Elinor Ostrom: Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter. Hg. von Silke Helfrich. München 2011. 126 S.

Verf. wurde schlagartig bekannt, als ihre Forschungen zu Gemeingütern 2009 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden. Sie holte damit ein Thema ins Rampenlicht, das lange Zeit im diskursiven Abseits stand, nachdem der Ökologe Garrett Hardin 1968 mittels eines Denkspiels eine unabwendbare ›Tragik der Allmende‹ behauptet hatte: Eine zugangsoffene Weide werde zwangsläufig übernutzt, weil die einzelnen Viehhirten ihren eigenen Nutzen zu maximieren suchen. Nur ein privates oder staatliches Eigentumsregime, das den Zugang zur Weide reguliert, könne dies verhindern.

Dieses Denken hatte und hat enormen Einfluss auf die(neo-)liberale Theoriebildung in den Wirtschaftswissenschaften. Nachdem der Staat als Regulator desavouiert war, blieb das private Eigentumsregime als universelles Regulationsmittel von Allokationsproblemen übrig: aus dem Dualismus ›Privat‹ oder ›Staat‹ wurde das Dogma ›Privat vor Staat‹. - Wie können Dualismen und Dogmen geknackt werden? Indem man ihnen widersprechende Praxen empirisch erforscht. Das hat Verf. getan. In Hunderten von Feldstudien hat sie untersucht: Scheitern Gemeingüter in der Praxis tatsächlich? Und wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Im vorliegenden Buch beschreibt sie anschaulich ihre wesentlichen Erkenntnisse.

Die wichtigste: Gemeingüter sind kein Niemandsland, sie sind nicht die Ressourcen selbst, sondern umfassen stets die Ressourcen und die Menschen, die sie herstellen und erhalten. Insbesondere das deutsche Wort legt jedoch nahe, dass es bloß um Dinge, eben Güter, gehe. Diese Fehldeutung unterlief auch Hardin, der die Weide als Niemandsland dachte. Für Allmendeweiden, Wasserressourcen usw. existieren jedoch Regeln, die die Menschen vereinbaren, um die Ressourcen zu nutzen und gleichzeitig zu bewahren. Teil-weise sind diese Nutzungsformen sehr erfolgreich und bestehen schon seit Jahrhunderten. Immer wieder werden sie aber auch zu Grunde gerichtet, oft weil die Privatisierung aus ihnen plünderbare Ressourcen macht oder staatlich erlassene Verwaltungsregeln vor Ort nicht funktionieren. Daraus folgt die zweite zentrale Erkenntnis: Können die Menschen die Nutzungsregeln selbst bestimmen, dann sind diese meist sehr gut an die spezifischen lokalen Bedingungen angepasst. Sie spiegeln die Bedürfnisse der Beteiligten wider, zu denen gehört, die Ressourcen langfristig zu erhalten, weil sie Teil ihrer Lebensgrundlage sind. Die Regeln entsprechen dabei weder der Logik des Marktes noch der des Staates.

Ostroms Ziel ist die Entwicklung einer "allgemeingültigen Theorie der Selbstorgani-sation und Selbstverwaltung" (45). Bausteine dazu sind die Konzepte der "komplexen adaptiven" (38) und der "polyzentrischen" (39) Systeme. Anlehnungen an die Systemthe-orie sind unübersehbar. Komplex-adaptiv sind Systeme von Akteuren, die in der Lage sind, die Regeln permanent den sich ändernden Bedingungen anzupassen. Das Attribut polyzentrisch beschreibt die Strukturierung von Systemen, die auf verschiedenen Ebenen mehrere Zentren ausbilden. Fehlertoleranz und institutionelle Redundanz sind weitere Merkmale, mit denen Verf. begründet, warum Gemeingüter erfolgreich sind. Die Erfahrungen aus den Feldstudien verallgemeinert sie in acht knapp kommentierten "Gestaltungsprinzipien für Gemeingüter" (85).

Das Buch besteht im Kern aus zwei Aufsätzen Ostroms, die von Helfrich übersetzt, bearbeitet und herausgegeben wurden. Sie steuert zudem ausführliche erklärende Textteile bei (Vorwort, Einführung und Glossar), die fast die Hälfte der Buchumfangs ausmachen, so dass eine Mitautorinnenschaft eigentlich angemessen gewesen wäre. Verf. reißt die Themen oft nur an, viele Fragen bleiben offen. So ist von Selbstorganisation und Selbst-verwaltung die Rede, ohne den Unterschied zu erklären. Ferner geht es ausschließlich um rivale (Verbrauchs-)Ressourcen, nicht-rivale Ressourcen kommen nicht vor. Eine allgemeine Theorie der Selbstorganisation müsste jedoch auch die besonderen sozialen Formen, die sich rund um Wissens- und Kulturgüter bilden, einbeziehen.

Verf. interessieren die konkreten Verhältnisse vor Ort. Die gesellschaftlichen Rahmen-bedingungen einschließlich der dominanten kapitalistischen Imperative nimmt sie als gegeben hin. Ihre Arbeiten enthalten implizite Kritik an der kapitalistischen Verwertungs-logik, die ausgeführt werden müsste. Verf. stellt zwar fest, dass die Gemeingüter-Logik "jenseits von Markt und Staat" (82) liegt, doch hat diese Einsicht keine (theoretischen) Konsequenzen. So ist das Buch eine Einladung an marxistisch inspirierte Wissenschaft-lerinnen und Wissenschaftler, den Gemeingüter-Ansatz für die Analyse und Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise fruchtbar zu machen.
Stefan Meretz (Berlin)

Quelle: Das Argument, 53. Jahrgang, 2011, S. 950-951

 

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