Peter Meusburger, Joachim Funke and Edgar Wunder (eds.): Milieus of Creativity. An Interdisciplinary Approach to Spatiality of Creativity. Dordrecht 2009. 300 S.
Mit dem Sammelband „Milieus of Creativity“ legen die Geographen Peter Meusburger und Edgar Wunder und der Psychologe Joachim Funke eine Zusammenstellung von Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen vor, die auf ein mehrtägiges Symposium, das im September 2006 an der Universität Heidelberg abgehalten wurde, zurückgehen.
Symposium wie Sammelband sind der zweite Teil einer mehrteiligen, von der Klaus Tschira Stiftung finanzierten Reihe zur Thematisierung von „Knowledge and Space“, in der es um die Generierung, Verbreitung und Anwendung von Wissen unter besonderer Berücksichtigung des räumlichen Kontexts und räumlicher Disparitäten geht. Der Band „Milieus of Creativity“ widmet sich dem seit geraumer Zeit stattfindenden Diskurs um die Räumlichkeit von „Kreativität“. Es wird dabei nicht Halt gemacht an den engen Grenzen der zentralen Begriffe „Kreativität“ und „Milieu“, vielmehr finden auch Reflexionen von „Invention“ und „Innovation“ auf der einen sowie verschiedener Raumtypen auf der anderen Seite ihren Niederschlag in dem Band. Der Sammelband richtet sich nicht nur an Geographen, sondern auch an Vertreter anderer Disziplinen, insbesondere Psychologen. Dies zeigt sich bereits in der Ausgangsthese, derzufolge Kreativität einerseits ein individuelles Phänomen, andererseits aber zugleich in hohem Maße von der Struktur der Umgebung und damit vom Raum als sozial und kulturell geprägtem Kontext abhängig ist. Das gemeinsame Bindeglied der unterschiedlichen Beiträge des Bandes ist, dass sie Verbindung zwischen den einbezogenen Disziplinen zum Thema Kreativität und Raum herstellen, was sich auch in dem wiederholten Credo zeigt, nur durch disziplinenübergreifende Ansätze komme man der Räumlichkeit von Kreativität näher. Diese Verknüpfung von unterschiedlichen disziplinären Sichtweisen erweitert den geographischen Kreativitätsdiskurs, der sich bislang auf die Entwicklung von Agglomerationsräumen und auf die Bedeutung von räumlicher Nähe und Vielfalt für die Entwicklung von Kreativität konzentriert. Forschungsarbeiten, die die Rekonfiguration des Raumes insgesamt thematisieren, gibt es leider noch selten. Gleiches gilt für Studien, die die planungspraktischen Konsequenzen und die politische Steuerbarkeit der entsprechenden Prozesse zum Gegenstand haben und dabei nicht nur für prosperierende Regionen, z.B. Metropolregionen oder die global city, Empfehlungen bereit halten, sondern auch für den ländlichen Raum in seiner Vielfalt sowie insbesondere für die Peripherie einschließlich ihrer kleineren Städte. Der Leser kann nicht erwarten, dass die Zusammenführung unterschiedlicher, bisher kaum aufeinander bezogener Diskurse zum Kreativitätsthema schon beim ersten Versuch einer kohärenten Zielsetzung folgt und ein einheitliches, von allen Autoren genutztes Begriffssystem anbietet. Der Sammelband „Milieus of Creativity“ liefert vielmehr 15 anregende, durch unterschiedliche disziplinäre Sichtweisen geprägte Beiträge zum Stand der Forschung über die Räumlichkeit von Kreativität. Die Vielfalt der Beiträge ist angesichts des Forschungsstandes angemessen. Es ist ferner auch anregend, dass die Abgrenzung verschiedener zentraler Begriffe (Intelligenz – Kreativität – Innovation; Milieu – Region – Raum) nicht von allen Autoren in gleicher Weise vorgenommen und von Beitrag zu Beitrag verschieden gehandhabt wird. Dies sollte allerdings zum Anlass genommen werden, den Diskurs voranzutreiben und auf eine entsprechende Klärung für die nähere Zukunft hinzuwirken. Die ersten drei Beiträge stammen aus der Psychologie und widmen sich der Definition des Begriffes „Kreativität“. Insbesondere Joachim Funke bereitet in seinem Fachbeitrag anschaulich und nachvollziehbar auf, was unter „Kreativität“ zu verstehen ist. Er unterscheidet fünf Phasen kreativer Prozesse: Vorbereitung, Inkubation, Einsicht, Evaluation und Elaboration. Mit dieser Systematik wird es leichter möglich, Kernbegriffe des Kreativitätsdiskurses (Intelligenz, Kreativität, Invention) aufeinander zu beziehen. Kreativität benötigt – dies eine wichtige Erkenntnis an dieser Stelle – einen gewissen zeitaufwendigen Vorlauf, und sie kann behindert werden durch professionelle Voreingenommenheit. Ergänzend hierzu widmet sich z.B. Robert Sternberg in seinem Beitrag der These, dass Kreativität nicht nur eine Frage des Könnens, der Fertigkeiten ist, sondern auch eine der Lebenseinstellung – womit der Sozialisation eine besondere Bedeutung zukommt. Solche das Verhalten von Individuen, die Charaktereigenschaften kreativer Personen und die soziale Einbettung thematisierende Beiträge sind durchaus hilfreich für den geographischen Diskurs zur sozialen und kognitiven Konstruktion von Räumen der Kreativität. Die beiden folgenden, philosophisch angelegten Beiträge gelten einer Typisierung von Kreativität. Die Übertragung fundamentaler Kreativitätskonzepte auf die Geographie ist Gegenstand des 6. Beitrages von Peter Meusburger, der auch wegen seiner Länge eine zentrale Rolle in dem Gesamtband einnimmt. Die folgenden Beiträge widmen sich Einzelthemen, so der Intelligenz (7), dem Arbeitsklima (8), der Innovation (9), der Agglomeration (10), Erwartungshaltungen (11), der Konzeptualisierung von Raum (12), der Vorstellung von Raum und Zeit in der Science-Fiction-Literatur (13) oder dem Stellenwert teleologischer und geophilosophischer Betrachtungen (14 bzw. 15). Den Geographen interessieren in dem Sammelband v.a. jene Passagen, die die Räumlichkeit der Kreativität ergründen helfen. Bereits die Einleitung liefert hier einen guten Überblick über die Ausgangsthesen – von einer Retrospektive zur Kreativitätsforschung über die Herstellung der Verknüpfung von Kreativität und Raum bis zum eindringlichen Plädoyer für mehr Interdisziplinarität. Dabei wird bereits deutlich, dass in der Anthropogeographie die Forschung zum Thema Kreativität noch am Anfang steht. Vor diesem Hintergrund ist der Beitrag von Peter Meusburger, der die Beziehung zwischen Kreativität und Raum konzeptualisiert, hilfreich und weiterführend. Er strukturiert seine theoretischen Überlegungen nach drei relevanten Ebenen (makro, meso und mikro) und widmet sich den diesen Ebenen zugeordneten soziokulturellen Rahmen, organisatorischen Strukturen und persönlichen Charakterzügen als den für Kreativität entscheidenden Variablen. Keine der von ihm ausgebreiteten Variablen sei allein entscheidend für die Kreativität, es komme vielmehr auf deren Zusammenspiel innerhalb eines spezifischen räumlichenKontextes an. Das Wesen des räumlichen Kontextes beschreibt Peter Meusburger mit der Metapher des Saatbeets, in dem es unter anderem zu bisher wenig erforschten Wechselbeziehungen zwischen dem physischen Umfeld (Farben, Gerüche, Geräusche, räumliche Muster) einerseits sowie Lernen und Handeln andererseits kommt. Dieses Bild erklärt, warum es keine überall gültige Formel zur Förderung von Kreativität geben kann. Umso unbefriedigender ist, dass dennoch, wie Peter Meusburger abschließend festhält, in vielen Studien die „Machbarkeit“ kreativer Städte postuliert wird, obwohl die theoretischen Erkenntnisse längst nicht so weit gereift sind, dass sie für eine den Praktiker zufriedenstellende Operationalisierung taugen könnten. Das gilt auch für die Beantwortung der Kernfrage dieses Sammelbandes: Warum sind bestimmte Räume „kreativer“ als andere? Wie können die Chancen einzelner Raumtypen beschrieben werden? Martina Fromhold-Eisebith listet in ihrem, dem 10. Beitrag verschiedene Bedingungen für Innovation in einem regionalen Kontext auf, die unter dem Strich für entsprechende Vorteile in Agglomerationen sprechen. Die zentrale Voraussetzung scheint hier in physisch-räumlicher Nähe zu bestehen, allerdings schränkt Martina Fromhold-Eisebith diese einfache Folgerung ein, indem sie die Verschiedenartigkeit von Innovationsprozessen in verschiedenen organisatorischen Strukturen und auch in verschiedenen Zeitfenstern thematisiert. Interessante Aspekte zur Beantwortung der Frage, auf welcher räumlichen Ebene bzw. in welchen Räumen Innovationen stattfinden können, liefern auch die Beiträge von Ricarda Bouncken (9) zu den Voraussetzungen von Kreativität in globalen Teams und von Joachim Funke mit der Feststellung, dass Kreativität durch entsprechende Herausforderungen befördert wird. Zur Kernfrage: „Welche Räume sind kreativ?“ muss das Autorenteam feststellen, dass bislang sichere Aussagen nur ex post getroffen werden können. Die Beiträge liefern eine Reihe sehr wertvoller Anhaltspunkte, die für Räume aller Größe, Prosperität und auch Ebene Impulse liefern können. Für die Geographie bleibt als Ergebnis, dass vor allem die Beschäftigung mit Fragen und Antworten der Psychologie sehr anregend sein kann. Mehr noch: Robert Sternbergs Feststellung, dass Kreativität eine Frage der Einstellung zum Lernen ist, rückt Fragen der Integration von fremden und neuen Eindrücken und Erkenntnissen in die persönlichen Wissensstrukturen ebenso wie in soziale Wissensmilieus in den Vordergrund. So gesehen bildet auch der vorliegende Band zur Kreativität und ihren Räumen in seiner interdisziplinären Wissensvielfalt einen für den Leser anregenden Kontext für Lernen und Kreativität.
Hans Joachim Kujath und Axel Stein