Heinz Fassmann, Gerhard Hatz, Walter Matznetter (Hg.) 2009: Wien, Städtebauliche Strukturen und gesellschaftliche Entwicklungen. Wien, Köln, Weimar. 414 S.
Perspektiven (Sondernummer) 2009: Der Wiener Weg. Arbeit, Wirtschaft, Lebensqualität. Wien. 88 S.
Gleich zwei Publikationen aus Wien und über Wien liegen auf dem Tisch! Zwei aussagekräftige Werke, gleichzeitig Hinweise auf Veränderungen im Stadtbild und auf eine zeitgemässe Verantwortung für die Stadtentwicklung, für die Stadtplanung, für den Städtebau.
Wenn man bedenkt, was sich parallel in Zürich und gleichzeitig in Berlin anbahnt, dann kann man unter stadtplanerischen Gesichtspunkten von einem grossen Dreieck sprechen, nämlich von Zürich–Berlin–Wien.
Sicherlich, Zürich ist die kleinste unter diesen Städten (wenn auch Zentrum einer grossen Agglomeration), doch die Ideen, wie eine Stadtplanung sachlich und politisch zu bewältigen ist, sind hier vorbildlich angelegt. Teilräume werden vor dem Hintergrund vielseitiger Vorüberlegungen hervorgehoben. Diese werden auf potentielle Investoren ausgerichtet, aber stadtseitig nach Massgabe der öffentlichen Interessen geplant, also beschränkt auf die Voraussetzungen wirtschaftlichen und sozialen Gedeihens:
a) durch Entwicklung ehemaliger Industriegebiete
zu Dienstleistungszentren samt Wohnmöglichkeiten,
b) durch Akzentuierung von Zentren und linienförmigen
Räumen der Wissensgesellschaft und
c) durch Aufschliessung neuer Wohngebiete im Agglomerationsbereich,
insgesamt unterlegt mit einem wirkungsvollen Verkehrssystem und vor dem Hintergrund einer Wachstumssituation.
Berlin mit einem vergleichbaren Ansatz der Planung von Teilräumen (Hauptbahnhof, ehemaliger Flughafen Tempelhof usw.), aber vor einem völlig anderen historischen Hintergrund und unter extrem gegenteiligen finanziellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Randbedingungen, bei gleichzeitig hohen politischen Ambitionen als Hauptstadt einer prägenden europäischen Nation zu reüssieren. Auch hier wird, wenn wir recht sehen, von der einstigen ganzheitlichen Stadtentwicklungsplanung eher Abstand genommen, wenn auch im Hintergrund umfassend vorbedacht, um dann Planungen zu betreiben, die Chancen eröffnen, sei es für die öffentliche Hand, sei es für private Investoren.
Und nun Wien?
Die Sondernummer 2009 «Perspektiven» – eine zeitschriftenähnliche Folge von Darstellungen zu Wien, in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien – äussert sich in souveräner Manier zur Stadtplanung, pointiert fokussiert auf die Aufgaben mitten in der Wirtschaftskrise und als Anspruch, diese Stadt als gelebte für die Zukunft kraftvoll und gestaltungsreich voranzubringen. Allein schon der Leitartikel über Wien – Lebensraum mit Qualität und Wirtschaftsstandort mit Zukunft, zeigt die Kernprobleme dieser grossartigen Stadt mit kaiserlichem Hintergrund: Stadtplanung als Quelle für Wohlbefinden, für eine Wirtschaft im Umbruch und Aufbruch, für das Erfüllen europäischer Erwartungen und ganz konkret als Kultur- und Wirtschaftsstandort. Dementsprechend wendet sich ein zweiter Artikel von Gewicht aus der Krise heraus den Investitionsproblemen zu. Der politischen Tradition folgend werden ferner sozialpartnerschaftliche Fragen mitgenommen. Überraschend folgt auf dem Fuss die Zuwendung zur Wiener Forschungslandschaft und schlussendlich die Betonung der so charakteristischen Kulturkomponenten. Kurzum, wirtschaftlich-gesellschaftliche Aspekte dominieren, ein Ansatz der Gesamtoptik, gleichsam traditioneller Stadtentwicklungspolitik. Vordergründig mithin eine eher «politische» Stadtplanung aus übergeordneter Sicht – mit wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Akzenten. Nur, eine einzelne Zeitschriftennummer vermittelt kein luzides Bild des gegenwärtigen realen Verständnisses der Stadtplanung. Und so bedarf es weiterer Aufschlüsse!
Konkreter wird die zweite Publikation: «Wien – Städtebauliche Strukturen und gesellschaftliche Entwicklungen». Weitgehend indirekt, teilweise aber auch direkt, zeichnet sie das Bild der neu werdenden Stadtplanung. Die Autoren geben sich bescheiden. Sie bezeichnen das Werk als Exkursionsbuch. Ursprünglich formuliert für Schüler und Studierende, letztlich aber eine originelle, insgesamt herausragende Einführung in die Stadtplanung der Hauptstadt Österreichs, nicht als systematisches, doktrinenstarkes Werk, vielfach beschreibend, aber auf derart hohem Niveau und gleichzeitig in leicht lesbarer Form, so dass Planer die aktuelle Stadtplanung zwischen den Zeilen fassbar verstehen können. Stadtwanderer zu sein, ist ja für Raumplaner eine Tugend! Der inhaltsreiche, einleitende Aufsatz des Überblicks, verfasst von den Professoren Heinz Fassmann und Gerhard Hatz, beide vom Geographischen Institut der Universität Wien, über die städtebauliche Entwicklung und die planerischen Probleme, macht klar, was mit Stadtplanung in Wien realiter gemeint sein könnte. Wenn in den folgenden Kapiteln von Stadträumen und Prozessen die Rede ist, dann werden sogar die Zutrittswege erkennbar, auch hier letztlich über Teilräume. Auch die weiteren Titel wie «Neue Urbanität in innerstädtischen Brachen», «Kultur als Instrument der Stadtplanung», «Orte des Konsums» stellen Verbindungen her zur Art, wie Stadtplanung in Zürich und wohl auch in Berlin derzeit verstanden wird. Der letzte Titel kündet denn auch an: «Polyzentrische Stadt: Neue urbane Zentren» – eine teilräumliche Stadtplanung im Rahmen einer offen formulierten Gesamtsicht. Auffallend: Der Versuchung der indirekten Stadtplanung durch singuläre Grossbauvorhaben wird widerstanden. Die leserfreundliche Publikation wird übrigens durch zahlreiche planerische Dokumente und photographische Stadtaufnahmen bereichert. Die Kernaussage, Wien hat nicht nur eine Geschichte, sondern auch Zukunft, stellt übrigens die inhaltliche Verbindung zur ersten der hier besprochenen Publikationen her.
Martin Lendi