Arnold Baretzky, Marc Schalenberg  (Hg.): Urban Planning and the Pursuit of Happiness – European Variations on a Universal Theme (18th–21st Centuries). Berlin 2009 223 S.

Der von den beiden Historikern Arnold Baretzky und Marc Schalenberg herausgegebene Band «Stadtplanung und das Streben nach Glück» betrachtet die Ideen, Diskurse oder auch die Bilder, die sich mit der Stadt als Ort des Glücks befassen. Die Herausgeber betonen, damit keine Archäologie des Glücks betreiben zu wollen. Sie wollen auch keine konzeptionelle Geschichte des Glücks oder seiner theoretisch-philosophischen Dimensionen vorlegen.

Die versammelten Essays sind Explorationen in historische und aktuelle Strategien der Stadtplanung, beleuchten Projekte aus verschiedenen historischen Phasen, die implizit oder explizit das Glück ihrer Bewohner zum Ziel hatten. Insgesamt zwölf Kapitel behandeln das Streben nach Glück, vorwiegend aus europäischer Perspektive. Alle Beiträge sind Ergebnis der 9. Internationalen Konferenz der European Association for Urban History, die im August 2008 in Lyon stattfand.

Der gewählte Blickwinkel des «besseren Lebens» fasziniert natürlich, eröffnet ein weites Feld mit sehr aktuellen Bezügen. Die Europäische Union befasst sich zurzeit verstärkt mit Fragen der Lebensqualität als Indikator für die Bewertung von Politiken und den Entwurf von, vor allem regionalen, Entwicklungsstrategien. Das Beispiel von Bhutan und dem Bruttosozialglück ist oft in der Diskussion als positives Beispiel erwähnt. In Australien destilliert die Australian Unity Foundation halbjährlich einen Wellbeing Index auf der Basis von Indikatoren unter anderem zur Entwicklung der allgemeinen Umweltsituation oder der persönlichen Lebensumstände http://www.australianunitycorporate.com.au/Community/auwi/Pages/default.aspx). Die Nobelpreisträger Stiglitz und Sen (2009) haben im Auftrag des französischen Staatspräsidenten neue Modelle der Bewertung von Wirtschaftswachstum diskutiert, mit dem Vorschlag, u. a. Nachhaltigkeit und Lebensqualität in der Bewertung von Wachstum zu berücksichtigen. Eine Studie des britischen Autorenduos Pickett und Wilkinson (2009) macht derzeit viel Furore in verschiedenen Feuilletons mit der Aussage, dass Gesellschaften mit eher gleichwertigen Strukturen auch die glücklicheren Gesellschaften sind. Schliesslich werden Städte-Rankings mit Daten zur Lebensqualität erstellt (www.mercer.com). Dabei ist im Grunde genommen die Forschung schon fast drei Dekaden alt, nimmt man das sozio-ökonomischen Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung als Ausgangspunkt, das schliesslich seit 1984 auch die Lebenszufriedenheit von Haushalten und Personen in Deutschland jährlich erfasst. Altes kommt mit Neuem zusammen – aber bleibt in allen Aspekten spannend.

Der vorliegende Band nun untersucht «urban happiness» aus Sicht und mit den Mitteln der «Urban History» oder stadtgeschichtlicher Forschung. Die wohl bekannteste historische Referenz liefern die USA mit dem seit 1776 in der Declaration of Independence festgeschriebenen Recht auf den «pursuit of happiness». Seit der Aufklärung steht das Glück nicht nur als Zufallsergebnis im Raum (sic!), sondern es gibt ein quasi natürliches Recht darauf; jeder und jede soll glücklich sein. Allerdings, so vielleicht eine europäische Erweiterung der Grundklausel, kann die Abwesenheit von Glück nicht nur auf ein Unvermögen des Einzelnen zurückgeführt werden, sondern auch auf die Lebensumstände und damit – in unserem Feld – auf die städtische Umwelt. Stadtplanung beinhaltet das Versprechen auf ein besseres Leben. Oder auch: Stadtplanerinnen haben einen «bias for hope», so beispielsweise untertitelte John Friedmann (Friedmann 2002) eine Sammlung von Essays.

Oft genug scheiterten jedoch stadtplanerische Projekte der Glücksverpflichtung, und scheitern heute noch. Die Stadtnutzer versagen sich dem Glück, ja sie verändern das Vorgefundene, bis die ursprüngliche Idee unkenntlich geworden ist. Sie ignorieren die Verhaltensvorgaben beziehungsweise die komplexen Verwendungshinweise. Vielleicht ist und war die Erwartungshaltung der Experten zu hoch oder zu sehr von den Lebenswelten der Citizens entfernt. Wie in einem der Beiträge (Jacek Friedrich über das Neue Warschau, S.103) kurz und bündig auf den Punkt gebracht: «for you, but without you.» Gibt es auf Seiten der Stadtnutzer am Ende nur eine mangelhaft ausgebildete Fähigkeit zum Glück?

Vielleicht ist der glücksbringende Ansatz der Moderne ohnehin in der Postmoderne nicht mehr angebracht, so die beiden Herausgeber. Im Einundzwanzigsten Jahrhundert gibt es keine emphatische Betonung des Glücks für alle mehr. Es hat zumindest keinen hohen Stellenwert im Sinne einer insgesamt glücklichen Stadtgesellschaft. Das engere Mass des Glückstrebens beschränkt sich auf Bequemlichkeit oder die Verwirklichung von individuellen Lebensstilen, nimmt die Form eines Paradieses hinter Gattern und Wällen an. Pragmatismus hat die Utopien besiegt?

Die einzelnen Beiträge bieten sehr reichhaltigen Stoff, sich mit der «urban happiness»  auseinanderzusetzen. Mascha Bisping diskutiert Johann Peter Willebrand und die Idee der glückseligen Städte. Im Namen der Glückseligkeit wird die Stadt als ein prinzipiell ökonomischer und damit planbarer Raum verstanden – mit einem eindeutigen Ziel. Mohsen Aboutorabi und Andreas Wesener beschreiben das Georgianische Birmingham und wie dort die Bodenmärkte sowie private Entwickler das «nachgefragte» Glück der unterschiedlichen Gesellschaftsteile bedienten; segregierte Glückseligkeit in der Stadtlandschaft. Christa Kamleithner identifiziert die «liberalen» Ideenanteile der Stadtplanung, zumindest in der Planungstheorie, die seit 1870 sich entwickelt hat. Sándor Békési schreibt in seinem Kapitel über Heimatschutz im Wien der Jahrhundertwende und darüber, welchen Einfluss diese intellektuelle Bewegung auf die Allgemeinheit eingewirkt hat, indem sie vor allem auf emotionaler Ebene Wunsch und Wirklichkeit miteinander zu verbinden suchte.

Dieser Blick des «es war einmal» wird in den nachfolgenden Kapiteln stärker auf das «es wird einmal» sozialistischer Experimente ausgerichtet. Marina Dmitrieva untersucht in ihrem Kapitel d ie Reiseberichte prominenter Zeitgenossen wie Walter Benjamin oder André Gide, die das Russland Stalins bereist hatten. Der «diszipliniert glückliche» Mensch der damaligen historischen Phase hat nicht jeden gleichermassen beeindruckt, wie die Autorin in ihrem Schlusssatz mit einem Zitat von André Gide deutlich macht: «And I doubt that in any country today, …, the spirit is less free, more subjugated, more frightened, more terrorised and yoked.» (96) Das Thema der Disziplinierung oder, weniger harsch formuliert, der Erziehung durch Architektur zieht sich auch fort im Beitrag von Jacek Friedrich zu den Visionen des nach dem Kriege neu aufzubauenden Warschau oder im Beitrag von Ana Kladnik zu neuen Städten in Jugoslawien oder der Tschechoslowakei. Die Vision der sozialistischen «urban happiness» machte auch nicht vor dem ländlichen Raum halt, wie Mart Kalm in seinem Beitrag zum Aufbau von Kolchosen in Estland festhält. Hier werden aber auch Elemente des Widerstands deutlich, indem sich die ländliche Bevölkerung ihrer Vorstellungen zum ländlichen Leben nicht gänzlich berauben lässt.

Das Schaffen neuer urbaner Horizonte war natürlich nicht nur eine Idee in kommunistisch-sozialistischen Gesellschaften, wie die nachfolgenden Beiträge zeigen. Clarisse Lauras berichtet über Firminy-Vert (1959) und die ideale Praxis einer Stadt, die den Prinzipien des Modernismus verpflichtet war. Für dieses Firminy-Vert wurde jedem neuen Einwohner eine «Gebrauchsanweisung» mitgegeben, in der zu lesen war, warum diese Utopie existiert und vor allem, wie sie durch die neuen Einwohner auszufüllen sei. Man ahnt es bereits, die pädagogisch-therapeutischen Absichten der Politiker, Stadtplaner und Architekten (u.a. Le Corbusier) haben sich nur zum Teil verwirklichen lassen. Bruno Bonomo berichtet über einen Stadtteil in Rom, das Casalpalocco, die Vision eines endlosen Urlaubs am Rande der grossen Stadt. Das Rollenmodell, sowohl für den neuen Standort als auch die zukünftigen Besucher (1955 wohlgemerkt), kommt aus den USA und wird von einem privaten Entwickler vorangetrieben. Während es für die einen die gelungene Imitation des American way of life ist, kommen die anderen zu dem Schluss, dass «Glück nicht von dieser Welt ist». In eine ähnliche Richtung geht der letzte Beitrag des Bandes, von Jacek Gadecki und Christian Smigiel, der sich mit «gated communities» befasst. Nicht von ungefähr wählen die Autoren den Titel «Paradiese hinter Mauern»: Entsprechend dem Zeitgeist, geht es um Sicherheit im Chaos. Private Entwickler bieten einem zügig wachsenden Markt von mittelständischen Familien und Paaren die wohl geordneten, grünen und komfortabel ausgestatteten Enklaven – oder Inseln der Glückseligen. Womit sich der Kreis der Betrachtungen schliesst.

Im Sinne eines abschliessenden Fazits kann der vorliegende Band nur empfohlen werden. Das Streben nach Glück in der oder durch die Stadtplanung zeigt viele Fallstricke und hat vor allem sehr unterschiedliche Motivationen. Das Streben nach individuellem Glück ist ungebrochen. Die einschlägig bekannte Suchmaschine benötigt übrigens nur 0,07 Sekunden, um «ungefähr» 21 200 000 Suchergebnisse zu dem Stichwort «Glück» zu produzieren. Der Band «Urban Planning and the Pursuit of Happiness» bietet hierzu eine hilfreiche Orientierung.

Friedmann, J. (2002): The prospect of cities. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Stiglitz, J.E.; Sen, A.; Fitoussi, J.-P. (2009): Report by the Commission on the Measurement of
Economic Performance and Social Progress. Paris: The Commission on the measurement of economic performance and social progress has been created at the beginning of 2008 on French government’s initiative.

Wilkinson, R.; Pickett, K. (2009): The Spirit Level – Why Greater Equality Makes Societies Stronger.
Bloomsbury Publishing.

Peter Ache

Quelle: disP 183,4/2010, S. 127-129