Britta Marschke u. Heinz Ulrich Brinkmann (Hg.): Handbuch Migrationsarbeit. Wiesbaden 2011. 326 S.
Migrationsarbeit erlebt die Höhepunkte ihrer öffentlichen Wirkung bei medialen Auseinandersetzungen als Folge konservativer Provokationen oder aber von Problemfällen, bei denen die Akteure unzulässig auf ihre Rolle als Träger einer Nationalität reduziert werden. Mit den darauffolgenden politischen Auseinandersetzungen setzt zumeist eine Verstärkung der wissenschaftlichen Erforschung von Migrationsrealitäten ein. Dabei wurde die Sozialwissenschaft in Deutschland in jüngerer Zeit häufig zur Politikberatung degradiert. Doch politische und mediale Aufmerksamkeit ebnet noch immer den Weg zur Förderung von Forschungsvorhaben durch staatliche Institutionen oder Akteure der freien Wirtschaft, die durch ihre Stiftungen Einfluss erlangen.
Den aktuellen Transfer von der Theorie in die Praxis zeigt dieses Handbuch, indem es acht Teilaspekte von Migration und Integration beschreibt (Frühkindliche Bildung, Schule und Migration, Berufliche Bildung, Elternbildung, Freizeit in der Migration, Islam und ethische Erziehung, Ältere Migranten, Politische Bildung) und sie durch Projekte und konkrete pädagogische Ansätze ergänzt. Dabei werden Probleme deutlich, wie exemplarisch an der beruflichen Bildung gezeigt wird. Dem Befund von Mona Granato vom Bundesinstitut für Berufsbildung: "Aufgrund ihrer sozialen Herkunft trifft Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien die mangelnde Leistungs- sowie Integrationsfähigkeit des Bildungssystems mit am häufigsten" (143, kursiv im Original), folgt der Aufsatz des Geschäftsführers eines Jobcenters, der in neoliberaler Terminologie die Verwaltung von Jugendlichen als ›Kunden‹ beschreibt, deren Fall als ›Dienstleistung‹ bearbeitet wird. Die notwendige Kritik an der Ökonomisierung der Integrationsarbeit als Teil Sozialer Arbeit und deren Reduzierung auf Durchsetzung staatlicher Sozialpolitik unterbleibt. Positiver ist die Umsetzung im Bereich der Elternarbeit: Es ist in der Migrationsarbeit mit Jugendlichen unumstritten, dass berufliche oder soziale Integration leichter erfolgt, wenn die Eltern zur aktiven Mitarbeit gewonnen werden. Auch im Bereich der Freizeitpädagogik wird die ›intensive Elternarbeit‹ propagiert.
Die Diskussion von Praxisbeispielen eröffnet auch die Möglichkeit der Abgrenzung von Projekten und damit eine offene und selbstkritische Herangehensweise innerhalb der Integrationsarbeit. Damit könnte es für Vertreter von Theorie und Praxis mit Gewinn gelesen werden. Allerdings fehlen kritische Ansätze seitens der Hg. auch da, wo sie aus sozialarbeiterischer Sicht dringend notwendig wären. Dazu gehört neben dem Beispiel der Ökonomisierung v.a. die Überbewertung der Religion in der Integration von Einwanderern aus islamisch geprägten Ländern. Es wird dem Missverständnis Vorschub geleistet, dass, wer sich für die Menschen einsetzt, auch deren Religion kennenlernen sollte. Religion kann auch in der Integrationsarbeit als Privatsache behandelt werden. Zudem werden unter Migranten überwiegend muslimische Einwanderer verstanden, (Spät-)Aussiedler werden bewusst ausgeklammert. Das verzerrt die Darstellung der Realität, kann aber auch Ausdruck dafür sein, dass Zuwanderer aus dem russischsprachigen Raum in der Regel weniger Integrationsprobleme haben. An den Stellen, an denen nicht nur dargestellt wird, was ist, sondern auch, was sein sollte, wird deutlich, dass größtenteils unkritisch mit den Integrationszielen der herrschenden Politik umgegangen wird. Und so konnte auch Staatssekretärin Maria Böhmer (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) für ein knappes Grußwort gewonnen werden, das im Titel fehlerhaft als Vorwort bezeichnet wird.
Christoph Horst (Paderborn)
Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 771-772
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