Gerulf Augustin: Gruß aus Deutsch-Südwest, Ansichtskarten erzählen – Ein Bild-Lesebuch. Halle 2009. 118 S.
Dieser Band präsentiert die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia auf eine andere Weise als mittlerweile zahlreiche andere Publikationen. Der Autor lässt zeitgenössische Postkarten sprechen; er hat aus seinem Fundus von 300 Ansichtskarten 150 ausgewählt, die in der Zeit von 1899 bis 1914 fotografiert, gedruckt und geschrieben wurden. Diese Dokumente der Zeitgeschichte ergänzt er durch Auszüge von Reiseberichten, Büchern und Schriften aus dieser Epoche, um dem Leser ein möglichst umfangreiches Bild des herrschenden Zeitgeistes zu vermitteln.
Gleichzeitig erläutert er die Geschichte der Post- und Ansichtskarte und ihre Rolle in der Kommunikation aus den Kolonien mit dem Mutterland: von der „Correspondence-Karte“ zur „Bildpostkarte“. Die Motive der Ansichtskarten zeichnen die Entwicklung der Kolonie wider – alles natürlich nur aus Sicht und vor dem Hintergrund der Werteordnung der Kolonialherren – und zeigen, wie die Einwanderer die „Fremden“ wahrnahmen. Waren es zunächst Landschaftsaufnahmen, die verkauft wurden, so kamen später auch Fotografien der kolonialen Errungenschaften – wie Eisenbahnbau und Infrastruktur sowie Verwaltungs- und Schulbauten – hinzu. Auch das Leben der Schutztruppler und das der „Eingeborenen“ wurden für die Übermittlung von Grüßen im Bild festgehalten. Insbesondere die Ablichtungen der „Eingeborenen“ machen die Einstellungen der europäischen Einwanderer und ihre Wahrnehmungen deutlich. Die Art und Weise dieser Fotos mit ihren Aufschriften geben nicht zuletzt Zeugnis des damaligen state of the art in den Kolonialwissenschaften, wie zu dieser Zeit das heutige Fach Ethnologie vielsagend genannt wurde. Fotos und Titel dazu sind teilweise an Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Die Präsentation der 150 Ansichtskarten ist thematisch nach den Bereichen gegliedert, wie sie in etwa der Entwicklung der Berichterstattung aus Afrika entspricht. Die Ansichtskarten erzählen der Reihe nach zunächst von den allg. Grüßen, danach „Neger – Kaffer – Kanaken“, Tiere und Pflanzen, Kolonisten, Landschaften und Städte, Wirtschaft, Landwirtschaft, Jugenderinnerungen sowie Widerstand – Krieg – Völkermord. Dabei handelt es sich z.B. bei Landschaften nicht um bloße Aufnahmen der neuartigen Gegend, sondern auch um Darstellungen von Infrastrukturanlagen – wie Häfen, Straßen, Eisenbahnen usw. – also von kolonialen Meisterleistungen. Im Kapitel Widerstand, Krieg und Völkermord erzählen die Karten folgerichtig nicht vom Verbrechen der Deutschen an den Hereros und den anderen Gräueltaten, sondern stellen die heldenhafte Kriegsberichterstattung des Kaiserreiches in den Vordergrund. Zu guter Letzt rundet der Autor die Postkartenparade mit drei Ausblicken ab: 30 Jahre danach, 100 Jahre danach sowie 100 Jahre danach in Deutschland.
Zur historischen Einordnung ergänzt er die Postkartengalerie durch eine Zeittafel. Bildnachweise und Literaturangeben beinhalten auch die zeitgenössischen Posttarife.
Der Platz auf Postkarten reicht bekanntermaßen nicht aus für ausführliche Berichte aus den Kolonien, um die Errungenschaften und Leistungen der deutschen Verwaltung und der Schutztruppe – und die eigenen – gebührend zu preisen. Deshalb kommt der Message, die durch die Kartenmotive überbracht wird, eine besondere Bedeutung zu. Sie ist nicht immer als eine reine Ergänzung zur knappen Grußbotschaft an die Lieben zu Hause zu verstehen. Teilweise verbreiten die Darstellungen auf den Fotos unbewusst die damals herrschende Werteordnung und untermauern sie damit kräftig. Die Postkarten sind deshalb weit mehr als ein Kommunikationsmittel, um Grüße in die Heimat zu schicken. Neben den Erfolgsmeldungen der tapferen Eroberer hatten auch die Motive durch ihre Botschaft eine politische Funktion. Die Auswahl und die Vermarktung der Fotos waren nicht zufällig, sondern sie wurden von der Kolonialverwaltung gefördert.
Die Darstellung der Postkarten in diesem Band besticht durch die brillante Druckqualität, die insofern überrascht, weil es sich um historische Aufnahmen aus einer Zeit handelt, in der die Fotografi e noch in den Kinderschuhen steckte. Der Informationsgehalt und die Lesefreundlichkeit werden dadurch gesteigert, dass alle Bildunterschriften und die handschriftlichen Texte neben den Postkarten abgedruckt sind. Dort, wo nach Einschätzung des Autors der Postkartengruß nicht als Information der Situation oder Zusammenhänge ausreichte, ergänzte er die Passage mit entsprechenden Ausschnitten aus anderen zeitgenössischen Quellen, vor allem Reiseberichten oder Tagebüchern von Schutztrupplern.
Er beabsichtigt mit dieser Publikation keine Analyse der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia. Die Form der Präsentation und die ergänzenden Texte sollen bewusst „nur“ dokumentieren. Aber sie sollen auch zum weiteren kritischen Nachdenken und zu einer eigenen Analyse über die deutsche Vergangenheit in Namibia anregen. Durch die Form der Präsentation ist dies zweifellos gelungen. Vor allem das abschließende Kapitel zum Rückblick weist deutlich in diese Richtung. Die andere Art, die ansprechende Aufmachung, die interessanten Bilder und nicht zuletzt die gute Reproduktionsqualität regen zur Lektüre und inhaltlichen Auseinandersetzung an.
Theo Mutter
Quelle: Peripherie, 30. Jahrgang, 2010, Heft 120, S. 516-518
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