Tidiane N'Diaye: Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels. Hamburg 2010. 251 S.

Nach Meinung des französisch-senegalesischen Anthropologen und Wirtschaftswissenschaftlers N'Diaye seien dem muslimischen Geschichtsverständnis beträchtliche Tendenzen der Romantisierung, Beschönigung und Verdrängung immanent. Diesen möchte Verf. mit einem Thema entgegenwirken, das dort entweder in mildem Licht dargestellt oder übergangen wird: die Sklaverei im Islam.

Während der transatlantische Sklavenhandel bereits relativ breit erforscht ist, trifft dies auf den orientalischen so nicht zu, obwohl dieser ersterem im Ausmaß nicht zurücksteht: Zwischen dem 7. und 20. Jh. könnten sehr grob geschätzt 17 Millionen Afrikaner diesem Menschenhandel zum Opfer gefallen sein. Dies entspräche etwa 40% der als Gesamtzahl angenommen 42 Milionen afrikanischen Deportierten, möglicherweise liegen die Opferzahlen sogar noch höher.

Der verschleierte Völkermord ist eine emotionale Anklage und Erinnerungsschrift wider das Vergessen, der Verdrängung und der Relativierung des muslimisch geprägten Sklavenhandels in Afrika. Diesem ›arabomuslimischen‹ Sklavenhandel geht Verf. unter den erschwerten Bedingungen einer dürftigen Quellenlage nach. Er verfolgt dabei die Intention, dem Leser die Brutalität dieses Systems, die Qualen der Opfer und die darausresultierende Ausbeutung des afrikanischen Kontinents vorzuführen. Eine Reihe von Schwächen schadet dabei dem Anliegen des Buches. Verf. versucht bspw., den Rassismus in der mittelalterlichen arabisch-muslimischen Kultur anhand weniger, unsystematisch ausgewählter Zitate aus den Werken bekannter muslimischer Denker nachzuweisen. Die soziokulturelle Begründung der Kastrationspraxis (Eunuchen, Haremswächter) wird mit einem Zitat aus dem Anfang von Tausendundeiner Nacht veranschaulicht. Zwar verfügt das Buch über ein Literaturverzeichnis, doch die Argumentation des Autors wird nicht mit Quellenangaben belegt; stattdessen findet man Formulierungen wie "einige Historiker sagen", "unzählige Autoren versteifen sich" oder "ein Beobachter vermerkt". Die unkritische Übernahme von Berichten zumeist westlicher aber auch muslimischer Afrika-Reisender ebenso wie mündlich tradierte Geschichten afrikanischer Griots, Wandersänger, ist das zentrale Element seiner Beweisführung. Verf. verklärt - im Kontrast zu seiner kritischen Haltung gegenüber der arabisch-muslimischen Geschichte - die eigene afrikanische Kultur und Geschichte: "Betrachteten die Afrikaner von den Gebirgswipfeln aus den prächtigen Himmel, so dachten sie, das Ende der Welt und den Beginn der Ewigkeit zu erleben (...) Der Afrikaner lebte in dieser Raum-Zeit Beziehung in Symbiose mit seiner Umwelt" (69). Zudem beschönigt er die endemische Sklaverei. So wird von exzessiven Sklavenermordungen an einem afrikanischen Königshof des 19. Jh. berichtet, dass "der Monarch am Hofe von Mteza aus einer einfachen Laune heraus einige hundert Sklaven köpfen ließ" (37) und sogleich darauf hingewiesen, dass dies Ausnahmen gewesen seien. Das Dasein der afrikanischen Sklaven sei in keiner Weise mit dem auf muslimischem Boden oder in der Neuen Welt versklavten Afrikaner vergleichbar gewesen, weil erstere eine eher milde Form der Leibeigenschaft für Haus- und Feldarbeit dargestellt habe und der Sklave in den Haushalt und die Familie seines Herrn integriert gewesen sei. Diese Denkfigur erscheint umso bedenklicher, weil eine ähnliche Argumentation auch von muslimischer Seite verwandt wird, um die islamische gegenüber der transatlantischen Form der Sklaverei zu unterscheiden. Verf. vermeidet eine grundlegende Islam-Kritik und somit das Ausufern einer berechtigten Anklageschrift zu einer polemischen Provokation. Der Exkurs zum afrikanisch-islamischen Widerstand gegen die Sklaverei mit bewundernden Ausführungenzu dem bekannten senegalesischen Mystiker, Reformer und Pazifisten Ahmadou Bamba ist ein Beispiel dafür (115ff). Im Kontrast zu den muslimischen Grausamkeiten verweist er auf die überlieferten Aussagen Mohammeds zur menschenwürdigen Behandlung von Sklaven. Verf. zitiert fragmentarisch und ohne Quellenangabe eine Überlieferung, dass "der schlimmste Mensch derjenige ist, der andere Menschen verkauft" (58). Eine von der Tradition als authentisch erachtete Überlieferung aus dem Koran wäre stattdessen: "Eure Sklaven sind eure Brüder! Allah hat euch die Oberhand über sie gegeben. Wer dann die Oberhand über seinen Bruder hat, der soll ihm etwas zu essen geben, von dem er selbst isst, und ihm als Kleidung geben, von der er sich selbst kleidet. Traget ihnen nicht das auf, was über ihre Kraft hinaus geht und wenn ihr ihnen etwas auftraget, das über ihre Kraft hinaus geht, so helft ihnen dabei!" Solche Überlieferungen wurden gemeinhin allerdings nicht als Argumente gegen Sklaverei sondern eher als deren religiöse Legitimierung verwendet.

Der Versuch, die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels von den Anfängen des Islam bis in das 20. Jh. zu erfassen, scheitert letztlich an der unsystematischen Aufarbeitung des Themas: Verf. springt von einem Gedanken, einer Epoche, einem Land, einer Kultur usw. zur nächsten. Dabei sind auf der Darstellungsebene das 18. und 19. Jh. (durch die unterschiedliche Quellenlage) stark überrepräsentiert; zugleich werden diese jedoch für alle vorangegangenen Jahrhunderte als verallgemeinernd angeführt. Dies widerspricht der allgemein anerkannten Sicht, dass der orientalische Sklavenhandel bereits im 18. Jh. seinen Höhepunkt erlebte. Die dürftige Quellenlage und seine ähnliche Aufbereitung versucht Verf. durch einen emotionalen Sprachstil zu kompensieren, mit sich wiederholenden Phrasen, welche die Grausamkeit und das Leid des Geschehenen vermitteln sollen: "Die arabische Eroberung stürzte diesen Kontinent und seine alten Kulturen durch die blutigen Plünderungen, Massaker, Großfeuer und Verwüstungen in die Finsternis und führte zur Entvölkerung und Unfruchtbarkeit dieser an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Palmen so reichen Erde." (74) Positiv zu erwähnen bleibt, dass die muslimische Sklaverei durch N'Diaye einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird. Sein Verdienst ist es, trotz aller Kritik eine berührende Anklageschrift verfasst zu haben. Für eine ernsthafte Aufbereitung sind jedoch weitere Forschungsanstrengungen vonnöten.
Sebastian Kocaman (Hamburg)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 159-161

 

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