Edgar Wunder: Religion in der postkonfessionellen Gesellschaft. Ein Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung in der Religionsgeographie. Stuttgart 2005 (Sozialgeographische Bibliothek 5). 366 S.

Obwohl auch in Deutschland die Religionsgeographie in den letzten Jahren, nicht zuletzt auch auf Grund der Anschläge vom 11. September 2001, durch Veröffentlichungen und Tagungen größere Beachtung gefunden hat, bildete sie ein Randgebiet in der Geographie, dem sich immer nur wenige Geographen zuwandten.

Insbesondere fehlte ihr eine stärkere theoretische Durchdringung und Grundlegung. Wunders Heidelberger Dissertation stellt nun den ersten umfassenden Versuch dar, die Religionsgeographie in den größeren theoretischen Kontext einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung des Phänomens Religion hineinzustellen. Nach einer ausführlichen Diskussion der verschiedenen Religionsbegriffe werden die wichtigsten heutigen Positionen der Religionssoziologie beleuchtet. Hierbei wird vor allem auf das Säkularisierungsparadigma eingegangen und dieses zur Grundlage der weiteren Betrachtung gemacht. Dabei beruft sich Wunder vorrangig auf den heute "extremsten" Säkularisierungstheoretiker Steve Bruce und berücksichtigt kaum Autoren wie Grace Davie und Danièle Hervieu- Léger, die stärker von den veränderten Sozialformen von Religion sprechen als von deren Verschwinden, oder auch Peter Berger, der sich in seinen jüngsten Veröffentlichungen fast gänzlich von seinem früher verfolgten Säkularisierungsansatz abgewendet hat. Alternative Ansätze wie das religionsökonomische Modell US-amerikanischer Prägung werden als nicht geeignet bezeichnet, die Veränderungen im Erscheinungsbild von Religion in Europa zu erklären. In seinem hervorragenden Überblick über die Entwicklung der Religionsgeographie, dem längere Überlegungen zum Raumbegriff und zur Entwicklung der Sozial- und Kulturgeographie vorangehen, kommt der Autor zum Schluss, dass die Subdisziplin keinesfalls losgelöst von der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Diskussion betrieben werden kann, und dass hier vor allem Religionswissenschaft und Religionssoziologie relevant sind, weil sie stärker theorieorientiert arbeiten. Andererseits wird auch die Notwendigkeit betont, die auf die Religion bezogenen sozialen Prozesse als (im Raum, an bestimmten Stellen und Plätzen) verortete zu verstehen. Der abschließende empirische Teil der Arbeit, der jedoch "keinen über bloße Illustrationszwecke hinausgehenden Anspruch" (S. 272) hat, behandelt zwei Themenkomplexe: den quantitativen Zusammenhang zwischen religiöser Pluralisierung und expliziter Entkonfessionalisierung in Westdeutschland auf verschiedenen Aggregationsebenen (Bundesländer, Regierungsbezirke, Kreise und Gemeinden) anhand von Daten aus der Volkszählung 1987 und denjenigen zwischen Entkonfessionalisierung und der Verbreitung der Astrologie als Beispiel einer nicht-institutionalisierten Sozialform von Religion. Zwei kritische Anmerkungen sollen in aller Kürze gemacht werden: Zum einen ist der Schlüsselbegriff der Arbeit, "postkonfessionelle Gesellschaft", der definiert wird als "ein Gesellschaftstypus, ... in dem ... Religion nicht mehr in der Sozialform von Konfessionen auftritt" (S. 145), meines Erachtens ungeeignet für die Analyse dessen, was mit der Religion in der Moderne weltweit geschieht, weil er eurozentrisch und sogar mitteleuropaspezifisch ist und weil ihm kein klarer Konfessionsbegriff zugrunde liegt. Zum anderen ist die Aversion Wunders gegen das "Theologisieren" (z.B. S. 205, 235ff., 252) befremdlich, die suggeriert, ein "Insider" einer Religion könne diese nicht wissenschaftlich untersuchen und es sei möglich, scharf zwischen dem Forscher und dem beforschten Objekt zu trennen.

Autor: Reinhard Henkel

Quelle: Die Erde, 137. Jahrgang, 2006, Heft 1-2, S. 51-52