Katrin Sandfuchs: Wohnen in der Stadt. Bewohnerstrukturen, Nachbarschaften und Motive der Wohnstandortwahl in innenstadtnahen Neubaugebieten Hannovers. Kiel (Kieler Geographische Schriften 120) 2009. 282 S.

In den letzten Jahren ist – sowohl in den Medien als auch in der Fachliteratur – viel von einer neuen Attraktivität der Städte als Wohnorte nicht nur für Dinks und Yuppies, sondern auch für Familien und ältere Menschen die Rede. Katrin Sandfuchs leistet mit ihrer Dissertation einen Beitrag zu dieser Reurbanisierungsdebatte, indem sie nach gesellschaftlichen Veränderungsprozessen fragt, „die bewirken, dass Teile ‚klassischer Suburbaniten' das städtische Wohnen gegenüber randstädtischen oder ländlichen Wohnstandorten präferieren und bewusst diesen Wohnstandort aufgrund bestimmter Vorteile wählen" (S. 89).

Sie wird dabei geleitet von der Hypothese, dass der soziale Wandel in Deutschland neue Lebens- und Haushaltsformen hervorbringt, die urbane Qualitäten verstärkt nachfragen.

Das Buch kann in drei Teile untergliedert werden: die theoretische Fundierung, die Methodik und die Ergebnisdarstellung. Zunächst setzt sich Katrin Sandfuchs mit den Grundlagen ihrer Hypothese auseinander und stellt theoretische Ansätze und empirische Studien zum sozialen Wandel in Deutschland dar. In einem zweiten theoretischen Kapitel beschäftigt sie sich mit dem Begriff der Urbanität und sucht schließlich nach den Gründen für eine Renaissance des urbanen Lebens. Auf dieser Basis stellt Katrin Sandfuchs die Ziele und die Methodik ihrer eigenen Empirie dar, in der sie die Bevölkerungsstruktur innerstädtischer Neubaugebiete analysiert und nach den Motiven für die innenstadtnahe Wohnstandortwahl fragt. Für die empirische Studie werden elf Neubaugebiete in der Stadt Hannover ausgewählt, deren „Kurzcharakterisierung" (S. 100) aus Sicht des ortsfremden Lesers recht detailliert ausfällt. In den Untersuchungsgebieten führt Katrin Sandfuchs eine schriftliche Befragung durch, an der insgesamt 356 Haushalte teilnehmen. Davon beteiligen sich 32 Haushalte zusätzlich an leitfadengestützten Interviews. Darüber hinaus führt Katrin Sandfuchs 15 Gespräche mit Vertretern von Stadt und Bauträgerschaft, welche im Wesentlichen Informationen über die Untersuchungsgebiete liefern.

Schließlich widmet sich Katrin Sandfuchs in drei Kapiteln der Darstellung ihrer Untersuchungsergebnisse, die in einem abschließenden Kapitel zusammengefasst und diskutiert werden. In einem ersten Ergebniskapitel setzt sie sich wiederum sehr ausführlich mit der Bewohnerstruktur in ihren Untersuchungsgebieten auseinander. Dabei ist die Detailliertheit der Darstellung zum Teil nicht sinnvoll. So beziehen sich die Prozentwerte z.B. zu den Altersgruppen in Tabelle 8 auf äußerst geringe Fallzahlen, die eine weitere Interpretation fragwürdig erscheinen lassen. Hier wäre eine Zusammenfassung zu Gebietstypen hilfreich gewesen. Die Ergebnisse zeigen, dass neue Haushaltsformen wie nicht-eheliche Partnerschaften mit Kindern im Haushalt unterrepräsentiert sind und stattdessen auch in den jüngeren Altersgruppen konventionelle eheliche Gemeinschaften dominieren. Auffällig ist jedoch der hohe Bildungsstand der Befragten und die überdurchschnittliche Frauen- und Müttererwerbstätigkeit im Untersuchungsgebiet im
Vergleich zum Mikrozensus. Sandfuchs schließt daraus, dass innenstadtnahe Wohnstandorte gute Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten. Über die Darstellung der demographischen und sozioökonomischen Merkmale hinaus bildet Katrin Sandfuchs Lebensstilgruppen auf der Basis des expressiven, interaktiven und evaluativen Verhaltens der Befragten. Ziel ist zu ermitteln, ob ihre Untersuchungsgebiete auf bestimmte Lebensstiltypen eine besondere Anziehungskraft ausüben. Anders als zunächst erwartet zeigt die Mehrheit der befragten Bewohner jedoch keine auf Konsum und Freizeit ausgerichtete Lebenseinstellung. Die Aktivitätsmuster der Befragten begründen in dieser Hinsicht nicht die Wahl des innenstadtnahen Wohnstandortes.

Das zweite Ergebniskapitel widmet sich den Nachbarschaftsbeziehungen in Neubaugebieten und der Wohnzufriedenheit. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Gebäudestruktur im Quartier. Im Geschosswohnungsbau sind Nachbarschaftsverhältnisse durch eine größere Anonymität geprägt als in den Einfamilienhausgebieten, deren Nachbarschaften die Autorin als städtisch-suburban kennzeichnet. Bei den Zufriedenheitswerten sind dagegen keine Unterschiede zwischen den Wohnformen erkennbar.

Im dritten Ergebniskapitel schließlich werden die Motive der Befragten für die Wahl eines innenstadtnahen Wohnstandortes dargestellt. Als entscheidend erweisen sich die kurzen Wege, die mit diesem Standort einhergehen. Aspekte der Alltagsorganisation und der Zeitersparnis werden von allen Altersgruppen genannt. Die Haushalte, die Beruf und Familie vereinbaren, profitieren jedoch besonders stark von kurzen Wegen, da sie über ein ausgesprochen knappes Zeitbudget verfügen. Ein weiteres Motiv ist das vielfältige Angebot an Infrastruktur und Freizeitaktivitäten in der Innenstadt. Dabei wird die Vielfalt des Angebots im Alltag häufig gar nicht genutzt, allein zu wissen, dass es die Möglichkeit für spontane Aktivitäten gibt, vermittelt ein positives Lebensgefühl. Darüber hinaus bezieht sich urbane Vielfalt auch auf die Mischung verschiedener Bevölkerungsgruppen, die einer sozialen und demographischen Homogenität suburbaner Wohnstandorte gegenübergestellt wird. Für einzelne  Gruppen, wie Singles, ist dies ein Motiv, nicht in den suburbanen Raum zu ziehen.

Auf der Basis ihrer empirischen Untersuchung kommt Katrin Sandfuchs zu dem Ergebnis, „dass aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen die Möglichkeit besteht, dass zukünftig verstärkt städtische und speziell innenstadtnahe Wohnstandorte nachgefragt werden könnten" (S. 245). Dabei bezieht sie sich zum ersten auf eine veränderte Arbeitsteilung innerhalb der Haushalte. Innenstadtnahe Wohnstandorte bieten die Möglichkeiten einer optimierten Alltagsorganisation, von denen insbesondere Doppelverdienerhaushalte mit Kindern profitieren. Finden sie in diesen Lagen Angebote, die an ihren Bedürfnissen ausgerichtet sind – häufig werden ausschließlich Einfamilienhäuser nachgefragt –, erleichtert dieser Wohnstandort eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gleichzeitig eröffnet das doppelte Einkommen die Möglichkeit im städtischen Raum in einem Einfamilienhaus zu leben. Zum zweiten stehen die gesellschaftlichen Veränderungen in einem Zusammenhang mit dem demographischen Wandel. Dies betrifft die Zunahme des Anteils älterer Menschen. So ist die Generation 50+ im Vergleich zum städtischen Mittel in Hannover überdurchschnittlich stark in den Untersuchungsgebieten vertreten. Außerdem erwarten einige Gesprächspartner eine Verschlechterung der Infrastrukturausstattung im Umland als Folge des demographischen Wandels, was städtische Wohnstandorte zusätzlich aufwertet.

Die Auseinandersetzung mit den Bewohnern von Neubaugebieten in Innenstadtnähe und ihren Zuzugsmotiven fordert immer wieder einen Vergleich mit dem Leben an suburbanen Wohnstandorten heraus. Die Konzeption der Untersuchung, die sich bewusst auf urbane Quartiere konzentriert, bedingt, dass ein solcher Vergleich nicht vertieft werden kann. Berücksichtigt man die hohen Grundstückspreise in der Kernstadt, stellt sich aber die Frage, inwiefern die Wahl innenstadtnaher Wohnstandorte ein Privileg wohlhabender Haushalte darstellt und die Wahl suburbaner Wohnstandorte eine Folge beschränkter finanzieller Ressourcen ist. Hier wäre eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Einkommensverhältnissen der Befragten wünschenswert gewesen. Unter welchen Bedingungen etwa wird trotz finanzieller Restriktionen ein zentraler Wohnstandort gewählt? So bleiben – wie immer – noch viele spannende Fragen offen. Nichtsdestotrotz ist die Arbeit von Katrin Sandfuchs nicht nur für Geographen und Raumplaner, die sich mit Themen der Wohnstandortwahl und Reurbanisierungstrends auseinandersetzen, eine empfehlenswerte Lektüre. Sie vermittelt auch kommunalen Entscheidungsträgern, die sich mit Einfamilienhausstandorten in innerstädtischen Lagen beschäftigen, Hinweise auf die Struktur und die Bedürfnisse ihrer potenziellen Zielgruppen.

Stefanie Föbker

Quelle: Erdkunde, 64. Jahrgang, 2010, Heft 2

 

 

 

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