Jan Pospisil: Die Entwicklung von Sicherheit. Entwicklungspolitische Programme der USA und Deutschlands im Grenzbereich zur Sicherheitspolitik. Bielefeld 2009. 438 S.

Die Verschmelzung von Entwicklungs- und Sicherheitspolitik ist mindestens seit einem knappen Jahrzehnt als langfristige Tendenz erkennbar. Gerade in der Debatte um den gewöhnlich als "Entwicklung" kodierten Komplex von Maßnahmen, Strategien und Denkroutinen ist diese tiefgreifende Veränderung jedoch bisher allenfalls bruchstückhaft angekommen, geschweige denn in ihren Implikationen adäquat reflektiert worden.

 

Jan Pospisil unternimmt einen großen Schritt in diese Richtung. Er versteht dabei Entwicklung ebenso wie Sicherheit als Dispositive, die in dem zu analysierenden Prozess der Verschmelzung entscheidend verändert wurden. In Auseinandersetzung mit der an Michel Foucault anschließenden Debatte betont er vor allem den strategischen Gehalt des Dispositivs, das zugleich nur verständlich wird durch den Aufweis der Machtverhältnisse, in die es eingelassen ist. Sowohl diese begriffl ichen Bestimmungen als auch die aus ihnen abgeleiteten methodologischen Hinweise lassen sich freilich schon angesichts der Vielgestaltigkeit des Foucault'schen Werkes nicht mit letzter Klarheit fassen. Im Anschluss an Gilles Deleuze sieht der Autor die "Aufgabe der Erarbeitung von Orientierungspunkten" im Sinne einer "Kartographie" (73), die er schließlich in der "Verbindung von archäologischer Strategie und strategischem Prinzip", letzteres im Sinne einer "Ordnung des Materials an den daraus ableitbaren Zielsetzungen", konkretisiert (85).

Dieses Programm verfolgt er vor dem Hintergrund einer Analyse des "Dispositivcharakters von Entwicklung" (35ff) und des "neuen Sicherheitsproblems von Entwicklung" (89ff) in zwei empirisch konzipierten Hauptteilen. Zunächst geht er den Formen nach, die "sicherheitspolitische Entwicklungszusammenarbeit" in den USA einerseits und in Deutschland andererseits angenommen hat (163ff) und konkretisiert diesen Vergleich dann an dem wichtigen Fallbeispiel Sri Lanka.

Wie er ausführlich begründet, ist "der spezielle Charakter des Entwicklungsdispositivs, der sich in der Vermengung mit dem Dispositiv der Sicherheit ausdrückt, primär von (der gouvernementalen) Ratio nalität geprägt", neben "Elemente(n) der Disziplin und der Souveränität" (58). Leider sagt Pospisil zwar verschiedenes zu "Entwicklungskritik" (36ff) und zur Verknüpfung zwischen Diskurs und Macht, die den behandelten Dispositiven erst ihre Durchschlagskraft verleihen dürften; seine archäologischen Bemühungen zum Konzept "Entwicklung" selbst gehen aber wie bei so vielen anderen Autoren nicht weiter zurück als ins Jahr 1949, zur Inauguraladresse von Harry Truman. Auch über die für die Moderne hegemoniale Vorstellung von "Entwicklung" oder über die Einbettung auch noch von "Unterentwicklung" in die gleichfalls hegemonialen Vorstellungen von Evolution erfahren wir nichts. Dennoch macht Pospisil deutlich, wie eine derart diffuse Vorstellung von Entwicklung sich mit den Anliegen der Risikokontrolle, aber auch der Territorialität und schließlich in den 1990er Jahren mit dem Ansatz der "Human Security" verbinden konnte. Damit war die entscheidende diskursive Brücke zur Sicherheitsproblematik geschlagen. Hinzu kam, wie der Autor betont, die Verschiebung der "postulierten Zielbestimmungen" des Entwicklungsdispositivs zur Nachhaltigkeit (97), Genderfrage und Demokratisierung. Leider wird Pospisil der Komplexität gerade der Nachhaltigkeits-Debatte keineswegs gerecht und spart insbesondere die Ökologie-Frage weitgehend aus - den Brundtland-Report zitiert er sekundär. Dennoch wird deutlich, dass die Wendung zur Nachhaltigkeit die - zuvor in den Kontext von Giorgio Agambens Analyse des Ausnahmezustandes gerückte (65f) - zivile bzw. entwicklungspolitische Intervention stärker als zuvor in die Nähe der Sicherheitsproblematik rückte. Diese nahm nach dem Ende der Blockkonfrontation ihrerseits eine neue Wendung, die Pospisil an der erschreckenden Erfahrung des Völkermordes in Rwanda 1994, der Wahrnehmung eines nach 1989/90 eingetretenen "Machtvakuums" (112) und eben der "Möglichkeit zu einer verstärkten Politisierung ziviler Interventionen" festmacht (113). Mit dem Postulat der "globalen Strukturpolitik" wurde wenigstens in Deutschland auf die "'komparativen Vorteile' der Entwicklungspolitik" in diesem Kontext verwiesen (113). Nimmt man den Entwicklungsdiskurs in den Blick, so steht all dies nicht mehr in der Perspektive einer nachholenden Entwicklung, sondern von "Bedrohungsszenarien" (151). Diese Sichtweise verknüpft das neue Dispositiv zugleich mit der Governance- Problematik und der Diskussion über neue Kriege, die Pospisil ausführlich referiert. Speziell mit Bezug auf die Diskussion in Deutschland fi ndet sich dies konzentriert in Dieter Senghaas' "Zivilisatorischem Hexagon", im internationalen Kontext eher in den Debatten um Friedenssicherung und daran anknüpfende Begriffe (peace enforcing, peace building usw.) sowie um das von Johan Galtung propagierte Konzept der Konflikttransformation. Es ist zweifellos ein Verdienst dieser Darstellung, dass Pospisil auch die gesellschaftlichen und politischen Rückbindungen und Vernetzungen thematisiert, nicht zuletzt im Hinblick auf die mit Senghaas eng verbundene Berghof-Stiftung, die bei der deutschen Intervention in Sri Lanka eine zentrale Rolle spielte.

Ungeachtet einiger teils hier angemerkten Auslassungen und Engführungen belegt dieser Teil eindrucksvoll den Prozess, in dem zuvor scheinbar weit voneinander entfernt liegende Politikbereiche zusammengeführt wurden. Nicht zuletzt sind dabei aber auch Etappen zu bedenken wie die vielfach begrüßte Einbeziehung des BMZ in den Bundessicherheitsrat zu Beginn der rot-grünen Koalition 1998.

Es ist bedauerlich, dass die beiden folgenden Teile offenbar in dem Vertrauen geschrieben wurden, die zuvor herausgearbeiteten Zusammenhänge und Tendenzen würden aus dem nun ausgebreiteten, durchaus reichen Material schon evident. Darüber hinaus hat sich Pospisil auf eine sehr knappe Schlussbetrachtung beschränkt, die wenig mehr leisten kann, als seine zentralen Thesen noch einmal zu unterstreichen und zugleich mit den Polen der "Macht" und "Kritik" einmal mehr - freilich nur implizit - die Differenz von traditioneller und kritischer Theorie zu benennen und für letztere zu optieren (372).

Die beiden empirisch orientierten Teile sind im Gegensatz zur theoretischen Exposition deutlich narrativ geraten. Im Hinblick auf die Entwicklungspolitik Deutschlands und der USA erfahren wir eine Menge über den institutionellen Aufbau und das Zusammenspiel bzw. die Debatten und Kontroversen zwischen unterschiedlichen Politikebenen. Es ergeben sich zwei unterschiedliche Grundorientierungen: Während die deutsche Entwicklungspolitik sehr viel stärker auf "disziplinierende" Kontrolle und entsprechende Governance-Regelungen ausgerichtet ist, dagegen demokratische Institutionen eher als Frucht des Erfolgs entsprechender Maßnahmen erwartet, orientiert sich die Politik der USA genau umgekehrt an einer vorab "governementalen" Kontrolle, die den formalen institutionellen Aufbau in den Vordergrund rückt. Dem "Glaube(n) an den globalen Drang zur Demokratie" mit der Unterstellung "der immanenten Friedfertigkeit demokratischer Systeme" auf Seiten der USA (232) steht so die Perspektive des "demokratische(n) Sicherheitsstaat(es)" mit "in seiner idealtypischen Ausprägung soziale(r) und totalitäre(r) Komponenten" (276) gegenüber. Es kann unter die Verdienste des Buches gerechnet werden, dass diese Feststellungen vor dem Hintergrund weit ausholender Rekapitulationen der institutionellen und konzeptionellen Geschichte der Entwicklungspolitik der USA und (West-)Deutschlands stehen. Allerdings fragt sich zugleich, ob dies für das hier angestrebte Verständnis des Dispositivs sicherheitspolitischer Entwicklungszusammenarbeit wirklich erforderlich ist. Wie oben angedeutet, springt die Analyse für eine wirkliche Archäologie dieser Denk- und Praxisformen noch zu kurz. Andererseits holt die Darstellung der konzeptionellen Überlegungen und Debatten sowie der institutionellen Umstellungen bei aller Ausführlichkeit die Perspektive einer Dispositiv-Analyse nicht wirklich ein, weil die Perspektive von Macht und Herrschaft - und sei es die der herrschenden Diskurse - nicht mehr recht im Blickpunkt steht.

Dieses Problem zeigt sich verstärkt in der Darstellung des Konflikts in Sri Lanka und der daran ansetzenden Interventionen. Pospisil verknüpft seine Darstellung mit einer kursorischen Geschichte des Landes seit der Kolonisierung, deren Bedeutung für seine Argumentation unklar bleibt und die zudem an einer ermüdenden Zwei-Etagen-Struktur aus Haupttext und Fußnoten leidet. Es folgt die detaillierte Darstellung des institutionellen Kontextes, in dem beide Geberländer in Sri Lanka agiert haben - wenigstens bis 2007, dem Jahr, in dem die Analyse ausläuft. Dabei bestätigt sich die zuvor herausgearbeitete unterschiedliche Orientierung, mit freilich interessanten Konsequenzen: Lief die entscheidend auf institutionellen Aufbau und Demokratieförderung orientierte Politik der USA auf die strikte Ausgrenzung der einen Bürgerkriegspartei, der Liberation Tigers of Tamil Elam (LTTE) hinaus, so führte die Perspektive der Konfl ikttransformation unter maßgeblicher Beteiligung der Berghof-Stiftung die deutschen EZ-Institutionen in eine Lage, in der sie teilweise als NGOs auf tamilischer Seite wahrgenommen wurden. Dabei "ist die Arbeit im Governance- Bereich überraschend gering", und letztlich ergeben sich zwischen der realen Tätigkeit deutscher und USamerikanischer Akteure "überraschende Parallelen" (360) auch angesichts der sehr unterschiedlichen konzeptionellen Ausgangspositionen. Dennoch betont Pospisil die unterschiedlichen Orientierungen an "Demokratie" einerseits sowie "Frieden" andererseits, die wiederum einem "Vertrauen in Prozesse der sozialen Steuerung" gegenüber dem "Misstrauen in jene sozialen Formationen, in die interveniert wird" (368f), entspreche.

Insgesamt ist dies ein nützliches, freilich wenig ausgewogenes Buch. Das Bemühen, die vorhandenen Schätze zu heben, wird zudem erschwert durch oft sehr nachlässige Redaktion, Einschübe in Klammern über mehrere Zeilen und sonstige Parenthesen sowie die weniger durch Literaturverweise und -diskussion, sondern durch die Verfolgung zahlreicher Seitenstränge motivierte Fußnotenpönitenz. Schließlich sind das Präsens und gehäufte Bezüge auf "gegenwärtig" und "heute" peinlich, wenn damit in einem 2009 erschienenen Buch offenkundig die Bush-Administration und zumeist die rotgrüne Bundesregierung gemeint sind und die 2009 vollstreckte rein militärische "Lösung" des Konfl iktes in Sri Lanka über all diesem Präsentismus überhaupt nicht erwähnt wird. Mehr Sorgfalt hätte die Substanz und hohe Aktualität dieser Analyse besser zur Geltung bringen und zugänglicher machen können.
Reinhart Kößler

Quelle: Peripherie, 31. Jahrgang, 2011, Heft 121-122, S. 354-357

 

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