Peter Herrle and Stephanus Schmitz (eds.): Constructing Identity in Contemporary Architecture. Case Studies from the South. Berlin (Habitat International 12) 2009.  308 S.

Architektur ist eines der augenfälligsten Mittel, Identitäten zu konstruieren, dekonstruieren und zu kommunizieren. Dem trägt der Band "Constructing Identity in Contemporary Architecture. Case Studies from the South", herausgegeben von Peter Herrle und Stephanus Schmitz, Rechnung. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen dabei Identitätskonstruktionen in zeitgenössischer Architektur jener Länder, die globalisierungsbedingten Transformationsprozessen und damit auch Neu-Verhandlungen von Identität(en) in besonderem Maße unterworfen sind.

Resultat eines Forschungsprojekt am Habitat-Unit der TU Berlin, das sich in der Zeit von 2003 bis 2005 mit dem "Eigenen" und "Fremden" in Architektur auseinandergesetzt hat, versammelt der englischsprachige Band sechs Beiträge ausgewiesener ArchitektInnen, ArchitekturhistorikerInnen und -kritikerInnen sowie Stadtplanender rund um das Thema. So folgen einer theoretischen Einführung ins Thema Beiträge, die sich mit Fragen nach Akteuren, Prozessen und Formen der Identitätskonstruktion in und durch Architektur in Brasilien, Mexiko, dem mittleren Osten, Indien und Singapur auseinandersetzen.

Ausgangspunkt der Betrachtung ist eine zunehmende weltweite Homogenisierung architektonischer Ausdrucksformen in globalisierten städtischen Kontexten, die in westlichen Architektenkreisen in den 1980/90er Jahren zur Entwicklung eines "critical regionalism" geführt haben. Dieses Konzept bot, gleichwohl nicht unkritisiert, in westlichen Industrieländern für nicht wenige ArchitektInnen Anlass und Möglichkeit zur (kritischen) Auseinandersetzung mit einer Überführung lokaler und regionaler Bautraditionen und -materialien in Gegenwartsarchitektur. Für "Entwicklungsländer", zumal mit kolonialem Hintergrund, ist eine derartige Auseinandersetzung zur Entwicklung einer modernen identitätskonstituierenden Architektursprache jedoch wenig zielführend und so wurden und werden in diesen Ländern andere Wege der Konstruktion von Identität(en) in und durch Architektur beschritten.

Einen Überblick über diese "anderen Wege" der theoretischen Auseinandersetzung mit Architektur und Identität in "Entwicklungsländern" gibt Stephanus Schmitz in seinem Beitrag "Identity in Architecture? A Construction?". Eine knappe und dennoch tiefgreifende Darstellung der wichtigsten Konzepte und deren Einordnung in das Gefüge der allgemeinen theoretischen Auseinandersetzung mit Identität und Architektur, wie Schmitz sie in einem Beitrag zu leisten sucht, ist sicher eine Herausforderung. Und so nimmt es einerseits nicht Wunder, dass es dem Beitrag nicht wirklich gelingen kann, das komplexe Thema von Architektur und Identitätskonstruktion zufriedenstellend zu behandeln. Andererseits zeichnet sich der Beitrag durch eine Art "Oberflächlichkeit" in seiner theoretischen Auseinandersetzung aus, wie sie durchaus häufiger für Architektur-Diskurse konstatiert werden kann und die für Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen nicht selten unbefriedigend ist. Dies soll keineswegs dem Autoren angelastet werden, verweist aber mit Nachdruck auf unterschiedliche disziplinäre Kulturen. Kulturtheoretisch informierte GeographInnen, Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen dürfen in diesem Band daher weniger eine multidisziplinäre, theoretisch tiefgehende Analyse des Phänomens der Identitätskonstruktion in und durch Architektur erwarten. Sehr wohl aber dürfen kompakte und sehr fundierte Darstellungen architekturhistorischer und -theoretischer Diskurse um Identität, Architektur und deren bauliche Konstruktionen der Architekturszenen Brasiliens, Mexikos, des mittleren Ostens, Indiens und Singapurs erwartet werden, die in ihrer Diversität die Breite dieses Themas deutlich vor Augen führen.

Diese Diskurse für die jeweiligen Länder im Einzelnen darzustellen, kann und soll nicht Gegenstand dieser Rezension sein. Deshalb sei an dieser Stelle nur kurz auf die AutorInnen und ihre Beiträge verwiesen - jedoch nicht ohne den Hinweis auf die sehr lohnenswerte Lektüre dieser Beiträge für all jene mit Interesse an raumbezogenen Identität(skonstruktion)en und deren (architektonischer) Kommunikation. Für Brasilien stellt Ruth Verde Zein u.a. die Pole der romantischen, exotischen "Natürlichkeit" Brasiliens einerseits und der Niemeyerschen "Genialität" andererseits als lange Zeit dominante Faktoren hinsichtlich der (westlichen) Wahrnehmung einer Identität in moderner brasilianischer Architektur heraus. In dem Beitrag von Susanne Dussel und José Morales-Saravia wird neben der langen Suche nach "dem Eigenen" im prä- wie kolonial geprägten Mexiko die Nutzung von Architektur zur Identitätskonstruktion und -kommunikation durch politische Machthabende behandelt. Khaled Asfour betont in seinem programmatisch angelegten Artikel, dass für den mittleren Osten weniger der Rückbezug auf Konzepte wie Kultur oder Tradition sinnvoll erscheint, denn vielmehr die Akzeptanz der ‚worldliness' von Architektur, die sich ihrerseits durch bestimmte Qualitäten auszeichnet. Rahul Mehrota, Prasad Shett und Rupali Gupte heben im Bezug auf Edward Sojas ‚cultural landscape' für Indien hervor, dass nach einer Phase der Instrumentalisierung von Architektur zur Konstruktion "einer indischen" Identität in den 1980er Jahren, nun die Notwendigkeit besteht, die Bedürfnisse der "breiten Masse" hinsichtlich identitärer Architekturen zu berücksichtigen. William Lim schließlich macht für Singapur, in dessen Geschichte "das Fremde" stets "das Eigene" war, deutlich, dass weniger ein Rückbezug auf koloniales Erbe, denn vielmehr eine Neuinterpretation des "urbanen Chaos" als Basis für die Entwicklung eines nicht-staatlich verordneten "Eigenen" dienen kann.

Allein schon diese kurze Darstellung macht die Vielschichtigkeit, die Geschichts-, Orts- bzw. Raumbedingtheit und -gebundenheit identitärer Architekturen deutlich und erklärt die Nicht-Existenz einer kohärenten Theoriebildung sowie den regionalen, fragmentarischen Charakter von Erklärungsansätzen zum Thema Identität und Architektur. In Folge dessen fällt das Fazit der Herausgeber entsprechend kurz aus und versucht - als einzig gangbaren Weg in dieser Situation - Parallelen und Unterschiede der Fallbeispiele herauszuarbeiten und zu benennen. Auf diese Weise umgehen die Herausgeber die Gefahr, verallgemeinerte Aussagen zur Konstruktion von Identität in und durch Architektur zu machen, die aufgrund der spezifischen Beschaffenheit des Forschungsgegenstandes nur schwer möglich und vielleicht auch nur bedingt sinnvoll sind. Ein möglicher Weg, zu verallgemeinerbaren Aussagen hinsichtlich identitärer Architekturen zu kommen, könnte eine stärkere Fokussierung auf bestimmte Themen innerhalb des Forschungsfeldes sein. So wurde in den meisten Beiträgen beispielsweise die Instrumentalisierung von Architektur durch staatliche Institutionen zur Konstruktion und Kommunikation von "gewünschten" Identitäten benannt. Eine machtkritische, akteursbezogene Analyse der Interessen und Prozesse hinter diesen identitären architektonischen Konstruktionen könnte deren Funktionsweisen in verschiedenen Regionen und politischen Systemen offen legen. Doch das wäre ein ganz anderer Band ...
Katharina Fleischmann

Quelle: Erdkunde, 64. Jahrgang, 2010, Heft 4