Diethelm Blecking u. Gerd Dembowski (Hg.): Der Ball ist bunt. Fußball, Migration und die Vielfalt der Identitäten in Deutschland.  Frankfurt/M 2010. 304 S.

Während der DFB noch 2001 der kritischen Ausstellung Tatort Stadion über rassistische Phänomene in deutschen Fußballstadien die bereits zugesagte Unterstützung verweigert hatte, dokumentiert das Vorwort des amtierenden DFB-Präsidenten Theo Zwanziger zum vorliegenden Buch eine neue Verbandspolitik, fordert er hier doch eine Auseinandersetzung mit "Rassismus, Antisemitismus und Homophobie" (9) und macht die integrativen Qualitäten des ›Volkssports‹ Fußball stark. In dieser Hinsicht gelingt es den Herausgebern, durch knappe Überblicksdarstellungen und Interviews mit prominenten Trainern und Spielern (darunter Mirko Slomka, Patrick Owomoyela und Erdal Keser) sowie sportaffinen Wissenschaftlern (wie Detlev Claussen, Mark Terkessidis und Moshe Zimmermann) in die vielfältigen Facetten des "Kosmopolitismus" im modernen Fußball einzuführen.

 

In Deutschland wurde die Internationalisierung gerade des Profifußballs deutlich, als im Jahr 2001 mit Energie Cottbus erstmals eine Erstliga-Mannschaft ohne autochthonen deutschen Spieler den Rasen betrat. Weder werden in dem Sammelband die migrationspolitischen Spezifika innerhalb des Profisports übersehen, noch wird der Fokus nur auf den deutschen Männerfußball der oberen Ligen beschränkt: es gibt Beiträge über Migranten türkischer Herkunft im deutschen Amateurfußball, über Mädchenfußball, den Straßenfußball der sog. Bunten Ligen und die ›Flüchtigen Ballkontakte‹ von Aussiedlern oder Asylsuchenden, die sich in eigenen Mannschaften organisieren. Das Interview mit Halil Altintop, einem in Gelsenkirchen geborenen Profi, der auch A-Spieler für die türkische Nationalmannschaft ist, spiegelt die Erfahrung jener Profis wider, die nicht auf eine "nationale Identität" festgelegt werden können: "In Deutschland werde ich von vielen als Ausländer angesehen, in der türkischen Nationalmannschaft aber auch, dort haben mich Medien und Spieler lang als ›den Deutschen‹ bezeichnet, weil ich angeblich so emotionslos bin." (39) Altintop artikuliert, wie durch die gebrochenen "Identitäten" und medialen Zuschreibungen der Eigensinn besondere Bedeutung gewinnt: "Egal, ich bin der Halil, das muss reichen." (38)

Grundlegendes ist über fast vergessene Prototypen der modernen Sport-"Kosmopoliten" wie Ernst Willimowski, der für Polen und für Deutschland auflief, zu lesen. Dargestellt wird auch die Biographie von Camillo Ugi, der von 1909 bis 1912 Nationalspieler war und für einen kurzen Zeitraum in Brasilien und Frankreich seine Fußballkarriere weiterentwickeln wollte. Bernd M. Beyer gelingt ein prägnantes Porträt von Walter Bensemann, einem der jüdischen Pioniere der Fußballbewegung in Deutschland, Vereinsgründer und Aktivist und kritische Stimme des Fachorgans Kicker, das er mitgegründet hat. Beyer zeigt, wie Bensemann sein Ideal vom Fußballsport als Medium der Völkerverständigung gegen reaktionäre und deutschnationale Positionen verteidigt. Schon auf dem schweizer Internat mit der Ballbegeisterung der englischen Mitschüler konfrontiert, gehörte er zu den anglophilen jugendlichen Repräsentanten des liberalen jüdischen Bürgertums, die "English Sports" als Gegenentwurf zum Turnen propagierten, "das als Erbe von Friedrich-Ludwig Jahn nationalistisch, zu Teilen auch chauvinistisch und antisemitisch geprägt war" (228). Zur Trauerfeier von Bensemann, der 1934 im schweizer Exil gestorben ist, schickte die FIFA ihren Generalsekretär und der DFB, zu dessen Gründungsvätern er zählte: niemanden (237).

Auch Gunter Gebauer setzt auf "kosmopolitische" Perspektive des Fußballs als "ausgezeichnete Bühne", auf der die Fußballer "Repräsentanten einer neuen Art von Weltbürgertum darstellen". Der DFB könne gesellschaftspolitisch einen "Transmissionsriemen" bedeuten und zeigen, "dass Migrantenkinder die Zukunft unserer Gesellschaft, nämlich kosmopolitisch zu sein, darstellen" (46). Aber Gebauer weiß natürlich sehr gut um den Unterschied zwischen dem Einen, "der unter Existenznot seinen Dönerladen aufrecht erhalten will und sich gegen randalierende Rechtsradikale zur Wehr setzen muss" (44) und dem Anderen, dem Star aus dem Profi- und Promi-Lager: der "wird reich, er wird beschützt, und der Dönerverkäufer ist schutzlos und kann eher abstürzen" (ebd.). Gleichwohl schöpfe dieser Hoffnung daraus, dass es "einer von seinen Leuten geschafft" (45) habe. Die erfolgreichen pieler hätten dann quasi die Funktion eines "Schutzheiligen" (ebd.).

Solche Beobachtungen sowie die daraus resultierenden Widersprüche und offenen Fragen weisen ins Zentrum weiterer Debatten über Fußball, Migration und Identität. Denn im schlechten Fall blieben Fußball-Migranten "edle Wilde" mit Sonderstatus und privilegiertem Zugang zum deutschen Pass. In diesem Fall wäre der Ball auf dem Rasen zwar "bunt" - die Sport-Migranten jedoch kein verallgemeinerbares Beispiel einer modernen Einwanderungsgesellschaft. Diese Spieler wären vielmehr - um ein bekanntes Politikerwort zu paraphrasieren - "eingekaufte" Einwanderer, die "uns" nützen sollen und somit einer exklusiven Verwertungslogik unterworfen sind. Es bleibt ein kritisches Fazit: Auch aufgrund der Präsenz von Migranten im Nationaltrikot wird die Sonderrolle des "Anderen" nicht überwunden, gelten doch zum Beispiel Lukas Podolski und Miroslav Klose nicht nur in den Massenmedien noch als "unsere Polen" (Bild). Für diese Konfliktlinien zwischen Fußball und Migration schärfen die Beiträge und Interviews den Blick.
Richard Gebhardt (Aachen)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 114-116

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