Stephan Kaufmann u. Tadzio Müller: Grüner Kapitalismus. Krise, Klimawandel und kein Ende des Wachstums. Berlin 2009. 269 S.
Verf. verorten die mögliche Durchsetzung eines grünen Kapitalismus in einer multiplen Krise des Kapitalismus, die neben der Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer Legitimations-, Energie- sowie Klimakrise einher geht. Letztere wird als Teil einer umfassenden »Biokrise« interpretiert, in der der »Antagonismus zwischen den Bedürfnissen der erweiterten Kapitalakkumulation [...] und den Bedürfnissen unseres kollektiven Überlebens in relativ stabilen öko-sozialen Systemen [...] nicht gelöst, sondern zur Triebfeder eines neuen‚ ›grünen Kapitalismus‹ gemacht werden« soll (31). In diesem Rahmen gewännen Konzepte eines Green New Deals (GND) an zunehmender Aufmerksamkeit.
Kaufmann analysiert, zwischen welchen »Faktoren der Nachhaltigkeit« der kapitalistische Staat abwägt, wenn er sich für oder gegen eine Klimaschutzmaßnahme entscheidet. Getroffene Maßnahmen müssen billiger sein als die zu befürchtenden Kosten des Klimawandels, müssen die Versorgungssicherheit mit billiger Energie erhöhen und/oder dem nationalen Standort ein rentables Geschäft versprechen, denn »geschätzt und geschützt werden Mensch und Natur nur als verwertbare Stücke belebter Natur« (44). Die Globalität des Klimawandels erzeugt zudem »ein negatives aufeinander Angewiesensein« der Staaten »als Konkurrenten« (149). Dieser Konstellation ist es geschuldet, dass die verschiedenen Ebenen der internationalen Diplomatie (UNO, EU, G8) durch harte Auseinandersetzungen um die Verteilung von Kosten und Nutzen des Klimawandels gekennzeichnet sind. Problematisch erscheint in dieser Argumentation die Fokussierung auf den kapitalistischen Staat als vermeintlich einheitlichem Akteur. Müller erweitert zwar diese Perspektive, wenn er auf hegemoniale Kämpfe in der Zivilgesellschaft und in den Staatsapparaten eingeht; beide Perspektiven bleiben aber weitgehend unverbunden.
Präzise analysiert Müller allerdings die Vorzüge, die ein ökologisch erneuerter Kapitalismus Teilen des Machtblocks bietet. Kein anderer gesellschaftlicher Entwurf birgt ein solches Potenzial, die erweiterte Kapitalakkumulation wiederherzustellen, die Biokrise zumindest scheinbar zu bearbeiten und nicht zuletzt ein neues hegemoniales Projekt zu konstituieren. Doch die zentralen Antagonismen des Kapitalismus werden auf diese Weise keineswegs aufgehoben. Zum einen wird der Gegensatz zwischen kapitalistischem Wachstumszwang und den sozial-ökologischen Lebensgrundlagen reproduziert, denn des »kapitalistischen Pudels Kern ist das Wachstum, und genau darum geht es im GND, um eine Neuauflage der Geschichte vom Kapitalismus, der ewig weiterwachsen kann« (165). Zum anderen könnte sich der strukturelle Konfl ikt von Kapital und Arbeit sogar verschärfen, zumal die Löhne aufgrund der historischen Schwäche der Arbeiterklasse stagnieren oder sogar sinken dürften, während die Reproduktionskosten steigen. Die so entstehende »Reproduktionslücke« (171f, 175ff) dürfte soziale Unruhen und damit die Herausbildung eines autoritären Staates befördern.
In der Debatte um linke Strategien gegenüber einem möglichen grünen Kapitalismus wendet sich Müller gegen jene Stimmen, die sich von einer Einmischung in seine Ausgestaltung progressive Veränderungen erhoffen. Demgegenüber wirbt er, mit Verweis auf die Schwäche der emanzipatorischen Kräfte und die Dringlichkeit der Krisen, für die »Artikulation klar identifizierbarer antagonistischer Positionen und Aktionsformen« (188). Er plädiert für einen »Bruch«, »eine wirkliche Klimabewegung« (192). Nur eine solche sei imstande, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig zu verschieben und eine sozial-ökologische Transformation einzuleiten. Ansätze einer alternativen Vergesellschaftung müssen konkretisiert werden: Klimagerechtigkeit (194ff), eine Schrumpfungsökonomie« (199ff) und »just transition«, d.h. die Einbeziehung der Beschäftigteninteressen in einen Transformationsprozess (197ff). »Zentrale Aspekte in dieser Konzeption von Klimagerechtigkeit sind: fossile Ressourcen im Boden zu lassen; ökologische Schulden des Nordens an den Süden anzuerkennen und Reparationen zu leisten; der Kampf für Energie-, Ressourcen- und Ernährungssouveränität; und die Reduktion von Überkonsumption und Überproduktion, vor allem im globalen Norden.« (194) Wie die unterschiedlichen Interessen der Subalternen weltweit in einem positiven Projekt zusammenkommen können, bleibt weitgehend offen.
Dieter Klein ergreift in seiner Nachbemerkung für die von Müller zurückgewiesene Position Partei, indem er vorschlägt »den [...] entstehenden grünen Kapitalismus über das von Seiten der Herrschenden Intendierte hinauszutreiben« (230). Im Sinne einer radikalen Realpolitik müsse die Linke sozialökologische Reform- und Bündnispotenziale ausnutzen, aber zugleich diese Reformprojekte für eine sozialistische Transformationsperspektive öffnen. Das Buch schließt mit einem lesenswerten Gastbeitrag von Victor Wallis über die »green capitalist agenda«, in dem er die Positionen und Ideologien wichtiger Akteure (Kapitalfraktionen, Obama-Administration, Intellektuelle, Umweltverbände, soziale Bewegungen) in den USA in Bezug auf einen grünen Kapitalismus untersucht. Das Buch zeichnet das umkämpfte Feld um die Durchsetzung eines neuen hegemonialen Projekts nach, auf dem linke Strategien und Praxen sich bewegen.
Hendrik Sander