Katja Werthmann: Bitteres Gold. Bergbau, Land und Geld in Westafrika. Köln 2009. 260 S.

Dass Goldbergbau zum Forschungsthema der Autorin wurde, kam „nach dem Prinzip der Serendipität zustande: zu finden, wonach man gar nicht gesucht hatte“ (23). Sie war für ein Forschungsprojekt über ein Agraransiedlungsprogramm nach Burkina Faso gekommen, als genau an dem Ort, wo sie arbeitete, ein ergiebiger Goldfund gemacht wurde, worauf binnen weniger Tage Tausende von Goldgräbern in die Gegend einfielen, schon bald eine richtige Goldgräberstadt – „eine Stadt aus Stroh“ (80) – errichteten und in handwerklichem Bergbau Gold zu fördern begannen.

Katja Werthmann nutzte die einmalige Chance, um zum einen die Auswirkungen des Goldbergbaus auf das Dorf, dem ihr ursprüngliches Forschungsprojekt gegolten hatte, zum zweiten die entstehenden sozialen und ökonomischen Strukturen in der neuen Goldgräbersiedlung und zum dritten die Entwicklung der Beziehungen zwischen Dorfbewohnern und Goldgräbern zu untersuchen.

Das Dorf war eine Neugründung im Rahmen eines in den 1970er Jahren begonnenen, international geförderten Entwicklungsprojekts (AVV) im Voltatal, durch das eine bis dahin agrarisch kaum genutzte Region für den Baumwollanbau urbar gemacht werden sollte. Die Bewohner waren etwa zur Hälfte aus dem Norden des Landes umgesiedelte Mossi-Bauern, zur anderen aus der unmittelbaren Umgebung stammende Dagara. Alle waren freiwillig gekommen und fast alle hatten zuvor schon mehrjährige Migrationserfahrungen gemacht. Mossi und Dagara lebten in getrennten Weilern, zwischen denen es zwar Konfl ikte, aber auch „ein gewisses Gemeinschaftsgefühl der ‘gens des AVV’“ (76) gab. Eine Besonderheit der Dagara war, dass sie über einen „Erdherrn“ verfügten, der zwar kein Recht auf Landvergabe (mehr) besaß, als Vermittler zwischen der Erdgottheit und den Siedlungsgemeinschaften aber bei gewissen Eingriffen in die Erde gebraucht wurde, um bestimmte Zeremonien durchzuführen, wofür er auch Opfergaben verlangen konnte – was ihm die Goldgräbergemeinschaft lange Zeit verwehrte und erst nach einem Grubenunglück zugestand.

In die unmittelbare Nachbarschaft dieses Dorfes fielen nun nach dem Goldfund die Goldgräber „wie ein Heuschreckenschwarm“ (79) ein. Anfangs entwickelte sich die Situation ähnlich wie in den klassischen Vorstellungen vom „Wilden Westen“: Eine Handvoll Outlaws errichtete eine Art Terrorherrschaft, raubte junge Goldgräber aus, vergewaltigte Mädchen und Frauen. Schlägereien und Messerstechereien waren an der Tagesordnung. Nach etwa zwei Monaten war die Situation so weit eskaliert, dass das Militär eingriff und vier der „Desperados“ erschoss. Die Polizeipräsenz wurde verstärkt, die Eingänge zu der Siedlung durch Posten kontrolliert etc. Die Situation entspannte sich, und neue, relativ stabile politische und soziale Strukturen konnten sich entwickelten. Zur wichtigsten Figur wurde der gewählte Sprecher der Goldgräber, Siid Madi. Er war selbst reicher Grubenbesitzer und beschäftigte etwa 30 Arbeiter. Gewählt wurde er, weil er bereits „der mächtigste und gefürchtetste Mann“ (119) vor Ort war und (so die Fama) jeden verprügelte, der ihn provozierte, nie log, stets hielt, was er versprach, und viele wichtige Leute kannte. Eben deshalb war er aber auch in der Lage, zwischen Goldgräbern und Dorfbewohnern zu vermitteln, Streit zwischen Grubenbesitzern und Arbeitern sowie zwischen Grubenbesitzern untereinander zu schlichten,  Prügeleien unter Goldgräbern zu beenden und auch Vertreter der Behörden, insbesondere der staatlichen Goldaufkaufsgesellschaft, in ihre Schranken zu weisen. Mit alledem trug er unbestritten zur Stabilisierung der Verhältnisse bei.

Die stabilsten Strukturen gab es offenbar im Bereich der Produktion. Der erste Schritt ist die Parzellierung des Geländes. Man markiert etwa 1 m2 Fläche und gräbt etwa einen Meter tief – dann ist der Anspruch anerkannt. Als nächstes muss man Arbeiter suchen und anheuern, die das Erdreich ausheben und hochschaffen, bis man auf die Goldader stößt – was mehrere Wochen dauern kann. Bis dahin ist der Grubenbesitzer für den Unterhalt der Arbeiter zuständig; danach werden sie nur noch in Anteilen am Produktionsergebnis entlohnt – der größte Anteil steht selbstredend dem Besitzer zu. Ist das goldhaltige Gestein nach oben gebracht, wird es in mehreren Arbeitsgängen zerkleinert. Der letzte Schritt, in dem kieselgroße Stücke zu Pulver zerstoßen werden, ist der einzige, der Frauen obliegt; sie sind auch die einzigen, die ausschließlich in Geld entlohnt werden. Das Aufkaufsmonopol für das schließlich gewonnene Gold hat die staatliche Vermarktungsgesellschaft CBMP; nach Schätzungen werden jedoch „bis zu 90 % ... schwarz verkauft“ (59).

Auch was die alltäglichen Interaktionen angeht, betont Werthmann immer wieder, dass es sich bei der Goldgräbersiedlung keineswegs um eine struktur- und regellose Ansammlung von Entwurzelten handelte. Viele der Menschen kannten sich seit Jahren, weil sie schon an anderen Fundorten zusammengetroffen waren – die Autorin spricht von „Gemeinschaften ohne Ort“, ja von „Heterotopien“ (214 ff) i.S. Michel Foucaults. Für die meisten stellt die Arbeit im Goldbergbau nur eine von mehreren möglichen Varian ten der Arbeitsmigration dar, die für viele junge Männer und Frauen auf den Dörfern einfach zu einer bestimmten Lebensphase dazugehört. Die Arbeit ist hier zwar besonders schwer und gefährlich, nach gängiger Meinung gar ohne Drogen oder Alkohol überhaupt nicht auszuhalten. Dafür verdient man aber im Schnitt bedeutend mehr als anderswo und zeigt dies auch durch demonstrativen Konsum – besonders wichtig sind Klamotten US-amerikanischer Machart, Kassetten recorder, Mofas und Alkohol. Auch wenn es häufi g Streit gibt, könnte man nach allgemeiner Überzeugung ohne Freundschaften in den Goldgräbersiedlungen nicht überleben.

Komplizierter sind die Geschlechterverhältnisse. Frauen, die im Goldbergbau arbeiten, sind deutlich in der Minderheit. Es gibt die pileuses, die den letzten Akt im Zerkleinern der Gesteinsbrocken übernehmen, und die Hangar-Betreiberinnen, die die pileuses anheuern und bezahlen. Die pileuses bleiben meist nur ein paar Tage oder Wochen, schlafen im Hangar oder dichtgedrängt unter freiem Himmel, kaufen sich am Ende von dem erlösten Geld noch vor Ort heiß begehrte Konsumgüter (Kleider vor allem), und kehren zurück in ihre Dörfer. Die Hangar-Betreiberinnen sind neben einigen Ehefrauen oder Geliebten von Goldgräbern und Betreiberinnen von Garküchen oder Schenken die einzigen Frauen, die dauerhaft in der Siedlung leben. Für sexuelle Beziehungen gilt: „Wenn ich in einem Minenort eine Frau treffe, dann geht mein Leben sie nichts an, und ihr Leben geht mich nichts an“ (191). Für Frauen, die dort leben, gilt es nicht als besonders anrüchig, sich von einem reichen Goldgräber oder Minenbesitzer aushalten zu lassen. Oft sind solche Verhältnisse nur eine von vielen Stationen ihrer Karriere, in der sie all die möglichen Frauenrollen in der Siedlung durchlaufen. Streit um Frauen bleibt dennoch eine der häufi gsten Ursachen für tätliche Auseinandersetzungen unter Männern.

Sexuelle Beziehungen zwischen Goldgräbern und Frauen des Dorfes waren auch eine Ursache für  Konflikte zwischen dem Dorf und der Goldgräbersiedlung, wenngleich keine sonderlich zentrale – „nach Ablauf eines Jahres waren sechs Mädchen und eine verheiratete Frau von Goldgräbern schwanger“ (92); zwei weitere verheiratete Frauen hatten sich mit Goldgräbern eingelassen. Im Fall der verheirateten Frauen erschien dies als gravierend; man brachte den Fall vor den Sprecher der Goldgräber, und der schickte die betreffenden Männer aus der Siedlung fort. Eine weitere Konfliktursache waren Auseinandersetzungen um Land. Nach dem Gesetz darf der Bergbau die Landwirtschaft nicht beeinträchtigen. Dennoch verloren im Dorf fünf Bauern durch die Anlage der Gruben Feldfl ächen. Dies wurde zwar dem Präfekten der Region vorgetragen, aber eine Einigung wurde nicht erzielt, und die Bauern erhielten auch keine Entschädigung. Dem standen auf der anderen Seite neue Erwerbsquellen für die Dorfbewohner gegenüber, was v.a. Frauen und jungen Männern auch eine neue Unabhängigkeit bescherte. Insbesondere der Verkauf von Trinkwasser, Hirsebier oder Fertiggerichten und die Arbeit der pileuses sowie einiger weniger Dorfbewohner im Goldbergbau selbst waren von Bedeutung. So waren insbesondere „im Mossi-Viertel drei Jahre nach Beginn des Goldbergbaus deutliche Anzeichen von Wohlstand in Form von neuen Häusern mit Blechdach, Fahrrädern, Mofas ... Kleidung und Haushaltswaren sichtbar“ (96). Bei den Dagara änderte sich sehr viel  weniger, was sich u.a. aus der bei ihnen besonders stark verbreiteten Vorstellung vom Gold und dem daraus gewonnenen Geld als „bitterem Geld“ erklärt. Solches Geld bringt, wenn es längerfristig angelegt wird (z.B. in Vieh oder Brautpreis oder Häuser) keinen Reichtum, sondern nur Schaden für die betreffende Familie; denn es stammt aus der Ausbeutung der heiligen Erde. Daher wird es nur für „persönliche, schnell vergängliche und nicht vererbbare Konsumgüter“ (164) verwendet.

Für den Rezensenten besonders faszinierend war, wie die Autorin zeigt, wie sich aus anfangs anomischen und ziemlich schrecklichen Verhältnissen binnen kurzem entgegen allen gängigen Vorstellungen vom „Goldrausch“ einigermaßen stabile und belastbare politische, ökonomische und soziale Strukturen herausbildeten – und dies  sowohl in der Goldgräbersiedlung selbst als auch in den Interaktionen zwischen dieser und der älteren Nachbargemeinde. Ethnologische Feldstudien, die solchen Wandel dokumentieren, sind leider immer noch die Ausnahme. Besonders bewundernswert ist daneben natürlich der Mut, den die Autorin aufbrachte, als sie ihre Forschungsarbeit in diesem explosiven Umfeld bis zum Ende durchzog. Ein winziges Haar fand ich trotzdem in der Suppe: Mir scheint es wenig hilfreich, wenn die Autorin den durchweg schönen Erzählungen aus ihrer Feldforschung ein übers andere Mal im Nachhinein einzelne Kategorien aus der ganz großen sozialwissenschaftlichen Theorie wie Webers „reine Typen legitimer Herrschaft“ oder Foucaults „Heterotopien“ und dergleichen mehr überstülpt. Zum besseren Verständnis der Erzählungen trägt dies wenig bei – man hat nur ein neues Wort. Und aus den hinter diesen Begriffen stehenden heorien abgeleitet, wird das, was dort berichtet wird, gerade nicht.
Gerhard Hauck

Quelle: Peripherie, 31. Jahrgang, 2011, Heft 120, S. 132-136

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