Esther Baumgärtner: Lokalität und kulturelle Heterogenität. Selbstverortung und Identität in der multi-ethnischen Stadt. Bielefeld 2009. 260 S.

Die Ethnologin Esther Baumgärtner greift in ihrer Dissertation die Fragen auf, wie sich die Bewohner in einem multi-ethnischen Stadtraum mit ihrem durch Marginalisierung und Stigmatisierung gekennzeichneten Quartier auseinandersetzen und welche Strategien der Verortung im sozialen Raum der Stadt von ihnen entwickelt werden. Unter Bezug auf Ergebnisse eigener Feldforschung wird in dem Buch die Bedeutung von Lokalität, insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Formen der Produktion von lokalisierten Identitäten, behandelt. Der Ort der Untersuchung ist das Mannheimer Stadtviertel Jungbusch. Das wissenschaftliche Interesse der Autorin am Jungbusch gründet hierbei nicht auf theoretischen Vorüberlegungen, sondern ergab sich aus ihren eigenen Erfahrungen als Bewohnerin des Quartiers. Das Buch gliedert sich neben Einleitungs- und Schlussteil in acht Kapitel.

 

Im ersten Kapitel werden aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen unterschiedliche Definitions- und Entwicklungslinien von Raumkonzeptionen nachgezeichnet. Einen Ausgangspunkt bildet hierbei die Entortung von Kultur in Folge zunehmender weltweiter Migration, was schließlich auch zu einem veränderten Verständnis über die Konzeption kultureller Räume in der Wissenschaft beiträgt. Angesprochen werden transnationale und globale Räume, wobei sich die Autorin mit den Begrifflichkeiten nicht nur inhaltlich auseinandersetzt, sondern diese auch kritisch hinterfragt. Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen multi-ethnische urbane Räume. Die Autorin beschäftigt sich zunächst mit Konzepten des Kosmopolitismus, die in der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung im Hinblick auf die kulturelle Heterogenisierung der Städte angewendet werden. Weiterhin befasst sie sich aber auch mit Marginalisierungs- und Segregationsprozessen in den Städten und beschreibt anhand der Sozialraumtheorie von Bourdieu die Beziehung zwischen sozial-räumlicher Marginalität und Stigmatisierung. Anschließend gibt sie einen Überblick über verschiedene stadtentwicklungspolitische Programme im Jungbusch, mit denen eine Attraktivitäts- und Imageverbesserung des Stadtteils erreicht werden soll. In diesem Zusammenhang wird auch auf die negativen Effekte von Gentrifizierungsprozessen für ökonomisch schwache und migrantische Gruppen hingewiesen.

Eine ausführliche Abhandlung der geschichtlichen Entwicklung des Jungbusch sowie seiner Wahrnehmung im öffentlichen Diskurs findet sich im dritten Kapitel. Veranschaulicht werden die Umbrüche in der Darstellung des Stadtteils. Dabei zeichnet sich für die Autorin ein Wandel des Images "vom Paria der Stadt zum schillernden Quartier" (S.95) ab.

Der Zusammenhang zwischen Lokalität und Identität wird im vierten Kapitel mit dem Titel "Lokalität ‚revisited'" diskutiert. Die Autorin setzt sich kritisch mit verschiedenen theoretischen Konzeptionen zur Ver- und Entortung kultureller Praxen auseinander, um das Verhältnis von Lokalität und Identität zu beleuchten. Sie kommt zu dem Schluss, dass transnationale und lokale Praktiken im Alltag fließend ineinander übergehen und stellt die aus ihrer Sicht häufig in der Wissenschaft zu Grunde gelegte Gegenüberstellung von lokalisierten und delokalisierten Praxen in Frage. Das fünfte Kapitel stellt die methodische Herangehensweise vor. Um die Bedeutung von Lokalität für die Produktion lokalisierter Identitäten zu erfassen, wurde ein Mix aus verschiedenen methodischen Zugängen gewählt. Zum einen wurde eine ethnographische Forschung vor Ort durchgeführt mit teilnehmenden Beobachtungen, Interviews mit Experten und Bewohnern, wobei letztere durch gemeinsame Spaziergänge im Quartier und die Erstellung von place maps ergänzt wurden. Zum anderen wurden die öffentlichen Diskurse über den Stadtteil durch die Analyse von Berichten verschiedener Zeitungen erfasst.

Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit den verschiedenen Strategien, die im Jungbusch angewendet werden, um lokalisierte Identitäten zu produzieren. Neben den einzelnen Produktionsformen von lokalen Gemeinschaften werden auch die an diesem Prozess beteiligten Akteure herausgestellt. Dazu hat die Autorin den Begriff des spatial brokers entwickelt, unter dem sie allgemein Personen fasst, die aktiv an den Prozessen der Repräsentation des Jungbusch nach innen wie nach außen beteiligt sind.

Im folgenden Kapitel werden die Bewohner des Jungbusch und ihre Prozesse der Selbstverortung in einem marginalisierten multi-ethnischen Stadtraum in den Blick genommen. Anhand des empirischen Materials wird aufgezeigt, wie die Bewohner eigenständige Konzepte über den Stadtteil als place entwickeln. Dabei werden der persönliche Umgang der Ansässigen mit dem negativen Image des Quartiers im hegemonialen Diskurs sowie ihre jeweils eigenen Strategien, die Stigmatisierung umzudeuten, veranschaulicht.

Die kulturelle Heterogenität und die damit einhergehende Vielzahl sozio-kultureller Praxen führen jedoch auch zu Konflikten um die Aneignung von Stadtraum, die Gegenstand des achten Kapitels sind. Angesprochen werden hier ethnische, geschlechterspezifische wie auch lebensstilspezifische Raumkonflikte.

Im Schlussteil werden auf Grundlage der Forschungsergebnisse zukünftige programmatische Perspektiven sowohl auf das Quartier als auch auf weitere Forschungsschwerpunkte in multi-ethnischen Stadträumen vorgestellt. Zudem wird die Bedeutung von Lokalität und Identität in einer globalen Gegenwart reflektiert und in diesem Zusammenhang ein kritischer Blick auf den wissenschaftlichen Diskurs um Globalisierung, Diaspora und Transnationalismus geworfen. Der Autorin ist es gelungen, eine dichte Beschreibung des Alltags in einem multi-ethnischen Stadtteil in Deutschland zu geben. Gegenüber anderen Studien in diesem Themenfeld ist in der vorliegenden Arbeit der gewählte multi-ethnische Zugang hervorzuheben. Baumgärtner vermeidet es, sich auf eine bzw. einzelne ethnische Gruppe(n) zu konzentrieren. Dadurch gelingt es ihr, die Bedeutung von Lokalität für die Selbstverortung der heterogenen Bewohnerschaft in einem multi-ethnischen Stadtraum herauszuarbeiten. Für Geographen aus dem Bereich Migrations- oder Quartiersforschung stellt das Buch eine lesenswerte Lektüre dar.
Lars Wiesemann

Quelle: Erdkunde, 64. Jahrgang, 2010, Heft 2

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