Jonathan Neale: Stop Global Warming - Change the World. London 2008. 287 S.

Der britische Sozialist und Klimaaktivist liefert eine umfassende und gut argumentierende Kampfschrift, die zum bewussten Widerstand gegen die Analyseraster und Pseudolösungen der herrschenden Klimapolitik anleiten soll. Drei grundlegende Thesen sind der Ausgangspunkt der Argumentation: wenn wir nichts tun, stehen der Welt gravierende und teilweise abrupte Klimaveränderungen bevor, u.a. aufgrund der positiven Rückkopplungen im Klimasystem (21); der (steigende) Konsum der Menschen im globalen Süden ist nicht das Problem, denn CO2-Emissionsreduktionen um 80 % in den reicheren Ländern würden genügen, um die globalen Emissionen auf ›klimaverträgliche‹ 1,5 Tonnen pro Kopf und Jahr zu reduzieren (35); Aufrufe zum individuellen Verzicht lösen die Klimaproblematik nicht, sondern führen im Gegenteil zur Lähmung jener Kräfte der globalen sozialen Bewegungen, die ausgehend von der "Idee sozialer Gerechtigkeit" versuchen, die "etablierten Mächte dieser Welt zu Opfern zu zwingen" (46).

Anschließend untersucht Verf. technische Lösungen im Hinblick auf ihre gegenwärtige Tauglichkeit und Durchsetzbarkeit. Er entkräftet zunächst den Einwand, brauchbare Alternativen seien zu teuer. Die Regierung könne "für Dinge aufkommen, die wie Solarenergie und Eisenbahnen zu viel kosten" und dadurch Arbeitsplätze schaffen; "per Staatsintervention eingeführte Lösungen brauchen nicht Opfer zu bedeuten, so wenig öffentliche Straßen und Hospitäler dies tun" (49). Das Klima-Notprogramm, um das es gehe, sei der zentral geplanten Umstellung auf Rüstungsproduktion in den USA während des Zweiten Weltkriegs vergleichbar (55). Die technologische Dimension der notwendigen Umstellung stellt Verf. sowohl für aktive Versorgungsmaßnahmen (Energiebereitstellung) als auch für passive Maßnahmen wie Wärmedämmung dar. Als unbrauchbar lehnt er Biotreibstoffe, die Abscheidung und unterirdische Speicherung von Kohlendioxid (CCS) und die Atomenergie ab, da sie die Mittel verschleuderten, die eigentlich für massive Wind- und Solarenergieprogramme mit spezifischen Netzausbauten nötig sind, und die Atomenergie zudem mit der militärischen Nutzung verquickt ist (100-13). Als kurzfristig greifende Maßnahmen empfi ehlt er die Verringerung von Methan-Emissionen aus undichten Gasleitungen und von Mülldeponien sowie einen Verzicht auf konventionelle Waldnutzung zugunsten CO2-anreichernder selbstbelassener Wälder (114-29).
Verf. vertritt allerdings die These, dass "die Reichen und Mächtigen nicht handeln werden", und begründet dies mit Überlegungen zur Geschichte des Neoliberalismus (124). Der Neoliberalismus vermochte das Problem fallender (industrieller) Profite nicht zu lösen, und die Wirtschaftskrise 2007ff nahm ihm den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit. Regierungsaktivität war wieder gefragt und die Markteuphorie wurde teilweise durch Marktskepsis ersetzt, wodurch sich neue politische Spielräume zur Zusammenarbeit von Umweltbewegung und Gewerkschaften öffneten (136f). In seinen Überlegungen zur "Konzernmacht" zeigt Verf., dass weder der alte Industriekomplex um Öl und Fahrzeugbau noch die aufkommende Produktion erneuerbarer Energien ohne Staatsinterventionismus auskommt (138). Die alten Kapitalfraktionen brauchten den Staat allerdings eher zur militärischen  Abstützung ihrer Profi tstrategien und lehnten zivilen Staatsinterventionismus tendenziell ab. Letzteres belegt etwa die deregulierte und zeitweise höchst profi table Produktion von ›Sport Utility Vehicles‹ bis zu ihrem symptomatischen Markt-Crash 2006 (141-49). Die Ablehnung von Umwelt- und Sozialstandards durch die amerikanische Transportmittelindustrie trug erheblich zur Weigerung der US-Administration bei, sich den internationalen Klimaverhandlungen anders als destruktiv zu nähern (157).
Ein weiterer Abschnitt behandelt die Geschichte der internationalen Klimapolitik, die auf Initiative von Naturwissenschaftlern in den 1980er Jahren im Rahmen der UN begann. Deren "Bündnis mit den Regierungen" bedeutete aber auch, dass "die Wissenschaftler nicht die von ihnen als notwendig erkannten Lösungen erreichen konnten" (164). Die us-amerikanische Delegation in Kyoto 1997 bestand wesentlich aus Repräsentanten des alten ›Kohlenstoff-Klubs‹, der von Problemleugnung auf verbales Interesse umschaltete (169). - Die Kritik an der neoliberalen Globalisierung, wie sie unter maßgeblicher Beteiligung von US-Gewerkschaften 1999 in Seattle zum Durchbruch kam, ermögliche eine radikalere Klimapolitik (180). Seit dem Irakkrieg 2003 haben Umweltaktivisten verstärkt mit der Friedensbewegung und antikapitalistischen Strömungen kooperiert, wobei Verf. es für entscheidend hält, dass nicht mit den Konzernen Kompromisse geschlossen, sondern Mehrheiten für radikale Veränderungen gewonnen werden (187). Er weist auf die Grenzen des Engagements von Angela Merkel, Tony Blair und Al Gore hin, wobei letzterem allerdings eine Eisbrecher-Funktion zugekommen sei. Viele wurden durch ihn radikalisiert, wie eine globale Welle von Klimademonstrationen bewies, die nicht zuletzt die Demonstranten selber veränderte (202).
Wie tief sich neoliberale Dogmen in der Klimapolitik festgesetzt haben, demonstriert Verf. an den zwei derzeit dominierenden Lösungsstrategien: ›Individualisierung‹ und ›Marktlösungen‹. Wie historisch an der Müllproblematik vorexerziert, versuchen die Konzerne auch beim Klimawandel, den Einzelnen die Hauptschuld zuzuweisen, etwa durch den Hinweis auf Kohlenstoff-Fußabdrücke. An den Quellen ansetzende Maßnahmen seien jedoch wirksamer als solche "End-of-pipe"-Regulierungen einer "clean-up ecology" (204). Öko-Steuern sind besonders ungerecht wegen ihrer sozialen Schlagseite (211). Emissionshandel hat sich schon in seiner ursprünglichen Anwendung auf Schwefeldioxid-Emissionen als weniger effektiv erwiesen als die z.B. in Deutschland durchgesetzten direkten Ver- und Gebotsmaßnahmen (213). Noch kontraproduktiver ist der ›Kohlenstoff-Ablasshandel‹ im Rahmen des Clean Development Mechanism des Kyoto-Protokolls, der es Industrieländern erlaubt, Emissionsreduktionen im globalen Süden zu tätigen, anstatt ihre eigenen Emissionen zu verringern (216f).
Auch die individuelle Rationierung von Kohlenstoff etwa anhand eines Bezugsscheins greift die Problematik am verkehrten Ende an, denn "Konsumentenwahl" könne "die Welt nicht mit Wind- und Sonnenkraft pfl astern oder alle Gebäude wärmedämmen". Kohlenstoffrationierung ist "kein Ersatz für Staatsintervention und Regierungsausgaben" (219f).


Zum Schluss umreißt Verf. zukünftige Alternativen. Zwei aufschlussreiche Fallstudien verdeutlichen zunächst, wie gesellschaftliche Widersprüche durch Klimaprobleme zu lokalen bzw. regionalen "kapitalistischen Katastrophen" (223) werden: die erste über New Orleans, das durch anfängliche Verleugnung und darauf folgende rassistische Beschuldigung und Missachtung der Opfer von Hurrikan Katrina zum Waterloo der Bush-Regierung wurde; die zweite über die Darfur-Region, die von Dürren intern zunehmend zerrissen und wegen Ölfunden seit 1984 von externen Mächten heimgesucht wurde. Abschließend diskutiert Verf., wie "eine andere Welt möglich" wäre, in der "neue und unterschiedliche Wege der Nutzung von Energie" verwirklicht werden können (248f). Entscheidende Voraussetzungen dafür seien der Widerstand gegen kriegerische Konfl ikte um fossile Ressourcen (z.B. im Irak und in Afghanistan) und Kämpfe für soziale Gerechtigkeit, die den Neoliberalismus schwächen. Diese Aktivitäten müssten mit der Klimabewegung verknüpft werden: es wäre "Wahnsinn, nur zum Klimawandel Kampagnen zu führen" (251). Als Ziel sozialer Kämpfe sieht Verf. eine Wirtschaft, in der "wir für den Bedarf produzieren, d.h. für die Bedürfnisse der Menschen" (259). In der drohenden "Welt der Repression" werde es jedoch bei abruptem Klimawandel und damit verbundenen Zerstörungen zu mörderischen Übergriffen durch die Herrschenden kommen, der nur eine globale Produzenten-Demokratie entgegengesetzt werden könne (260f). Neale fasst den "historischen Wendepunkt", an dem wir angelangt sind, so: "Seit wir Landwirtschaft und Industrie erfanden, ist die Arbeit unserer Hände und Hirne vor unserer Fähigkeit davongelaufen, eine der neuen Technologie angepasste Gesellschaft zu schaffen. Jetzt sind wir Tiere mit Atomwaffen. Die Frage ist, was aus uns wird. Die globale Erwärmung spitzt die Entscheidung darüber zu" (262f).
Rolf Czeskleba-Dupont

 

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 701-702