ausgerichtete internationale Organisationen auszubauen. Dabei sei es heute unmöglich, "Sicherheit und Entwicklung zu trennen" (196). Denn Sicherheit setze den Aufbau einer funktionierenden Ökonomie, von Infrastruktur,  durchsetzbarem Recht und funktionierenden staatlichen Institutionen voraus. Dies lässt sich aber nicht einfach ›von oben‹ einsetzen. "Eine Schlüsselkomponente von Sicherheits- und Entwicklungsansätzen ist die Einbeziehung der Zivilgesellschaft. Legitimität hängt ab von irgendeiner Art Gesellschaftsvertrag zwischen den Herrschenden [rulers] und den Beherrschten [ruled]." (195) Der Zivilgesellschaft kommt also in der Befriedung von Weltregionen die Vermittlungsrolle zu, die "Beherrschten" ins Beherrschtwerden einzubinden. "Diese Politiken ›von unten‹ stellen wesentliche Elemente eines kosmopolitischen Ansatzes dar." (133) Kosmopolitismus und Menschenrechte stehen hier also in klassischer Ambivalenz, den Elenden zugute zu kommen zum Preis der Legitimation von Herrschaft. Ähnlich steht es um Kaldors Vorschlag, einen "institutionellen Rahmen zu konstruieren [...], der die Ausbreitung der neuen Ökonomie garantieren" kann in der Hoffnung auf "ein neues goldenes Zeitalter" (76). Die erdrückende Unsicherheit in Kriegs- und Konfl iktgebieten zugegeben, fragt man sich doch, wie der enge Zusammenhang zwischen hochtechnologischer Umgestaltung der kapitalistischen Produktionskreisläufe und der Rückkehr ökonomischer Unsicherheit auch in die kapitalistischen Zentren aus dem Blick geraten konnte.
Der Sammelband von Devetak und Hughes behandelt die Frage, wie "Globalisierung den Charakter und die Intensität der Gewalt verändert" (1). Auch hier wird die stumme Gewalt ›friedlicher‹ kapitalistischer Alltagsverhältnisse ausgeblendet. Und auch hier steht "Globalisierung " als Ursprung der ›neuen Kriege‹ diffus für ein Geschehen, das auf die ökonomische Transformation der letzten Jahrzehnte ebenso anspielt wie auf die Durchsetzung neoliberaler Politik und die Machtverschiebungen im Staatensystem nach Niedergang des Ostblocks. Doch die Erwartung an eine Kosmopolitisierung sind skeptischer als bei Kaldor; und obwohl auch hier ökonomische Verhältnisse unterbelichtet bleiben, bringt der Band mehr Widersprüche ans Licht. So stellt etwa Devetak den gegenläufi gen Zusammenhang zwischen Ausdehnung der Märkte und Bedrohung ihrer Bedingungen dar: "Während entwickelte Industrieländer freimütig die Kontrolle über Geld- und Warenfl üsse abgetreten haben in dem Glauben, Globalisierung sei gut für Märkte, waren sie unwillig, Leute beliebig ihre Grenzen übertreten zu lassen aus Furcht vor der Wirkung auf die soziale Sicherheit." (8) Verf. demonstriert diesen Zusammenhang anhand von Kriegsfl üchtlingen. Die Gewalt, vor der sie fl iehen, sei Resultat sozialer Ausgrenzung, die wiederum durch neoliberale Sparmaßnahmen verschärft würden. Gleichzeitig würden die Konfl ikte "durch Transaktionen auf verborgenen transnationalen Märkten aufrecht erhalten" (13). Dieser Widerspruch ist zugleich einer der ›gescheiterten Staaten‹ selber. Ethnische Säuberungen "sind mehr Wirkung als Ursache der politischen Gewalt" (14). Ihr übergeordnetes Ziel im Kontext des internationalen Systems kapitalistischer Staaten "war die Herstellung der geopolitischen Bedingungen für staatliche Souveränität" (15), die sie gleichzeitig untergraben.
Paul-Simon Handy und Dunja Speiser führen die gesellschaftliche Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent auf den dortigen "Neopatrimonialismus" zurück. Mit diesem Schlagwort der bürgerlichen Entwicklungstheorie meinen sie die "Überlappung" zweier politischer Logiken: der "patrimonialen" klientelistischer ›Erbhöfe‹ und der "rechtlich-rational bürokratischen " (155). Da es als "entscheidende Vorbedingung für die Kräfte von Demokratie und Wirtschaftswachstum" bisher "keine ernsthafte Alternative zum Staat" (148) gebe, empfehlen Verf. den an Sicherheit interessierten (westlichen) Staaten als langfristige Interventionsstrategie die Sprengung des "Neopatrimonialismus" durch "Aufbau einer neuen politischen Klasse" (161).
Noch deutlicher wird diese Befriedungsperspektive von oben bei Tony Addison, der sich mit dem Verhältnis von "neuen Kriegen und der globalen Ökonomie" auseinandersetzt. Auch er sieht die Integration in den Weltmarkt als Bedingung für nationales Wirtschaftswachstum, und Wirtschaftswachstum als Bedingung für einen funktionierenden Staat und die Bereitstellung öffentlicher Güter, ohne die eine "Nationalökonomie nicht effektiv operieren kann" (174). Eine prosperierende Wirtschaft erhöhe wiederum die Chancen auf Demokratie, denn diese "tendiert dazu, dem Reichtum zu folgen" (167). Neben einer Ignoranz gegenüber der in kapitalitischem Wachstum notwendig steckenden Gewalt krankt die Argumentation theoretisch daran, die kapitalimmanenten Bedingungen für sozial befriedend wirkendes ›Wirtschaftswachstum‹ zu vernachlässigen. Dennoch ist der folgende Gedankenschritt erhellend: Nicht nur der Nationalstaat hat notwendige Funktionen, auch "die globale Marktwirtschaft kann nicht effektiv (oder gerecht) funktionieren ohne globale öffentliche Güter [...]. Globale Rechtsstaatlichkeit ist eins der vielen globalen öffentlichen Güter mit chronischer Unterversorgung (›globale Rechtsstaatlichkeit‹ steht hier kurz für die Regeln bezüglich Person, Eigentum und Vertrag, d.h. die Instrumente der Gerechtigkeit)." (174) Die oberste Maßgabe ist demnach die globale staatliche Herstellung guter Verwertungsbedingungen des Kapitals - hier wird, ohne dass es sich um einen Weltstaat drehen würde, die Perspektive eines ideellen globalen Gesamtkapitalisten eingeführt, der nicht nur das unmittelbar Ökonomische im Auge haben muss: "Sicherheit, ein gesünderes Leben und Umweltschutz sind selber wichtige Ziele." (Ebd.) Nicht dass ›Gesundheit‹ und Umweltschutz nichts mit Verwertungsbedingungen zu tun hätten. Und inwieweit Sicherheit einen eigenständigen Wert darstellt, wird unmittelbar anschließend vorgeführt in einer Kostenaufstellung von Bürgerkriegen in Entwicklungsländern. Demgegenüber würde die Etablierung "globaler Rechtsstaatlichkeit zusammen mit entsprechenden öffentlichen Gütern wie Friedenssicherung große ökonomische Vorteile" (ebd.) bringen.
Die Ambivalenz humanistischer Kosmopolitismuskonzepte, ihre menschenfreundlichen Absichten gleichzeitig als bessere Politik eines ideellen globalen Gesamtkapitalisten anzupreisen, zeigt sich auch in William Smiths und Robert Fines Aufsatz über  Kosmopolitismus und Militärintervention". Eine kosmopolitische Politik strebe nach Einbettung militärischer Interventionen in die "Prozesse globaler Regierung" (54). Demnach "sollten militärische Interventionen [...] eher als Polizeiaktionen angesehen werden, die kosmopolitische Prinzipien und kosmopolitisches Recht durchsetzen sollen" (ebd.). Kosmopoliten stünden heute vor dem Dilemma, dass bei groben Menschenrechtsverletzungen eine Intervention sowohl geboten als auch aufgrund der Ausrichtung der Militärapparate problematisch sei. Dies ließe sich durch Umbildung des Militärs und der Entscheidungskriterien seines Einsatzes lösen. Eine militärische Intervention sei "nur gerechtfertigt, wenn sie auf die Bedrohung und das Auftreten substanzieller Menschenrechtsverletzungen reagiert, ein letztes Mittel ist, und wenn sie nachvollziehbare Chancen auf Verhinderung stattfi ndender Rechtsverletzungen hat" (56). Außerdem erfordere dies, dass sich Soldaten "als Verteidiger der allgemeinen Interessen der Menschheit betrachten" (58f). Eine kosmopolitische Position beinhalte eine Reihe von "Idealisierungen" (60) im Blick auf politische Akteure, Rechtfertigungen mit humanitären Gründen, militärische Apparate usw. "Kritiker des Kosmopolitismus  kritisieren, dass Kosmopoliten gefährlich naiv sind, wenn sie hochgesteckte Ideale in eine [...] Arena einführen, in der kosmopolitische Rhetorik wahrscheinlich ein Deckblatt für traditionellere imperialistische Ambitionen werden wird" (61). Wie Addisons Artikel zeigt, schießt gerade diese Kritik an der Sache vorbei, soweit die Perspektive eines globalen  Menschenrechtsregimes als eine Art ›ideeller globaler Gesamtkapitalist‹ sich mit ›klassischem‹ Imperialismus geradezu ausschließt. Die Antwort der Autoren geht jedoch in eine andere Richtung: Sie sehen "idealtypische Modelle" nicht als vereinnehmbare Rhetorik, sondern als Mittel der "Klärung und Systematisierung unserer erwogenen Überzeugungen" (64).
Graeme Cheeseman betrachtet die realen Veränderungen bewaffneter Kräfte. Er beobachtet eine Ausdehnung militarisierter Akteure nach dem Ende des Kalten Kriegs, einschließlich "substaatlichen Militärs und Quasimilitärs wie Söldner, Privatarmeen, Warlords, aufständische Gruppen und Bewegungen, militarisierte Banden, bewaffnete kriminelle Netzwerke, Drogenkartelle und Piraten" (34). Außerdem habe sich die Zusammensetzung bei transnationalen militärischen Operationen verkompliziert, die auch Zivilpolizei und NGOs einschließen. Kosmopolitismus taucht hier als Gefühl und Bewusstsein individueller Akteure auf: Während die ethischen Codes des Militärs "auf den Werten beruhen, die traditionell den Waffenberuf stärken, fi nden sich darin heute auch kosmopolitische Empfi ndungen, die viele Individuen entweder aus der Gesellschaft als ganzer oder als Ergebnis ihrer Erfahrungen in der Friedenssicherung angenommen haben" (40). Da sich "die Eliten der bestehenden Militär- und Zivilschutzapparate [...] stark gegen grundlegende Veränderungen [sträuben]", entstünden Spannungen "zwischen traditionellen strategischen und aufkommenden populären Kulturen und Bewusstseinsformen" (44). Trotz aller Skepsis aufgrund der Marginalität der kosmopolitischen Strömung meint Cheeseman, dass das Militär begonnen haben könnte, "von unten verändert zu werden" (43).


Das wird kaum gelten für das Militär, das die kapitalistischen Zentren an ihren Grenzen absichert. Im ›Notkosmopolismus‹ der Flüchtlinge sieht Sharon Pickering "die unglückliche Konsequenz der Fähigkeit der Globalisierung, eine hypermobile Elite hervorzubringen" (104). Hier prallen Staatsrechte und Flüchtlingsrechte aufeinander. Eben dieser Konflikt wird "neutralisiert im globalen Grenzland, in dem die ersten über die zweiten siegen" (120). Verf. beschreibt das erfolgreiche Untergraben gesetzter Flüchtlingsrechte, "die Schaffung deterritorialisierter rechtsfreier Leerräume" (104), die die Bezeichnung Utopopoliten,
›Nirgendsbürger‹, für Flüchtlinge adäquat erscheinen lassen, solange ihre Einhegung gelingt.
Daniel Fastner

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 691-695