Manfred Schulz (Hg.): Entwicklungsträger in der DR Kongo. Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Religion, Zivilgesellschaft und Kultur. Berlin 2008. 754 S.
Auch unter Freunden Afrikas hat „der Kongo“ ein schlechtes Image; gleichzeitig aber ist die Auseinandersetzung mit diesem riesigen und rohstoffreichen Land durch eine unzulängliche Informationsbasis gekennzeichnet. Seit der frühen Kolonialzeit ist die öffentliche Wahrnehmung des Kongo durch „Gräuel“ geprägt, verfestigt sich durch die Medien bis heute das Bild vom „Herz der Finsternis“. Die – durch den Bundeswehreinsatz anlässlich der Wahlen 2006 noch verstärkte – Prominenz der Demokratischen Republik (DR) Kongo in der Berichterstattung kontrastiert somit merkwürdig mit dem Mangel an fundiertem Wissen, an wissenschaftlichen Analysen über dieses Land. Insbesondere im deutschsprachigen Raum gilt der Kongo weiterhin als „weißer Fleck auf der Landkarte“.
In dieser Diskrepanz zwischen starker Medienprominenz und geringem Wissen sah Manfred Schulz, einer der besten Afrikakenner der deutschen Entwicklungssoziologie, eine große Herausforderung. Mit einer eindrucksvollen herausgeberischen Leistung erstellte er einen umfangreichen Sammelband, in dem das Land von 51 Autorinnen und Autoren aus einer Vielfalt unterschiedlichster Perspektiven beleuchtet wird. Ziel des Bandes ist es, auf Basis einer fundierteren Analyse der Situation den Leserinnen und Lesern eine bessere Möglichkeit zur entwicklungspolitischen Einordnung und zu einer Einschätzung der Zukunftsperspektiven des Kongo zu geben. Der Band ist durch eine starke Anwendungsorientierung und Einordnung in den entwicklungspolitischen Diskurs gekennzeichnet. Die Beiträge sind hinsichtlich Art und Qualität sehr heterogen. Wissenschaftliche Analysen stehen neben journalistischen Beiträgen, drögen Projektberichten, feuilletonistischen Reiseschilderungen, Fallstudien zu Spezialthemen und politischen Meinungsbeiträgen. Viele Beiträge sind dem aktuellen Zeitgeschehen rund um die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2006 und die Konflikte im Gebiet der Großen Seen gewidmet. In 13 Beiträgen wird der – naturgemäß weitgehend unkritischen – Selbstdarstellung entwicklungspolitischer Organisationen Raum gegeben mit ihren sich wiederholenden Lageanalysen und den aus Projektbroschüren entnommenen zuversichtlichen Darstellungen von Zielen, Grundsätzen und Tätigkeitsschwerpunkten nach dem Motto: „Trotz zahlloser Schwierigkeiten sind wir äußerst erfolgreich“. Aber man findet auch Beiträge, die tatsächlich die Hoffnung auf fundierte gesellschaftswissenschaftliche Situations- und Hintergrundanalysen erfüllen. G. Hauck zeigt die vorkolonialen und kolonialen Wurzeln der herrschenden Gewaltökonomie auf: Kongolesen haben über Jahrhunderte hinweg lernen müssen, dass politische Gewalt wirtschaftlich lukrativer ist als Produktion mittels freier Arbeit. Der Beitrag von Th. Trefon zur kongolesischen Verwaltung zeigt, wie diese sich weitgehend ohne Gehaltszahlungen mittels einer Verknüpfung von hoheitlichem Mandat und privater Aneignung am Leben hält, und trägt damit zur Aufhellung des Paradoxons der Stabilität von „failing states“ bei. Die Beiträge von F. Streiffeler und F. Kalenga vermitteln einen differenzierten Eindruck davon, wie Menschen in ländlichen Regionen unter den schwierigen Bedingungen überleben. R. Tetzlaff interpretiert die politische Ökonomie des Landes als Extremfall der rent-seeking-Logik. Zahlreiche Beispiele machen deutlich, dass einerseits die Kirchen und andererseits eine von Gebern abhängige Zivilgesellschaft (S. Nour) bezüglich der Bereitstellung von Basisdienstleistungen das Vakuum füllen, das der Staat hinterlässt. P.M. Mantuba-Ngoma zeigt kulturelle Hemmfaktoren für eine soziale, ökonomische und politische Entwicklung auf. F. Arnsprenger verdeutlicht am Beispiel der Handhabung der Kongokrise in den 1960er Jahren den Einfluss der internationalen Politik auf die Konflikte im Kongo. Auch aus anderen Beiträgen kann der am Kongo interessierte Forscher wertvolle Informationen entnehmen. Die Suche nach solchen „Perlen“ wird etwas erschwert dadurch, dass es dem Herausgeber nicht wirklich gelungen ist, die Heterogenität der Beiträge mit Hilfe seines vielversprechenden Analyserahmens (S. 23) strukturierend zu ordnen. Der im Titel behauptete akteurstheoretische Ansatz („Entwicklungsträger“) ließ sich nicht als verbindender roter Faden durchhalten. So findet sich der Leser in der Rolle des Trödelmarktbesuchers wieder: Er braucht viel Zeit, um die Schätze in dem bunten Angebot zu entdecken. M. Schulz war sich dieses Problems offensichtlich bewusst, indem er den Band als „Kompendium“ (S. 18) charakterisierte und dankenswerterweise den Leserinnen und Lesern im Anhang noch einen Überblick über die Beiträge als Hilfestellung anbot. Die Frage nach den Entwicklungsperspektiven des Kongo lässt sich naturgemäß auch nach dem Lesen aller Beiträge nur schwer beantworten. Zwar verweisen viele der Autoren/innen auf die einigermaßen erfolgreichen Wahlen als einen Meilenstein auf dem Weg in die richtige Richtung. Doch sowohl die Ereignisse nach den Wahlen als auch die Analysen der tieferliegenden historischen und strukturellen Faktoren in der rohstoffreichen, Begehrlichkeiten von allen Seiten her ausgesetzten Rentenökonomie im Kongo deuten darauf hin, dass demokratisch organisierte Wahlen allenfalls einen kleinen Schritt hin zur Schaffung einer demokratischen, gewaltfreieren und problemlösungsfähigen Gesellschaft darstellen.
Theo Rauch