Ulrich Brand: Post-Neoliberalismus? Aktuelle Konflikte. Gegen-hegemoniale Strategien. Hamburg 2011. 220 S.

Verf. beschreibt die gegenwärtige Konstellation als multiple Krise der Weltwirtschaft, der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, der sozialen Reproduktion, der Geschlechterverhältnisse sowie der politischen Repräsentation, deren "Zusammenhang" er auf die "fossilistisch-kapitalistische Produktions- und Lebensweise, die in den letzten 30 Jahren unter neoliberalen und imperialen Vorzeichen umgebaut wurde" (24), zurückführt. In einer Situation, in der der Neoliberalismus in eine fundamentale Krise geraten sei, ohne dass ein neues hegemoniales Projekt auszumachen wäre, kämpfen verschiedene Akteure um konkurrierende ›post-neoliberale‹ Strategien.

"Der Begriff des Post-Neoliberalismus umfasst die strategischen Auseinandersetzungen um sich verändernde [...] Entwicklungsmuster, Kräftekonstellationen und sich unter Umständen herausbildende hegemoniale Verhältnisse" (48). Auch wenn sich die im nationalen Wettbewerbsstaat materialisierten Kräfteverhältnisse nicht grundlegend verändern, werden die Konturen einer post-neoliberalen Staatlichkeit sichtbar.

Die progressiven Akteure seien so schwach, dass es ihnen bisher nicht gelungen sei, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern. Gerade deshalb plädiert Verf. für eine Analyse ihrer Strategien aus einer hegemonie- und staatstheoretischen Perspektive. Mit Blick auf die strategischen Selbstverortungen verschiedener linker Strömungen wirbt er dafür, "emanzipatorische Widerständigkeit und Ansätze nicht als den herrschaftlichen Verhältnissen außen oder gegenüber stehend zu konzeptualisieren und gleichzeitig nicht in einen Etatismus oder aufgeklärten Institutionalismus zu verfallen" (196f). So finden einerseits emanzipatorische Praxen und gegen-hegemoniale Kämpfe nicht allein in Bewegungen, sondern in vielfältigen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen statt. Andererseits können sich gesellschaftliche Akteure nicht auf den Staat als vermeintlich kompetenten Ansprechpartner verlassen, wenn sie die kapitalistischen Verhältnisse grundlegend verändern wollen. Den Staat als konflikthaftes gesellschaftliches Verhältnis zu begreifen, hilft, die Wirkungen gegen-hegemonialer Kämpfe im Staat, aber auch seine Rolle bei der Stabilisierung von Herrschaft zu erfassen.

Ziel der Überlegungen ist es, die Bedingungen für eine radikale Transformation hin zu einer weniger herrschaftlich verfassten Produktions- und Lebensweise zu bestimmen. Auf der Suche nach Momenten, die diesen Prozess vorantreiben können, setzt sich Verf. mit der Bedeutung von Sozialforen und Gipfelprotesten, Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien oder orientierenden Begriffen wie dem der Commons auseinander.

Die dargestellten Zusammenhänge beleuchtet Verf. vertiefend im Feld der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. So konstatiert er eine seit einigen Jahren anerkannte Krise von Naturaneignung und Umweltpolitik im Neoliberalismus, die post-neoliberale Strategien motiviert. Viele sozial-ökologische Probleme bleiben jedoch ungelöst, weil das staatliche Management der ökologischen Krise die bestehenden Herrschaftsverhältnisse erneuert und die globale Konsumentenklasse von der imperialen Lebensweise profitiert. Letztere gründet darauf, "dass die Ressourcenflüsse in die kapitalistischen Metropolen gesichert bleiben und damit das hiesige und tendenziell globalisierte Produktions- und Konsumtionsmodell aufrechterhalten wird" (100). Die zeitweise prominente Debatte um einen Green New Deal steht beispielhaft für eine Strategie, die sozial-ökologische Krise zu bearbeiten ohne die ihr zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen der Naturbeherrschung zu verändern. Deshalb ist es Aufgabe sozialer Bewegungen und anderer progressiver Akteure, für eine radikale Transformation der Naturverhältnisse zu kämpfen. Beispielhaft zeigt Verf. dieses Spannungsverhältnis anhand der Konflikte um die Biodiversität und den Klimawandel auf. - Für die politische Praxis bieten sich gute Anstöße, weil sich Verf. konsequent an emanzipatorischen Ansätzen aus einer gegenhegemonialen Perspektive orientiert.
Henrik Sander (Bremen)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 784-785

 

zurück zu Rezensionen

zurück zu raumnachrichten.de