Norbert F. Schneider and Meil Gerardo (eds.): Mobile Living Across Europe I. Relevance and Diversity of Job-Related Spatial Mobility in Six European Countries. Opladen, Farmington Hills 2008. 318 pp.

Äußere Umstände oder innere Beweggründe veranlassen Menschen seit Jahrhunderten dazu, ihre angestammten Wohnsitze zu verlassen und Orte aufzusuchen, die Sicherheit, Arbeit, Wohlstand oder zumindest eine Verbesserung der Lebensumstände versprechen. Angetrieben von wirtschaftlichen, politischen und sozialstrukturellen Prozessen, entwickelt sich gegenwärtig eine Mobilität völlig neuer Qualität und Intensität. Modernisierungstheoretiker wie Richard Sennet beschreiben ein modernes Nomadentum von Arbeitskräften, die sich ständigem Zwang zur Anpassung ausgesetzt sehen und entsprechend häufig ihre Wohnorte dorthin verlegen, wo ihre spezifischen Fähigkeiten gefragt sind. Optimistischere Vertreter dieses Paradigmas betonen hingegen die Chancen, die sich dem Individuum in Zeiten hoher Flexibilität, Entstrukturierung und Enttraditionalisierung bieten.

Unter Bezugnahme auf diese Modernisierungstheorien entwickeln die AutorInnen dieses Bandes eine heuristische Typologie zur Analyse beruflich induzierter Mobilitätsformen. Übergeordnetes Ziel ist es, diese theoretische Basis mit empirischen Belegen zu festigen. Die verwendeten Daten entstammen dem aus EU-Mitteln geförderten Forschungsprojekt "Job mobilities and family lives in Europe. Modern mobile living and its relation to quality of life". Befragt wurden in diesem Projekt insgesamt ca. 24.000 Personen aus Frankreich, Deutschland, Spanien, der Schweiz, Polen und Belgien. Für die Auswertung lagen vollständige Interviews von ca. 7.000 Befragten im Alter von 25 bis 54 Jahren vor. Die AutorInnen betonen, dass es mit dieser Studie erstmals gelungen sei, eine repräsentative empirische Basis zur Untersuchung beruflich bedingter räumlicher Mobilität zusammenzutragen. Mit der Analyse dieser Daten werden drei zentrale Ziele verfolgt. Es sollen erstens Formen beruflich induzierter räumlicher Mobilität in sechs europäischen Ländern beschrieben werden. Zweitens werden individuelle Beweggründe für Mobilitätsentscheidungen analysiert und drittens positive und negative Konsequenzen der beruflich bedingten Mobilität aufgezeigt, wobei die individuellen Folgen im Fokus des Interesses stehen. So wird z.B. untersucht, wie sich Mobilität auf das persönliche Wohlbefinden der Befragten und ihrer Familien auswirkt, ob sich Konsequenzen für die Familienplanung nachweisen lassen und welche Folgen sich für die soziale Teilhabe und das gesellschaftliche Engagement ergeben.

Im sehr lesenswerten ersten Kapitel wird in kompakter Form der theoretische Hintergrund erläutert und darauf aufbauend der konzeptionelle Rahmen zur Analyse mobiler Lebensformen skizziert. Der theoretische Ansatz umschreibt dabei individuelle Möglichkeitsräume, die im Wechselspiel struktureller und individueller Optionen und Restriktionen entstehen und letztlich den Rahmen persönlicher Beweglichkeit abstecken. Weiterhin wird eine Typologie mobiler Lebensformen erstellt, in der anhand zeitlicher Dimensionen zehn Typen residentieller und zirkulärer Mobilität unterschieden werden. Im zweiten Kapitel werden methodische Fragen zum Erhebungsdesign und zur Stichprobenziehung erläutert. Es wird auf Schwierigkeiten verwiesen, die bei einer länderübergreifenden vergleichenden Befragung entstehen und gezeigt, wie die theoretisch hergeleiteten mobilen Lebensformen operationalisiert wurden. Um die Repräsentativität der Studie zu gewährleisten, war die Anwendung von Gewichtungsalgorithmen notwendig, welche ebenfalls erörtert werden. In den sechs folgenden Kapiteln werden mit jeweils sehr ähnlicher inhaltlicher und argumentativer Struktur separat die Ergebnisse für die beteiligten Länder präsentiert. Größtenteils werden deskriptive Auswertungen vorgenommen. Es wird gezeigt, dass beruflich bedingte Mobilität ein weit verbreitetes Phänomen ist. Pendelverkehr und Geschäftsreisen sind heute alltäglicher Bestandteil des Arbeitslebens vieler Menschen in Europa. Insgesamt hat im Durchschnitt jeder zweite Befragte Erfahrungen mit beruflicher Mobilität gesammelt, zum Befragungszeitpunkt sind zwischen 13% (Schweiz) und 19% (Deutschland) der Befragten berufsbedingt mobil. Zirkuläre Mobilität, insbesondere Fernpendeln, ist dabei in allen Ländern weit häufiger verbreitet als der Umzug an einen anderen Wohnort. Besonders mobil sind jüngere Personen, Akademiker, Männer und kinderlose Frauen. Der Zusammenhang zwischen räumlicher und sozialer Mobilität wird an vielen Stellen sichtbar. Als negative Wirkungen beruflich bedingter Mobilität werden Schwierigkeiten zur Aufrechterhaltung sozialer Bindungen und zur Familiengründung am häufigsten thematisiert. Abschließend werden die Ergebnisse länderübergreifend in einem Kapitel zusammengefasst.

Insgesamt liefert dieser Band einen spannenden Einblick in empirische Ergebnisse zur Pluralität berufsbezogener Mobilitätsformen in (post)modernen Gesellschaften. Zwei Kritikpunkte trüben jedoch das Bild ein wenig. Der größte Schwachpunkt ist dabei im inhaltlichen Aufbau des Buches zu sehen. Da die Ergebnisse für alle sechs Länder separat, aber jeweils mit gleicher Gliederung dargestellt werden, ergeben sich zahlreiche Redundanzen in der Darstellung. Hier hätte eine deutlich gestrafftere Darstellungsweise der Lesbarkeit des Buches sehr gut getan. Auch ist ein länderübergreifender Vergleich einzelner Ergebnisse aufgrund der gewählten Form für die LeserInnen nur schwer möglich. Zweitens sollte bezüglich der Repräsentativität der erhobenen Daten angemerkt werden, dass die Studie zwar über relativ große Stichproben verfügt und ein aufwändiges Gewichtungsverfahren angewandt wurde, die (ausführlich im Buch dargestellten) Einschränkungen bei der Stichprobenziehung jedoch systematische Verzerrungen vermuten lassen, die durch Gewichtungen nur unzureichend korrigiert werden können. Die Studie bildet gleichwohl einen wichtigen ersten Schritt, kontinuierliche Erhebungen zu diesem an Bedeutung zunehmendem Thema erscheinen jedoch notwendig. Empfohlen sei das Buch einem sozialwissenschaftlich interessierten Fachpublikum sowie Politikvertretern, die hier einen fundierten Einblick in die Pluralität berufsbezogener Mobilitätsformen erhalten. Tieferen Einblick in kausale Zusammenhänge verspricht der zweite Band des Autorenteams, auf den die LeserInnen gespannt sein dürfen.
Robert Schönduwe


Quelle: Erdkunde, 65. Jahrgang, 2011, Heft 2, S. 218-219

 

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