Michael Köberlein: Living from Waste. Livelihoods of the Actors Involved in Delhi's InformalWaste Recycling Economy. Saarbrücken 2003 (Studien zur Geographischen Entwicklungsforschung 24). 276 S.

Das Ausmaß und die Bedeutung des Informellen Sektors ist in den Entwicklungsländern generell sehr viel größer als im Allgemeinen bekannt. Dies liegt vor allem daran, dass es darüber so gut wie keine Statistiken gibt und die Durchführung von Untersuchungen mit dem Ziel, fehlende Primärdaten zu erheben, sich sehr schwierig gestaltet. Die hier fokussierte Abfallwirtschaft stellt dabei ein Extrembeispiel dar, weil in diesem Falle auch noch die besonderen Rahmenbedingungen, die mit der Müllproblematik zu tun haben, zu Buche schlagen.

Die in diesem Bereich bisher durchgeführten Untersuchungen sind zahlenmäßig recht überschaubar. Um so mehr ist es zu würdigen, wenn Michael Köberlein nun in diesem besonderen Milieu und unter recht erschwerten Rahmenbedingungen ein Dissertationsthema bearbeitet hat. Köberlein untersucht die breite Spanne von unterschiedlichen Berufsgruppen, wie man sie in Ländern wie Indien vorfindet, die mit Müll und Abfall ihren Lebensunterhalt bestreiten. Der Verfasser zeigt die große Vielfalt von Tätigkeiten auf, die sich sowohl aus der Sicht funktionsspezifischer Erfordernisse, wie auch aus der Perspektive einer sozialgruppenorientierten Hierarchie ergeben. So wird deutlich, dass schon der Müllsammler auf der Straße von demjenigen auf dem Müllplatz zu unterscheiden ist; diese sorgfältige Differenzierung erstreckt sich weiter über die Funktion des Müllsortierers, des unregelmäßigen Wertstoffkäufers bis hin zum Wertstoffhändler und Altstoffverwerter. Seine empirischen Daten gewinnt Köberlein in der Delhi Metropolitan Area, wo allein fast 100 000 Müllsammler, ca. 30 000 Abfallsortierer und 10 000 kleinere Händler tätig sind. Die breit angelegte empirische Untersuchung basiert vor allem auf dem akteurszentrierten Ansatz und arbeitet mit quantitativen und qualitativen Methoden. Köberlein setzt standardisierte Fragebögen, Tiefen- und Experteninterviews sowie empirische Ranking-Verfahren ein. Aus dem umfangreichen empirischen Datenmaterial gelingt es dem Verfasser, sehr konkrete Aussagen über die gruppenspezifische Einkommenshöhe, die sich daraus ableitende Sicherheit des Einkommens sowie über die spezifische familiäre Situation der verschiedenen Akteure und über reale soziale Entwicklungsmöglichkeiten marginaler Gruppen in der städtischen Bevölkerung Delhis zu gewinnen. Untersuchungen wie diese haben bisher kaum in dieser Tiefe das faktisch - wie gezeigt wird - doch sehr differenzierte sozial- und berufsgruppenspezifische Spektrum der Akteursgruppen in der Abfallwirtschaft von Entwicklungsländern deutlich gemacht. Gleichzeitig wird dem Leser das Ausmaß und die Bedeutung der informellen Wirtschaft in Ländern wie Indien vor Augen geführt. Vorbildlich ist die Dissertation im Aufzeigen von empirischen Ansätzen zur Datengewinnung im Bereich der Informellen Wirtschaft und deren Ergebnisdarstellung.

Autor: Hans-Dieter Haas

Quelle: Die Erde, 136. Jahrgang, 2005, Heft 2, S. 145