Andrew Simms: Ecological Debt: Global Warming and the Wealth of Nations. London, New York 2009. 2., erw. Auflage. 336 S.

Das Buch entzieht sich einer klaren Kategorisierung – und bietet gerade deswegen spannende Lektüre. Kindheitsanekdoten, Reiseberichte, Werbeslogans der Autoindustrie, die Schilderung eines Museumsbesuchs, biographische Darstellungen historischer Persönlichkeiten und Zitate aus mehreren Jahrhunderten mischt Simms mit vielen Fakten und Zahlen, um seine Hauptthese zu entwickeln: Die Industrieländer fordern als Gläubiger die Bezahlung monetärer Schulden von den Entwicklungsländern – der Begriff wird ohne weitergehende Reflexion verwendet – und tragen damit Verantwortung für eine Schuldenkrise, die nach UN-Angaben zum Tod von 7 Mio Kindern pro Jahr führt (8); eigentlich aber sind die Industrieländer Schuldner der Entwicklungsländer – in ökologischer Hinsicht.

Ökologische Schulden habe eine Person, wenn sie mehr als ihren gerechten und gleichen Anteil an endlichen Umweltressourcen verbraucht oder einen Lebensstil hat, der ein Ökosystem über seine Regenerationsfähigkeit hinaus beansprucht (88). Simms zeigt auf, wie die ökologischen Schulden des globalen Nordens entstanden sind – und wie ihre Begleichung bis heute politisch vermieden wird. Monetäre und ökologische Schulden würden völlig unterschiedlich behandelt: z.B. bestimmen bei ersteren im Wesentlichen die Industrieländer über deren Höhe und Zinsen, während die Entwicklungsländer nicht über die Höhe der letzteren bestimmen können (107). Simms will ökologische Schulden auf die politische Agenda setzen, um »Parameter eines Paradigmenwechsels festzulegen«: Darüber, wer arm ist, wer bei wem Schulden hat und was die Gründe sind, müsse neu nachgedacht werden (106). Eine sofortige, radikale Veränderung von Konsummustern im globalen Norden sei erforderlich, wenn die Menschheit langfristig überleben wolle.

Seine Thesen entwickelt Simms in eher locker-essayistisch verknüpften als streng aufeinander aufbauenden Kapiteln. Es geht darin u.a. um die Geschichte der Erderwärmung und des weltweiten Ressourcenverbrauchs, die sozio-ökonomische Entwicklung im globalen Süden in den letzten Jahrzehnten und die wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels, das Konzept der ökologischen Schulden und CO2-Schulden als deren besondere Form und die historischen Anfänge der ökologischen Verschuldung des globalen Nordens im Kolonialismus. Psychologische Gründe für fehlende effektive Klimaschutzmaßnahmen diskutiert Simms ebenso wie die Autofi xiertheit von Gesellschaften im globalen Norden und den Beitrag der Werbeindustrie dazu. Er erörtert Möglichkeiten gerichtlichen Vorgehens gegen die Länder mit den meisten Emissionen und stellt erfolgreiche  Ressourcensparmaßnahmen in England während des Zweiten Weltkriegs vor.

Das Buch enthält eine Fülle interessanter Fakten (z.B. über Svante Arrhenius, der bereits 1895 einen kausalen Zusammenhang zwischen Temperaturen auf der Erde und atmosphärischer CO2-Konzentration vermutete, 15ff), klug genutzte Zahlen (»eine Familie in New York wird zwischen dem Glockenschlag zu Neujahr und der Zeit, zu der sie sich am 2. Januar zum Abendessen setzt, pro Kopf die Menge an fossilen Brennstoffen verbraucht haben, von der eine Familie in Tansania das ganze Jahr über lebt«, 99) und gewitzte Überschriften (z.B. »The Carpark at the End of the World«). Inhaltlich bezieht Simms klare Positionen abseits des klimapolitischen Mainstreams. Er macht deutlich, dass sich die Klimakrise mit technologischen Innovationen allein nicht lösen lässt (26) und dass die monetäre Bewertung von Natur problematisch ist (106). Ebenso kritisiert er marktbasierte Mechanismen wie den Emissionshandel: »der Ausgleich von CO2-Emissionen durch Zertifi kate ist, wie wenn man jemand anderes dafür bezahlt, treu zu sein, während man selbst eine Affäre hat« (234f). Der Klimawandel lasse sich nur erfolgreich bekämpfen, wenn das Paradigma des quantitativen Wachstums des BSP aufgegeben werde (210f).

Die Hauptursache für die ökologischen Schulden des globalen Nordens sieht Simms in dessen exzessivem Konsum (156), was auch die Beispiele verdeutlichen, mit denen er die Energieintensität des nördlichen Lebensstils illustriert: Autos (Kap. 8) und Flugreisen (94). Produktionsstrukturen und – allgemeiner – gesellschaftliche Naturverhältnisse, die diese Konsummuster produzieren, werden kaum thematisiert. Ebenso wenig diskutiert Simms, wer innerhalb des globalen Nordens von den bestehenden Verhältnissen profi tiert – und wer weniger. Zur Lösung der ökologischen Krise scheint er staatliche Interventionen in Form einer ressourcensparenden »Kriegsökonomie« (246f) zu favorisieren, z.B. mittels Rationierung oder Steuern. Das letzte Kapitel enthält ein Sammelsurium von Maßnahmenvorschlägen und bezieht sich auf verschiedene Konzepte, die unverknüpft nebeneinander stehen und nicht auf ihre Vereinbarkeit untereinander überprüft werden, wie z.B. ein »Green New Deal« (GND) und Ernährungssouveränität. Während GND-Ansätze auf technologische Innovation und grünere globale Marktstrukturen bauen, wird Ernährungssouveränität häufi g gerade durch die Öffnung lokaler Märkte für globalen Handel unterminiert, was Simms selbst auch festhält (270). Einen Widerspruch zwischen beiden Konzepten scheint er trotzdem nicht zu sehen. Trotz dieser Schwächen ist das Buch empfehlenswert: Stilistisch und inhaltlich baut es einem breiteren Publikum im globalen Norden Brücken zu radikaleren Ideen für sozial und ökologisch gerechtere globale Verhältnisse. Und Simms macht deutlich, dass gesellschaftliche Verhältnisse auch innerhalb kurzer Zeit veränderbar sind.
Christiane Gerstetter

Quelle: Das Argument, 52. Jahrgang, 2010, S. 142-143

 

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