Encarnación Gutiérrez-Rodríguez: Migration, Domestic Work and Affect: A Decolonial Approach on Value and the Feminization of Labor. London 2010. 220 S.
Dieses Buch beleuchtet einen bislang wenig erforschten Bereich: Hausarbeit als ›affektive Arbeit‹ im Rahmen des europäischen Migrationsregimes. Am Beispiel der Arbeitgeberin aus der Mittelschicht und der lateinamerikanischen Hausarbeiterin ohne Papiere werden die Beziehungen untersucht, die in europäischen Haushalten entstehen. Ziel ist, aus einer feministischen und dekolonialen Perspektive die Ausbeutung und Kämpfe darin aufzudecken. Dies gelingt, da Affekte als Energien sichtbar werden, die sowohl Ungleichheiten (re-)produzieren als auch Kämpfe für ein besseres Leben initiieren.
Unter Affekt versteht Verf. die "sinnliche Eingliederung des Sozialen", die Individualität und Singularität der Gefühle und Emotionen mit einem spezifischen historischen, geographischen und politischen Kontext verbindet (130). Mittels Weiterentwicklung des Begriffs "Transkulturalität" von Fernando Ortiz fokussiert Verf. auf die simultanen Erfahrungen von Konflikt und Austausch in den Begegnungen innerhalb der Haushalte, welche die rassifizierte und feminisierte Kodifizierung der Hausarbeit wiedergeben und verhandeln.
Die Studie basiert auf einem Forschungsprojekt über Hausarbeit in Europa, in dessen Rahmen Interviews in Spanien, Deutschland, Österreich und England durchgeführt wurden. Den europäischen Migrationspolitiken gemeinsam sei eine Strategie der Nichtintervention: Die Politik ignoriert die Anstellungsverhältnisse und die Nationalstaaten überlassen die Organisation der Hausarbeit den Individuen. Diese Nichtintervention fungiert im foucaultschen Sinne als Teil von Gouvernementalitäts-Prozessen, in denen Hausarbeit sich als ›affektive Arbeit‹ selbst innerhalb von Rassen- und Geschlecht-Ungleichheiten organisiert.
Mit dem Fokus auf den ›biopolitischen‹ Charakter der Hausarbeit und ihrer ›affektiven‹ Werte beansprucht Verf., über die marxistisch-feministische Debatte zum "Lohn für Hausarbeit" und die darin enthaltende Kritik an der Verteilung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit hinauszugehen. Ausgehend von Precarias a la Deriva, einem feministischen Kollektiv in Madrid, begreift Verf. Hausarbeit als "einen Ort der Auseinandersetzung, in der die unmittelbare Investition des Lebens mit der Ausbeutung des Lebens kollidiert" (104). Deswegen ist Toiletten-Putzen mehr als eine physikalisch-reproduktive Tätigkeit. Hausarbeit als ›affektive Arbeit‹ wird als aktive Quelle des Lebensunterhalts vorgeführt, deren Wert nicht in entsprechender Währungsform umgerechnet werden kann und deren Ausbeutung v.a. durch die Rassisierung der Körper der "anderen" Frauen verdeckt wird. Durch die Betonung der Affekte zeigt Verf. sowohl, dass die Ignoranz der Arbeitgeberin und die Ekelgefühle bei der Hausarbeiterin in globale Ungleichheiten eingebettet sind, als auch dass die Transmission der Affekte in diesen Begegnungen die Verhältnisse gestaltet und ändert. Im Anschluss an Gloria Anzaldúas La facultad zeigt Verf. auf, wie die Hausarbeiterinnen, die "zwischen Welten" gefangen sind, "subjektive Fähigkeiten" entwickeln, Ungleichheiten empfinden und kreative und pragmatische Strategien entwickeln, um sie zu bewältigen (124). Die Frau, die putzt, ist auch eine Person mit subjektiven Fähigkeiten, die sich gegen Abwertung und Entmenschlichung wehrt, die transnationale solidarische Netzwerke schafft und die die Grenze der Arbeiterrechte herausfordert.
Das Buch hebt sich von anderen Arbeiten im Bereich der Migration und Hausarbeit ab, indem sichtbar gemacht wird, wie die Subjekte, die symbolische Gewalt erfahren, sich fühlen und wie sie mit diesen Gefühlen umgehen. Damit macht Verf. auch Begrenztheiten einer Vorstellung von globalen Gemeinsamkeiten qua Geschlecht deutlich: Während die Arbeitgeberinnen versuchen, den Widerspruch der Anstellung einer anderen Frau durch eine unterstellte Freundschaft und Solidarität mit den Hausarbeiterinnen zu beseitigen, um sich selbst zu emanzipieren, distanzieren die Hausarbeiterinnen sich emotional von ihren Arbeitgeberinnen. Ebenso hebt sich das Buch durch die Integration von lateinamerikanischer und karibischer Perspektive von anderen soziologischen Arbeiten zu Migration ab. Wenngleich dies den Text an manchen Stellen dicht und kompliziert macht, wird dadurch auch der Eurozentrismus der Disziplin aufgebrochen.
Als politisches Fazit hebt Verf. mit Bezug auf die schon existierenden Kämpfe der Hausarbeiterinnen hervor, dass ein Verständnis von Politik zu entwickeln ist, das die verschiedenen Erfahrungen in globalen Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in eine dekoloniale Sprache übersetzt, widerständige Vernetzungen von illegalisierten Hausarbeiterinnen aufnimmt und so die Perspektive einer nachhaltigen Organisation des Lebens aller entwirft.
Duygu Gürsel (Berlin)
Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 782-783
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