Samuel Mössner: Integrierte Stadtentwicklungsprogramme – eine „Vertrauenskonstellation“. Beispiele aus Frankfurt a.M. und Mailand. Kiel (Kieler Geographische Schriften 122) 2010. 202 S.
Integrierte Stadtentwicklung ist seit geraumer Zeit wieder en vogue – zwar nicht mehr in Form ressortübergreifender kommunaler Gesamtplanung wie zu Zeiten wohlfahrtsstaatlicher Planungseuphorie, aber als Ansatz der räumlichen Entwicklung, der in der Regel auf der Ebene von städtischen („Problem“-) Quartieren ‚sozialräumliche‘ Benachteiligungen lindern soll.
Samuel Mössner beschäftigt sich in seiner Dissertation mit quartiersbezogenen Integrierten Stadtentwicklungsprogrammen und schenkt dabei der Bedeutung des Phänomens des Vertrauens (zwischen Personen, aber auch in Institutionen) besondere Aufmerksamkeit. Dies ist ein verdienstvolles Unterfangen, denn auch bei der quartiersbezogenen, eher kleinräumig ausgerichteten Integrierten Stadtentwicklung der Gegenwart handelt es sich um einen überaus voraussetzungsvollen Ansatz, was häufig nicht ausreichend beachtet wird. Samuel Mössner unterscheidet zunächst grundsätzlich zwischen „materiellen“ und „prozessbezogenen“ Politik- und Planungszielen. So besteht ein wesentliches „materielles“ Ziel Integrierter Stadtentwicklung beispielsweise darin, nachbarschaftliche Gemeinschaften zu stärken – und mit Blick auf dieses Ziel wäre es zweifelsohne lohnend zu prüfen, inwieweit Stadtentwicklungsprogramme in der Lage sind, das gegenseitige Vertrauen der Bewohnerinnen und Bewohner in den geförderten Gebieten zu stärken. Mössners Interesse richtet sich allerdings ausschließlich auf die Bedeutung des Phänomens des Vertrauens im Zusammenhang mit den „prozessbezogenen“ Zielen Integrierter Stadtentwicklung – allen voran der Herausbildung kooperativer, ressortübergreifender Akteursstrukturen. Im Anschluss an eine überblickgebende Einleitung (Kap. 1) diskutiert Mössner seine Thematik zunächst auf der Basis eines knapp 70-seitigen Literaturüberblicks (Kap. 2-3). Hierbei wird erkennbar, wie vielfältig die theoretischen Bezüge sind, die sich zwischen Integrierten Stadtentwicklungsprogrammen und Schlüsselbegriffen der sozial- und raumwissenschaftlichen Theoriebildung herstellen lassen. So werden insbesondere die Konzepte der sozialen Exklusion, der Sozialraumorientierung (in der sozialen Arbeit), der Institution bzw. des Neo-Institutionalismus, der Governance sowie des Vertrauens aufgegriffen, und der Autor ist bemüht, eine Schneise durch die jüngeren sozialwissenschaftlichen Diskurse rund um diese Begriffe zu schlagen. Nach der Konkretisierung der Vorgehensweise (Kap. 4) werden sodann auf rund 80 Seiten die empirischen Ergebnisse aus Frankfurt am Main und Mailand dargestellt (Kap. 5-7). Dieser Teil des Buchs ist auch ohne die vorangehende theoretische Rahmung weitgehend nachvollziehbar (zumal vieles von dem, was zuvor diskutiert wurde, dort gar nicht aufgegriffen wird) und mit zahlreichen Sequenzen aus den 67 vom Autor geführten Akteurs- und Experteninterviews angereichert. Auch wenn in den methodischen Ausführungen Aussagen dazu fehlen, wie die Interviews ausgewertet wurden (wodurch im Dunkeln bleibt, inwiefern die dargelegten empirischen Befunde Resultat eines wissenschaftlich kontrollierten Vorgehens sind), und auch wenn die Länge der wiedergegebenen Interviewpassagen streckenweise in einem gewissen Missverhältnis zur Knappheit der Interpretationsanstrengungen steht, so gewinnen die beiden Fallstudien durch die Reichhaltigkeit des präsentierten empirischen Materials ein hohes Maß an Plastizität und entwickeln genügend eigenlogische Kraft, um die Voraussetzungen, Dynamiken und Probleme der Implementation von Integrierten Stadtentwicklungsprogrammen greifbar zu machen. Am Ende der Arbeit steht eine kurze Schlussbetrachtung, die wesentliche Befunde rekapituliert (Kap. 8). Das Literaturverzeichnis enthält einschlägige Quellen zum Ansatz der Integrierten Stadtentwicklung und – hierin besteht ein Verdienst der Arbeit – erschließt für deutsche Leserinnen und Leser auch Schrifttum in italienischer Sprache. Die beiden Fallstudien dokumentieren, dass unterschiedliche Formen des Vertrauens eine wichtige Rolle für den Erfolg Integrierter Stadtentwicklungsprogramme spielen. Hierzu zählen insbesondere: Das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit von Akteursarrangements und informellen Regeln; die Reputation von Organisationen, die eine tragende Rolle in der Programmumsetzung übernehmen (sollen); vertrauensbasierte persönliche Beziehungen zwischen Schlüsselakteuren; das Vertrauen in die regulierende Kraft öffentlich-rechtlicher Regelwerke. Eine wesentliche Schlussfolgerung, die der Autor aus seinen empirischen Beobachtungen zieht, besagt, dass im Rahmen der Integrierten Stadtentwicklung institutionelles Vertrauen kein Substitut für personenbezogenes Vertrauen (zwischen stadtentwicklungspolitischen Schlüsselakteuren) sein kann. Vielmehr erweist sich das Institutionenvertrauen als conditio sine qua non für das Funktionieren Integrierter Stadtentwicklungsprogramme. Der Mangel an dieser Form des Vertrauens (der Italien in der Sozialkapitaldebatte der 90er Jahre immer wieder bescheinigt wurde, worauf in dem hier besprochenen Werk leider nicht eingegangen wird) ist nach Ansicht Mössners der entscheidende Grund dafür, dass die Integrierte Stadtentwicklung in Mailand weit weniger erfolgreich ist als in Frankfurt. Die Nachvollziehbarkeit der erzielten Ergebnisse wird durch begriffliche Unschärfen beeinträchtigt. Das betrifft nicht zuletzt den zentralen Begriff des Vertrauens selbst: Durch die im Rahmen der empirischen Analysen gewählten Formulierungen wird Vertrauen immer wieder als intentionaler Akt gekennzeichnet, als etwas, das in strategischer Absicht gewährt bzw. ‚empfunden‘ wird. Abgesehen davon, dass der solchermaßen angedeutete utilitaristische Vertrauensbegriff der konzeptionellen Positionierung – soweit eine solche erkennbar ist – im ersten Teil des Buchs widerspricht, erscheint er mir auch ungeeignet, um Licht in die Strukturen und Dynamiken kommunaler Politik- und Planungsarenen zu bringen. Denn diese sind üblicherweise von gewachsenen personalen Netzwerken und Verwaltungskulturen durchzogen und lassen sich – wie Samuel Mössner faktisch zeigt – kaum allein anhand einzelner ‚Vertrauensentscheidungen‘ rekonstruieren.
Henning Nuissl
Quelle: Die Erde, 142. Jahrgang, 2011, Heft 3, S. 322-323
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