Andrej Holm: Wir Bleiben Alle! Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung. Münster 2010. 80 S.
An akademischen Studien und Medienberichten zu umstrittenen städtischen Aufwertungsprozessen besteht auch in Deutschland kein Mangel mehr. Was den vorliegenden Band von den meisten Publikationen zum Thema jedoch unterscheidet, ist die spezifische Perspektive des Autors, die umfassendes Fachwissen mit jahrelangen Erfahrungen in stadtpolitischen Initiativen und sozialen Bewegungen verknüpft.
Es handelt sich um keinen akademischen Text, sondern um ein Buch, das sich an alle richtet, »die sich grundlegend mit Fragen der Aufwertung und Verdrängung im Kontext der Stadtentwicklung auseinandersetzen wollen, die verstehen wollen, warum ihre Miete schon wieder gestiegen ist oder nach Anregungen für die nächste Aktion der gerade gegründeten Stadtteilgruppe suchen« (5f). Besonders gewinnbringend v.a. für diejenigen, die eher über wenig Vorwissen verfügen, sind die ersten drei Kapitel, die differenziert Forschungsergebnisse und Theorien zu Gentrifi zierungsprozessen zusammenfassen. Das erste Kapitel hebt hervor, dass Gentrifi zierung zwar einen weltweiten Trend darstellt, die »Praxis der Aufwertung« jedoch »sehr verschiedene Gesichter« annehmen kann (8): Gentrifi zierung innerstädtischer Altbauquartiere, gekennzeichnet durch symbolische Aufwertung, Inwertsetzung und massive Verdrängung einkommensschwacher Bewohner/innen; öffentlich geförderte Gentrifi zierung in Sanierungsgebieten; Gentrifi zierung durch neu gebaute Luxuswohnungen oder Bürokomplexe; sowie »Gentrifi cation light«, die kleinteilige Aufwertungs- und soziale Polarisierungsprozesse nach sich zieht, aber nicht unbedingt zu einer fl ächendeckenden Vertreibung von alteingesessenen Mieter/innen und linken bzw. subkulturellen Projekten führen muss (wie z.B. in Stadtteilen St. Pauli in Hamburg und Kreuzberg in Berlin).
Im zweiten Kapitel diskutiert Verf. verschiedene sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze. Nachfrageorientierte, soziologische Arbeiten sehen die Ursachen für Gentrifi zierung v.a. in sich wandelnden Wohnpräferenzen und Konsummustern der ›neuen‹ Mittelschichten, während angebotsorientierte Ansätze aus der kritischen Geographie sie als Ausdruck veränderter Investitionsstrategien und -zyklen analysieren. Verf. bezieht sich hier auf us-amerikanische Autoren wie David Harvey, Peter Marcuse und Neil Smith, die die zentrale Bedeutung des innerstädtischen Immobilienmarktes im gegenwärtigen (krisenhaften) kapitalistischen Verwertungsprozess betonen.
Das dritte Kapitel ist der unter ›Linksradikalen‹ besonders beliebten Argumentation gewidmet, Studierende, Künstler/innen und ›Kreative‹ seien die ursprünglich Schuldigen, weil sie durch ihre diversen (sub-)kulturellen Aktivitäten Quartiere, die zuvor als gefährlich oder unattraktiv galten, für die ›eigentlichen‹ Gentrifi er (eigentumsorientierte Mittelschichten und Akteure der Immobilienwirtschaft) erst erschließen. Die Konzentration auf die oftmals mittellosen ›Kreativen‹ als Vorreiter der Aufwertung sei zu »kurz gegriffen« (30). Dennoch warnt auch Verf. vor staatlichen Vereinnahmungsstrategien gegenüber (ehemals) subversiven Szenen, wie sie in Amsterdam, Berlin oder ganz aktuell in Hamburg zu beobachten sind – wo »der internationale Creative-City-Papst Richard Florida sogar vorgeschlagen hat, das [von Künstlern besetzte und nach Eingeständnissen der Stadt nun von ihnen verwaltete] Gängeviertel zum globalen Modell der Förderung einer kreativen Klasse zu erheben« (36).
In diesem und im letzten Kapitel handelt Verf. die für Linke meist entscheidende Frage ab: Was tun? Seine Antworten könnten zumindest für zwei Gruppen potenzieller Leser/innen ein wenig enttäuschend sein: für diejenigen, die sich von dem Buch tatsächlich Anregungen für konkrete Aktionen erhofft hatten – wie in der Einleitung versprochen –, und für diejenigen, die sich eine systematischere Refl exion historischer sowie aktueller nationaler und internationaler Anti-Gentrifi zierungs-Kampagnen und Strategien gewünscht hätten. Die Rezensentin gehört – nicht zuletzt aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und einer akademischen Nähe zum Thema – eher zur zweiten Kategorie und somit wahrscheinlich nicht zur eigentlichen Zielgruppe des Buches. Und doch ist zu fragen, ob sich aus der jahrelangen Beteiligung an und Beschäftigung mit Protest- und Widerstandsbewegungen gegen unternehmerische Stadtpolitiken nicht eindeutigere Schlussfolgerungen ziehen lassen, was ihre Erfolge und Potenziale sowie ihre Misserfolge und ihre Grenzen angeht, einschließlich der in ihnen ausgetragenen Kontroversen. Einiges hierzu wird angerissen. So betont Verf. die Notwendigkeit möglichst breiter Oppositionsbündnisse (als positives Beispiel nennt er das Hamburger Netzwerk ›Recht auf Stadt‹), die über das linksradikale und subkulturelle Milieu hinausreichen und sich wieder stärker an sozioökonomischen Fragen der Stadtentwicklung orientieren. Darüber hinaus führt er kursorisch einige weitere Beispiele gelungener Mobilisierungen in anderen Städten und Ländern (USA, Frankreich, Spanien) an, ohne jedoch auf die diversen Konfl ikte und Schwierigkeiten einzugehen, die mit solchen ›breiten Bündnissen‹ und den dort vertretenen unterschiedlichen Interessen oftmals verbunden sind. Doch vielleicht ist solch eine Auswertung verschiedener Bewegungs- und Kampagnenerfahrungen ein Projekt, das erstens mehr Zeit benötigt und zweitens nur kollektiv bewältigt werden kann.
Britta Grell
Quelle: Das Argument, 52. Jahrgang, 2010, S. 909-910
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