Christoph Twickel: Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle. Hamburg 2010. 128 S.

Die akademische Gentrifi zierungsliteratur ist nicht mehr zu überblicken, und auch an Einführungswerken mangelt es nicht. Wer hierfür nicht nur Andrej Holm lesen möchte, kann jetzt zu einem Buch greifen, das aus der teilnehmenden journalistischen Begleitung des 2009 in Hamburg gegründeten Recht-auf-Stadt-Netzwerkes entstanden ist.

Das Buch ist, so Verf., »aus einer und für eine Grassroots-Perspektive geschrieben«, also »eher für Leute, die sich in eine Polemik über den Wandel ihrer Stadt einmischen möchten. Die das Gentrifi dingsbums nicht mit einem Achselzucken quittieren oder für den Lauf der Dinge halten wollen.« (7) Verf. skizziert Gentrifizierung als zentralen Bestandteil des homogenisierenden Umbaus der Innenstädte zu »malls without walls« (14), aus denen all diejenigen ausgeschlossen werden, »die zum Shopping-Geschehen nichts beizutragen haben oder es gar störend beeinfl ussen könnten« (15). Begleitet würden diese Umbauten von einem »Schandfleck-Diskurs«, der die »Sonderposten-Einkaufsstraße« nicht als lebendiges Zentrum innerstädtischer Viertel sieht, »in der sich Hartz-IV-Empfänger, Rentner und Kopftuchträgerinnen noch Butterkuchen mit Kaffee satt leisten können« (13). Deren Darstellung durch staatliche Politik und Medien als »problematische Stadtquartiere« im »Niedergang« werde ergänzt durch eine offensive Imagepolitik, die einkommensstarke Mittelschichten in die Innenstädte locken soll. Die Kombination aus Niedergangsszenario und Aufbruchsstimmung legitimiere jene Großprojekte der Stadtumstrukturierung, die weltweit – ob am Potsdamer Platz in Berlin, den Londoner Docklands oder der Hamburger Hafencity – einheitliche, öffentlich finanzierte und abgesicherte innerstädtische Konsumwelten schaffen.

Doch einheitliche Konsumwelten allein bieten keinen Standortvorteil. So versuchten die Städte, die lokalen Subkulturen zur »Belebung« und »Aufwertung« der Innenstädte zu instrumentalisieren (52). Sie setzten »den Bohemien als Insignum metropolitaner Coolness und Vielfalt« für ein »Standort-Branding« ein, das über die Monotonie vereinheitlichter Konsum- und Entertainmentwelten hinwegtäuscht (63). Gentrifi zierung, das will Verf. verdeutlichen, ist kein naturwüchsiger Prozess. Sie stehe für einen »politischen Paradigmenwechsel«, demzufolge Stadtverwaltungen nicht mehr gegensteuernd auf Tendenzen der Segregation reagieren, sondern sich an deren Spitze setzen und »Gentrifi zierung zur Generallinie« ausrufen: »als Erfolgsstory, die man überall dort zu implementieren versucht, wo sich soziale Problemzonen gebildet haben« (17).

Der Kehrseite der Gentrifizierung als »Enteignung« ist, dass sie jene »Milieus, Atmosphären, soziale Mischungen«, die Investor/innen »nicht geschaffen haben und die ihnen nicht gehören«, die sie aber als Produkt verkaufen, in ihrem Verlauf selbst zerstört (108). Diese Kritik sei der »kleinste gemeinsame Nenner« ganz unterschiedlicher stadtpolitischer Proteste: »Der Kampf für verdichtete Unterschiedlichkeit als Allmende, als Gemeineigentum aller Städter: Das ist das Recht auf Stadt, das die lokalen Bewegungen verbinden kann.« (108) Doch ebenso dilemmatisch wie der Enteignungsprozess ist auch der Widerstand: »Wie soll man etwas bekämpfen, das man doch selbst produziert?« (5) Eine Antwort findet er in der Selbstorganisierung jener umworbenen ›kreativen Klasse‹, die um Initiativen wie das Hamburger Gängeviertel zu einer »unübersichtlichen Multitude« zusammen komme, »die neue Strategien erprobt und neue politische Spielräume jenseits von kulissenhafter Anwohnerbeteiligung und linksradikalem Purismus eröffnet« (7). Die Besetzung des Gängeviertels, der Verf. zwei der sieben Kapitel widmet, zeige, dass »die Verbindung von quasibürgerlichem Auftreten und praktischer Aneignung jenseits von Recht und Gesetz« ein »neues politisches Terrain« (81) erschlossen habe, auf dem auch das »bürgerliche Spektrum« (80) erreicht und der öffentliche Diskurs über Stadtentwicklung geprägt werden konnte. »Schwieriger ist der nächste Schritt: die Eigentumsfrage« (107), denn in den Verhandlungen mit der Stadt stünden die Besetzer/innen vor einem neuen Dilemma: »Das Gängeviertel muss sich institutionalisieren, um das eigene Überleben und das der Häuser zu sichern. Gleichzeitig muss es gegen die institutionelle Erstarrung arbeiten, um ein Raum der Möglichkeiten bleiben zu können.« (88) Ein Dilemma, das – nebenbei gesagt – nicht neu ist; die legalisierten Hausprojekte der 1980er und 90er Jahre standen vor dem gleichen Problem. Dass es hierfür keine Lösung gibt, liegt jedoch in der Natur der Sache bzw. muss von den Betroffenen immer wieder neu austariert werden.

Die Besetzer/innen des Gängeviertels, die Autor/innen des Manifests »Not In Our Name, Marke Hamburg« und die Initiator/innen anderer politisch-künstlerischer Aktionen gegen das »Unternehmen Stadt« sind Akteure eines – und das analysiert Verf. glänzend – »Streiks der Gentrifi zierer« (106). Sie versuchten sich an Auswegen aus dem »Pionierdilemma« und gleichzeitig an der Wiedereroberung jener »Nischen«, die Urbanität ausmachten. Das ist schon viel. Doch Verf. selbst ist sich bewusst, dass die Schwierigkeiten hier erst anfangen. Denn Urbanität als »verdichtete Unterschiedlichkeit«, als »gesellschaftliches Produkt individueller Aneignungen« (108) sei nicht für jede/n verfügbar: »Die konkrete Utopie selbstbestimmten, kollektiven Lebens zu günstigen Konditionen, die man gemeinsam dem Markt abtrotzt, ist bislang ein Aneignungsmodell für die Chosen Few eines linken Bildungsmilieus.« (111f) Verf. hat nicht die Illusion, diese »konkreten Utopien« seien schon an sich der Ausstieg aus einer profi torientierten und segregierten Stadt, denn dieser sei »ohne eine Vergesellschaftung des sozialen Mehrprodukts nicht zu haben« (114). Doch er greift zu kurz, wenn er seine Hoffnungen in eine »anstiftende Funktion« setzt, die Räume wie das Gängeviertel zu »Antigentrifizierungsmaschinen auf dem Weg zu einer Stadt für alle« (112) machten. Denn das Gängeviertel ist nicht nur ein Symbol für einen neu erwachten stadtpolitischen Widerstand. Es ist auch ein Symbol für die subkulturelle Exklusivität einer Szene, die von weißen, gut ausgebildeten Mittelschichtsaktivist/innen dominiert wird. Die mehrheitlich von Gentrifi zierung Betroffenen, die einkommensschwachen Bewohner/innen oft migrantischen Hintergrunds, werden von solchen Projekten kaum erreicht. Mit seiner Behauptung eines Domino-Effekts emanzipatorischer urbaner Nischen weicht Verf. dem zentralen Problem heutiger städtischer Bewegungen aus: Wie kann es gelingen, eine Bewegung zu formen, die den Protest und die Interessen sowohl der mittellosen ›Kreativen‹ und studentischen Aktvisit/innen als auch der lokal Betroffenen einschließt? Dennoch: Gerade durch seine plastischen und pointierten Beschreibungen konkreter Betroffenheiten ist es ein aufrüttelndes Buch, dass dem Thema Gentrifizierung jene Abstraktion nimmt, die es in der akademischen Debatte leider oft hat. So kann Verf. zeigen, was Gentrifizierung im Kern ist: politisch gewollter »Klassenkampf von oben« (102).
Armin Kuhn

Quelle: Das Argument, 52. Jahrgang, 2010, S. 910-912

 

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