Ralf Schüle (Hg.): Grenzenlos Handeln? Emissionsmärkte in der Klima- und Energiepolitik. München 2008. 191 S.

Der Sammelband – unter maßgeblicher Beteiligung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie entstanden – ist eine der ersten deutschsprachigen wissenschaftlichen Publikationen zum EU-Emissionshandel, die ausgehend von einer Analyse dessen erster Testphase (2005-7) Hinweise für die zukünftige Ausgestaltung geben will.

Umweltminister Sigmar Gabriel formuliert im Vorwort die Zielrichtung: »anspruchsvolle Klimaziele werden wir nur erreichen können, wenn wir auch die ›Ökonomie des Klimaschutzes‹ voranbringen. Deshalb ist es richtig, das marktwirtschaftliche Instrument des Emissionshandels weiter zu stärken und auszubauen« (7). Entsprechend geht Hg. von der zentralen These aus, »dass sich die europäische Klimaschutzpolitik in einem kontinuierlichen politischen Lernprozess befindet, in dem ein neues Steuerungsprinzip der globalen Allmende, der Emissionshandel, das Grundverständnis, das Instrumentenportfolio sowie die Akteursstrukturen auch von nationaler Klimaschutzpolitik tiefgreifend verändert« (10). Er urteilt jedoch skeptisch, dass vom Emissionshandel bisher »nur in sehr geringem Maße« Impulse für einen Brennstoffwechsel von Kohle auf Gas, für eine Dezentralisierung der Energieversorgung oder für die Förderung regenerativer Energien ausgehen (15).
Tilman Santarius und Marcel Braun zeichnen die Genese des Emissionshandels nach. Die meisten EU-Länder lehnten ihn – wie auch zahlreiche NGOs – anfangs ab und  favorisierten ordnungspolitische Maßnahmen wie Abgaben oder Steuern. Doch darin sahen die USA eine Gefahr für die nationale Wettbewerbsfähigkeit (23ff). Die Bundesregierung hingegen setzte lange auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie (28). Positiv wird die »Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit« bewertet (29), mit der der EU-Emissionshandel schließlich umgesetzt wurde; dessen »starker Rahmen« könne aber nicht verhindern, dass die nationale Ausgestaltung  »gravierende klimapolitische Schwachstellen« aufweist (32). – Wolfgang Sterk und Christof Arens analysieren die Verschränkungen des Emissionshandels mit den anderen Kyoto-Instrumenten, dem Clean Development Mechanism (CDM) und Joint Implementation (JI), die es erlauben, die Emissionsreduktionen in den globalen Süden und in Transformationsländer zu verlagern. Das erlaubte Volumen von CDM und JI entspricht in etwa der erforderlichen Emissionsreduktion in der gesamten EU, so dass »voraussichtlich die meisten EU-Staaten ihre Kyoto-Ziele nicht durch inländische Reduktionen sondern durch den Zukauf von Zertifi katen erfüllen« werden (37).
CDM-Projekte wie Aufforstung und große Staudämme, die bislang v.a. in Schwellenländern realisiert werden, haben teilweise negative ökologische und sozioökonomiche Folgen. Vor allem aber werde so die beabsichtigte Funktion des Emissionshandels, die Emissionen innerhalb der EU zu reduzieren, »außer Kraft gesetzt« (50). – Stefan Thomas und Wolfgang Irrek stellen fest, dass der Emissionshandel »bisher nur sehr bedingt« auf die Energieeffi zienz wirkt (63). – Kai Schlegelmilch und Maike Bunse erörtern sein Verhältnis zur Ökologischen Steuerreform und resümieren, dass deren Ziele »klar über die des Emissionshandels hinausgehen« (89). – Manfred Fischedick zufolge hat der Emissionshandel »nur eine geringe Auswirkung auf die erneuerbaren Energien« (103). – Hans-Jochen Luhmann fragt nach den Anreizen für einen klimaeffi zienteren Kraftwerkspark in der deutschen Ausgestaltung des EU-Emissionshandels und beklagt die bestehende »Planungsunsicherheit« (150).
Aufschlussreich ist der Beitrag von Timo Busch, Sünje Callsen und Thomas Orbach über den »Finanzsektor als klimapolitischer Akteur«. Auch wenn der Titel unglücklich gewählt ist – schließlich tummelt sich hier eine unüberschaubare Anzahl von staatlichen wie privatwirtschaftlichen Akteuren – wird überzeugend dargestellt, wie sich der Risikodiskurs über den Klimawandel – er hat schon »Milliardenschäden« verursacht (153) – in einen Diskurs über Chancen verwandelt hat. Neue Geschäftsfelder werden entdeckt, und wer schnell handelt, hat Wettbewerbsvorteile. »Durch entsprechende Bepreisungsmechanismen und Auswahlentscheidungen kann die Rendite-Risiko-Relation von eigenen und fremden Portfolios optimiert werden« (154). Analog zu herkömmlichen Derivaten werden auch für Emissionszertifikate Futures, Optionen und Swaps mit unterschiedlicher zeitlicher Reichweite gehandelt. Verwunderlich ist, dass Verf. der Frage nach der emissionsreduzierenden Wirkung des Finanzmarkts nicht genauer nachgehen. Stattdessen wird beklagt, dass diese »innovativen wachstumsstarken Geschäftsfelder« von Unternehmen, Banken und Versicherungen noch nicht angemessen genutzt werden (162).


Der Sammelband folgt, wie Hg. einleitend schreibt, dem Grundverständnis, dass »ein Markt für ›Nutzungsrechte‹ an der Atmosphäre« entsteht, dessen Instrumente einer »Neujustierung« bedürfen (10f). Die Defi zite des bestehenden Systems werden deutlich herausgearbeitet. Daran anschließend geben fast alle Beiträge Handlungsempfehlungen, wie alles besser gemacht werden könnte (das Fragezeichen im Titel ist deshalb etwas missverständlich). In  der fundierten Darstellung des Emissionshandels und seiner komplexen Wechselwirkungen mit anderen klimarelevanten Instrumenten liegt die Stärke des gut strukturierten Buchs. Es sei all jenen empfohlen, die sich mit der mittlerweile schier undurchschaubaren Komplexität des EU-Emissionshandelssystems vertraut machen wollen. Es fehlt allerdings eine erweiterte Analyseperspektive bzw. der Blick aufs Ganze. Lange schon rufen selbst vehemente Verfechter der Kyoto-Mechanismen wie der ehemalige UNEP-Direktor Klaus Töpfer nach einer »Verschlankung« des  Emissionshandels, und es ist zu einfach, dessen Schwächen als »Kinderkrankheiten« (Gabriel, 7) anzusehen. Hoffnung auf die »weltweite Verknüpfung von  Emissionshandelssystemen« zu legen und diesen Prozess als »interessante ökonomische und politische Option« (178) zu bewerten, mögen einige Verf. bestimmten Szenarien folgend schön ausmalen. Dies entspricht aber in keiner Weise den Analysen der Einzelbeiträge. Darüber hinaus hätte eine Thematisierung der politökonomischen Widersprüche, der Akteurs- und Interessengegensätze, die sich in den Kyoto-Mechanismen widerspiegeln und eine anspruchsvolle Klimapolitik in den letzten beiden Dekaden verhindert haben, oder die Berücksichtigung der Machtverhältnisse, etwa in Zusammenhang mit den transnationalen, teils oligopolistischen Energiekonzernen, die Gesamtschau noch düsterer erscheinen lassen. Ein Schlussbeitrag, der das empirische Material zusammenfassend diskutiert und sich auch mit den Widerständen gegen eine »Neujustierung« beschäftigt hätte, wäre spannend gewesen. Das ›Worst-case-Szenario‹ der weiteren Verhinderung substanzieller Emissionsreduktionen in der EU samt ausbleibender Transformation der Energiesysteme ließe sich jedenfalls aus den Beiträgen ebenfalls ableiten. Der »verhaltene Optimismus« (190), den das Buch ausstrahlt, hätte dann freilich zur Disposition gestanden.
Achim Brunnengräber

Quelle: Das Argument, 51. Jahrgang, 2009, S. 852-853