Eva Sørensen u. Peter Triantafillou (Hg.): The Politics of Self-Governance. Surrey 2009. 223 S.
In den westlichen liberalen Demokratien lassen sich parallel zu Privatisierungs- und Konzentrationsprozessen auch Tendenzen einer Transformation der öffentlichen Verwaltung beobachten, die Elemente von Selbstregulierung aufweisen. Gesellschaft wird dabei nicht mehr nur als Objekt und Bürde des Regierens angesehen, sondern als potenzielle Ressource, die für eine effiziente, effektive und demokratische Governance aktiviert werden kann.
Aus dem Markt- und gesellschaftlichen Geschehen entlehnte Verfahrensweisen werden in Regierungshandeln einbezogen, wie z.B. Anreiz- und Motivationsinstrumente. Hg. erkennen darin einen Wandel politischer Kultur in Richtung einer "new hegemonic governance imagery": "those manifold and often contradictory lines of questioning and ways of thinking about public governance that are always already inscribed in concrete activities be that academic labour such as the production of theories or political-administrative interventions such as public sector reforms, or both" (4).
Einführend diskutieren Hg. politische und organisatorische Trends wie Verwaltungsreformen und die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Diskurse über Governance und Steuerbarkeit komplexer Gesellschaften unter Bedingungen der Globalisierung. Es werden die unterschiedlichen Ansätze in einer Reihe von Staaten (Dänemark, Großbritannien, USA) und in verschiedenen Politikfeldern, die sich durch den Einfluss zivilgesellschaftlicher Gruppen verändert haben (Schule/Bildung, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Umwelt, Stadt- und Regionalplanung) vorgestellt.
Ein erster Teil der Aufsätze befasst sich mit der theoretischen Reflexion der Self-Governance auf der Makro-Ebene (bezugnehmend auf Systemtheorie und Foucault), der Meso-Ebene (bezugnehmend z.B. auf Netzwerktheorie, Regulationstheorie) und der Mikro-Ebene (bezugnehmend z.B. auf Public Choice). Ergänzend werden Fallbeispiele von Governance und selbstregulatorischer Praxis geboten. Sie betreffen die Umsetzung von Private-Public-Partnership-Modellen (PPP) sowie Reformen in einem britischen und einem US-Gefängnis. Anhand der Einführung von "neighborhood councils" in Los Angeles werden die Schwierigkeiten von top-down-Reformen dargestellt. Die Widerstände der Bewohner zeigen, dass die jeweiligen lokalkulturellen Bedingungen von großer Bedeutung für den Verlauf solcher Governance-Innovationen sind. Werden diese Bedingungen nicht berücksichtigt, reproduzieren die Reformen die Wachstums- und Konkurrenzorientierung der oberen Politikebenen. Die "neighborhood councils" konnten die in sie gesetzten Erwartungen bisher nicht erfüllen, auch wenn sie nicht folgenlos sind: "the Los Angeles experience both highlights the promise of participatory reforms and the deep rooted constraints that such reforms face. Institutional innovations, as represented by neighborhood councils, do change individuals' behavior, bringing thousands of volunteers together even in a city known for its lack of civic culture." (113)
Hg. resümieren, dass Elemente von Selbstregulierung einen immer stärkeren Anteil an Governance einnehmen. Die traditionelle Funktionsweise von Staatsmacht wird durch ein ganzes Spektrum neuer Methoden, Prozeduren und Techniken der Regierungsführung ergänzt und ggf. überlagert. Hierzu gehören PPP, Entwicklungsverträge mit öffentlichen Institutionen, projektbezogene Arbeitsgruppen und Gemeinderäte. Die Einschätzungen der Effekte dieses Trends gehen allerdings weit auseinander. Einige Autoren (z.B. Jakob W. Örberg, Herbert Gottweis, Mary Bosworth), die sich v.a. auf Foucaults Gouvernementalitätsansatz beziehen, weisen auf die neuen, äußerst subtilen Formen der Kontrolle hin. Unterdrückung und Kontrolle zeigen sich demnach in allen Poren einer Gesellschaft, Organisation und Person. Andere Beiträger (z.B. Keith Baker, Juliet Musso, Caroline de la Porte) heben hervor, dass die aktuellen Trends Chancen für eine gerechtere, demokratischere und effektivere Gesellschaft bieten, weisen aber auch auf die Widerstände der Politiker hin, die nur selten bereit sind, den Bürgern wirklich Raum für Einflussnahmen zu überlassen. "How is the self-governing capacity of societal actors exploited through the strategic construction of governing selves and to what extent are these constructions adding to the successful achievement of defined governance objectives?" (215) Die Antwort wird nicht nur in der Forschung, sondern auch in anstehenden Auseinandersetzungen, etwa über Finanzkrise und Klimawandel, gefunden werden. - Im Kern fragt das Buch nach der demokratischen Gestaltbarkeit von Gesellschaften. Allerdings ist der Umfang der berücksichtigten Fälle und Bereiche viel zu klein, als dass eine tragfähige "new governance imagery" tatsächlich erkennbar wäre. Um Effekte und Bedingungen moderner emanzipatorischer Governance ausweisen zu können, müsste der Ansatz auf breitere Füße gestellt werden.
Edgar Göll (Berlin)